So steil kann ein Hang gar nicht sein, dass die Kinder nicht hinaufkämen. Maria Mittermaier gibt ihren "Wald-füchsen" Aufstiegshilfe oder erzählt im Tipi spannende Geschichten.

Fotos: Standard/Andy Urban
Zwischen den Bäumen gibt es viel Platz zum Austoben und genug Zeit, um die Natur genau zu beobachten.

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Münichsthal - "Heute bin ich ein Werwolf! Uaah!" David rennt den Waldweg entlang, auf den die Morgensonne durch die Blätter fällt. Immanuel, Tobias und Pauli sausen hinter ihm her, dass ihre Rucksäcke nur so auf und ab hüpfen. "Uaaah! Uaaah!" schreien alle vier. Es ist knapp nach acht Uhr, für die Buben hat gerade der Kindergartentag begonnen, ein Tag, den sie wie immer bis zu Mittag im Freien verbringen werden - egal, ob es regnet oder Minusgrade hat. Die vier kleinen Werwölfe sind nämlich "Waldfüchse". Gemeinsam mit fünf anderen Kindern besuchen sie die Waldkindergruppe von Maria Mittermaier.

In dem Waldstück in Münichsthal bei Wolkersdorf im Weinviertel hat sich die Kindergärtnerin und ausgebildete Waldpädagogin 2005 ihren "Lebenstraum" erfüllt, wie sie sagt. "Nach 14 Jahren in einem Regelkindergarten wusste ich, dass ich so nicht weitermachen möchte", erzählt Maria Mittermaier. Das Grundstück haben ihre Schwiegereltern zur Verfügung gestellt. An drei Tagen pro Woche ist eine Studentin als zweite Betreuerin mit im Wald, an den beiden anderen Tagen wechseln sich die Mütter ab. 180 Euro zahlen die Eltern pro Monat. Die Kindergruppe finanziert sich ausschließlich aus den Beiträgen der Eltern, Förderung erhält der Verein derzeit keine.

Im Wald seien die Kinder viel weniger eingegrenzt, wenn eines einmal ein paar Meter von den anderen entfernt spielen oder klettern möchte, dann sei das auch möglich, sagt Mittermaier. "Die Kinder werden außerdem nicht von einem ständigen Angebot an Spielsachen überfordert." Der Wald biete genug, damit alle Sinne angeregt werden. Die Kleinen sind in der Zwischenzeit bei der ersten Station angelangt. Alle überqueren sicher den kleinen Bach, sogar die dreijährige Marlene schafft es mit ein wenig Hilfe hinüber. Dahinter geht es steil hinauf zu ein paar umgefallenen Bäumen.

Kraxeln und Balance

Noah und Immanuel beginnen gleich auf den Stämmen zu balancieren. Wenn sie Hilfe beim Kraxeln brauchen, gibt ihnen Niki Kofler, die heute ihre Tochter Lucy und die anderen begleitet, die Hand und erklärt, wie sie die Schritte setzen müssen.

"Pass auf!" oder "Fall nicht runter!", hört man in der Waldkindergruppe nicht. Die Drei- bis Sechsjährigen sind motorisch sehr geschickt und so sicher in ihren Bewegungen, dass man keinen Moment Angst zu haben braucht. "Maria, ich hab einen Baum abgerissen", ruft David stolz und zieht einen morschen Ast hinter sich her. "Der ist von einer Holunderstaude", erklärt Mittermaier dem Sechsjährigen. Immanuel und Tobias liegen neben einem umgefallenen Baumstamm und beobachten die Holzwürmer, die unter der Rinde hervorgucken: "So viele, schau!"

Mit dem nächsten Programmpunkt kann aber selbst das Wurmgewurl nicht mithalten - geht es doch in die "Erdenwelt". Und da wurln die Buben und Mädchen sofort los. Die "Erdenwelt" ist das Gatschparadies schlechthin - ein steiler lehmiger Hang zum Raufkraxeln, Runterrutschen, Dreckigmachen, Herumtoben. Die Buben spielen "Bergrettung". Tobias und Immanuel sausen quietschend in ihren Matschhosen aus Kunststoff die Lehmpiste runter. David, der Retter, flitzt ihnen mit vollem Karacho hinterher.

"Für einige der Kinder ist es ganz wichtig, dass sie sich ungebremst bewegen können", schildert Mittermaier. Der Vorbehalt, dass sich Kinder, die Waldkindergärten besuchen, später in der Schule schwer damit tun, still zu sitzen, stimme nicht, sagt die Pädagogin. "Im Gegenteil, im Wald lernen die Kinder, sich ruhig und konzentriert mit einer Sache zu befassen".

Ein Stückchen weiter oben im Wald ist das "Basislager" der Gruppe. Auf einer kleinen Lichtung am Waldrand steht ein Tipi, ein richtiges Indianerzelt. Zwischen den Bäumen hängt auf Schnüren aufgefädelt, was die Kinder im Wald finden: Schneckenhäuser, Tannenzapfen, getrocknete Baumschwämme, Holzstückchen, Hagebutten, Kastanien.

Feuerstellenjause

Rund um eine Feuerstelle im Freien stehen Baumstümpfe im Kreis, dort setzen sich die Kinder jetzt hin und holen ihre Brote aus dem Rucksack. Gestärkt geht es gleich wieder los. "Ich muss jetzt arbeiten", sagt Tobias ernst und holt den Werkzeugkasten aus einer kleinen Holzhütte. Marlene und Pauli, die beiden jüngsten, schlagen mit einem Hammer Nägel in ein Brett. Marlene muss sich noch ein bisschen plagen. Mit dem Hammer den Nagel zu treffen klappt schon super. Wenn bloß die Nägel nicht so schwierig festzuhalten wären. "Hoppala", sagt die Dreijährige jedes Mal, wenn ihr der Nagel aus den Fingern rutscht. Für den Rückweg hat Mittermaier diesmal den "Sonnenweg" gewählt, der entlang den abgeernteten Feldern zum Treffpunkt am Waldweg führt, wo die Kinder um 12 Uhr wieder abgeholt werden. Vorher gibt es aber noch das tägliche Kreisspiel, mit dem sich die Kinder vom Wald und voneinander verabschieden. "Auf Wiedersehen, Boden", singen Lucy, Marlene und die anderen, "auf Wiedersehen Himmel, auf Wiedersehen Freunde". "Auf Wiedersehen Kasperl! Auf Wiedersehen Welt!", dichten die Buben noch dazu und zerkugeln sich fast vor Lachen. (Bettina Fernsebner-Kokert, DER STANDARD - Printausgabe, 28. September 2007)