Dave Grohl (in Rot) ist mit seinen Foo Fighters heute längst dort, wo er einst auf keinen Fall hin wollte: Im Kommerzstadion-Rock

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Man merkt, der Mann hat die Geschichte schon oft erzählt. Dennoch leuchten die Augen inmitten eines langhaarigen Vollbartgesichts, als das Gespräch auf die Überlebenshilfe kommt: Zwei verschüttete Bergarbeiter hatten während den Rettungsarbeiten nach einem iPod mit Foo-Fighters-Musik verlangt. "Sie waren eingeschlossen und sie wollten unsere Musik als Überlebenshilfe. Kannst du dir das vorstellen?"

Die beiden Kumpel überlebten das Verschüttetsein unter der Erde und machten später mit dem Urheber dieses kulturellen Rettungsdienstes ein Fass auf. Der Vorfall ereignete sich vor zwei Jahren in Tasmanien und inspirierte den Samariter, er heißt Dave Grohl und ist Frontmann einer der kommerziell erfolgreichsten Rockbands der Welt, zu einem Song: The Ballad Of The Beaconsfield Miners ist ein Bluegrass-geerdetes Instrumental, das sich auf dem neuen Foo-Fighters-Album mit dem etwas ungelenken Titel Echoes, Silence, Patience & Grace befindet.

Musik rettet Leben

Und es ist eines der besseren Stücke - inmitten von Mainstreamrock und Konfektionsware, für die die Foo Fighters spätestens seit ihrem dritten Album There Is Nothing Left To Loose (1999) stehen. Von der wundersamen Rettungsgeschichte scheint Grohl jedenfalls immer noch überrascht: "Es ist schon wunderbar zu wissen, dass Musik tatsächlich Leben retten hilft. Es ist aber unglaublich, wenn es Musik ist, die man selbst geschrieben hat", meint er im Interview in einem Berliner Luxushotel.

Geschichten wie diese nähren zwar den Mythos von Rock 'n' Roll als Überlebensmittel und Glaubensbekenntnis. Im Falle der Foo Fighters klingt die dazugehörige Predigt leider zunehmend substanzlos.

Natürlich sind derlei Geschichten bestes Promotionfutter, doch niemand würde Dave Grohl kaltes Kalkül unterstellen. Immerhin gilt der ehemalige Nirvana-Schlagzeuger bei Fans und Kritikern als der "Mister Nice Guy" des Rock 'n' Roll. Grohl ist der aufrichtige Kerl, dem man getrost die Autoschlüssel fürs Cabrio anvertrauen kann - samt eigener Tochter am Beifahrersitz. Entsprechend treuherzig sagt er: "Ich habe den Song auf das Album genommen, weil ich den Bergarbeitern etwas zurückgeben wollte. Für mich ist diese Geschichte eben nicht nur eine Band-Anekdote von vielen."

Vom Hardcore ...

Der Werdegang des heute 38-Jährigen ist eine der ungewöhnlichsten Geschichten des Rock. Aufgewachsen in Virginia spielt sich der talentierte Schlagzeuger Grohl innerhalb weniger Jahre an die Spitze der Hardcore-Szene von Washington D. C. und landet Ende der 80er-Jahre bei Nirvana. Seattle wird kurz darauf zur Welthauptstadt des Aufbegehrens in drei Akkorden und Grunge zur rotzigen Antithese des in glitzernde Spandexhosen gezwängten Hair-Metals der Westküste, der sich mit Bands wie Poison oder Ratt anschickte, mit zu viel Schminke und Stimmlagen wie sie zu engen Hosen verantworten den größenwahnsinnigen Stadionrock der 70er zu übertrumpfen.

Nirvana fegen 1991 mit dem Teenage-Angst-Meisterwerk Nevermind derlei Poseure von den Bühnen und stürmen weltweit an die Spitzen der Charts. Der Rest ist Geschichte. Nach dem Selbstmord Cobains gründet Grohl 1995 die Foo Fighters, wechselt an die Gitarre, greift zum Mikrofon und nimmt das selbst betitelte Debütalbum quasi im Alleingang auf.

... über Grunge-Pop ...

Mit noch deutlich an Nirvana erinnernden Grunge-Songs erspielt er sich eine Fanbasis, die ihm bis heute die Treue hält. Die markige Reibeisenstimme wird zum Idiom der Foos. Stücke wie This Is A Call, Big Me und Times Like These vermögen den Zorn des Grunge in Pop zu übersetzen und so manch graues Vorstadtjugendzimmer zum Leuchten zu bringen.

Einmal mehr macht Dave Grohl inmitten so genannter Crossover- und Nu-Metal- Grauslichkeiten Überlebensmusik, die auch anspruchsvollere Fans noch okay finden. Doch mit dem Wechsel ins neue Jahrtausend stellt Grohl den Foo-Fighters-Zug auf Mainstream-Schienen, die über Umwege mehrerer handwerklich gut gemachter aber künstlerisch belangloser Alben zum dieser Tage erschienenen Echoes, Silence, Patience & Grace führen.

Wagnisse geht der sich selbst als "biederer Ehemann" bezeichnende Grohl nur noch als Gastmusiker bei Haudrauf-Formationen wie den Wüstenrockern von Queens Of The Stone Age oder Killing Joke ein. Echoes, Silence, Patience & Grace ist laut, tut aber niemanden weh und das ist das wirklich Schmerzliche daran.

Grohl grölt sich durch Uptempo-Songs wie The Pretender oder Erase/Replace, ohne jedoch die emotionale Dringlichkeit der alten Foos zu erreichen. Balladen wie Home oder Statues kommen dem in den USA äußerst populären Befindlichkeits-Countryrock von Nickelback gefährlich nahe und des Maestros Faible für die Beatles geht fragwürdige Allianzen mit einer neu entdeckten Leidenschaft fürs Klavier ("ein Geschenk der Familie") ein.

... zum Stadionrock

Auch musste er bereits zähneknirschend zugegeben, dass er, der als Punk begonnen hat, mittlerweile bei der 70er-Stadionmusik der Eagles angekommen ist: "Meine Songs sind viel persönlicher und offener als früher. Irgendwann bist du nur noch Sprachrohr für dich selbst, das kommt wohl mit dem Alter", denkt Grohl laut nach.

Auf die Frage, welche Foo-Fighter-Songs aus welcher Phase den eingeschlossenen Bergarbeitern geholfen haben, zu überleben, grinst er, zuckt mit den Schultern und sagt: "Keine Ahnung, das ist gar nicht wichtig." (Christian Lehner, DER STANDARD Printausgabe, 29./30.9.2007)