Heribert Schiedel wird seit einiger Zeit bedroht und möchte deshalb unbekannt bleiben - Fotos gibt es nur mit Kappe und Sonnenbrille.

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Heribert Schiedel arbeitet seit über zehn Jahren im Bereich Rechtsextremismus beim Dokumentationsarchiv (DÖW). Nun veröffentlichte er das Buch "Der rechte Rand". Im Gespräch mit derStandard.at spricht er über die neue Form des Rechtsextremismus, dem Vergleich mit dem Islamismus und das Verbotsgesetz.

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derStandard.at: Ist der populistische Rechtsextremismus, wie ihn die FPÖ zurzeit betreibt, die neue Form des Nationalsozialismus?

Heribert Schiedel: Damit tu ich mir ein bisschen schwer. Es gibt die Neonazis, die ein viertes Reich wollen und die zwanzig Punkte der NSDAP aus dem Parteiprogramm 1925 hochhalten. Das ist eine relativ kleine Gruppe. Die größere Gruppe der Rechtsextremen hat es geschafft, sich mit der Demokratie zu arrangieren. Die sind mit der Zeit gegangen. Es sieht so aus, als ob die Rechtsextremen die gemäßigten Neonazis wären. Die Unterschiede: Sie proklamieren nicht offen den Nationalsozialismus, sie greifen die liberale Demokratie nicht an oder sprechen von "Judenherrschaft".

derStandard.at: Weil diese Dinge für sie keine Relevanz haben oder weil sie sich anders verständigen?

Schiedel: Sie verwenden dafür Codes. Das Wort "Jüdisch" kommt nicht vor, dafür sprechen sie von "Internationaler Hochfinanz". Da wird der Satz "Die Rassenmischung ist unser Untergang" durch "Wenn sich die Kulturen mischen, bedeutet das eine Verarmung" ersetzt. Wenn man statt "Rasse" "Kultur" sagt, wird man eher Zustimmung erlangen. Man muss jeden Fall einzeln anschauen. Ist es ein Anpassen an mit dem Verbotsgesetz vereinbare Sprachregelungen oder sind es – und das gibt es bei der FPÖ – Leute, die prinzipiell die Ideologie und die Verbrechen der Nazi-Zeit ablehnen?

derStandard.at: Wie viele Leute machen ungefähr den harten Kern der Neonazis aus?

Schiedel: Der aktive Kern in Österreich sind etwa tausend Leute. Aber es gibt ein Potenzial für Neonazis. Das sind Leute, die jemanden wählen, von dem sie wissen, dass er ein Neonazi ist. Es gibt verschiedene Ereignisse, an denen man das messen kann: Franz Radls Kandidatur bei der Gemeinderatswahl in Fürstenfeld (Steiermark). Oder die Kandidatur von Norbert Burger bei der Bundespräsidentenwahl. Das Wählerpotenzial bewegt sich zwischen zwei und drei Prozent. Das sind zwischen 200.000 und 400.000 Leute.

derStandard.at: In Ihrem Buch schreiben Sie, die Grenzen zwischen legalem Rechtsextremismus und legalem Neonazismus verschwimmen. Welche Unterschiede gibt es da?

Schiedel: Es ist ganz selten, dass ich dem Andreas Mölzer zustimme, aber er hat gesagt: "Neonazismus = Rechtsextremismus + Gewaltakzeptanz/-tätigkeit + NS-Apologie". NS-Apologie drückt sich durch Hitlerverehrung aus, durch Holocaustleugnung oder Verklärung der deutschen Beschäftigungspolitik. Es ist nicht so wie Tag und Nacht, sondern in vielen Fragen ist es eine Sache der Deutlichkeit, der Sprache, des Ausdrucks und der Radikalität. Man kann sagen, dass Neonazismus zugespitzter, radikalerer und reiner ist als Rechtsextremismus.

derStandard.at: Das Verbotsgesetz sorgt oft für Aufregung, durch seine rechtliche Stellung, das Ausmaß der Strafen. Erfüllt es seinen Zweck?

Schiedel: Das könnte es tun und zum Teil tut es das auch, denn sein Hauptzweck ist die Abschreckung und die passiert vor allem im publizistischen Bereich. Würde heute das Gesetz abgeschafft werden, wir würden morgen von einer Flut offener nationalsozialistischer Propaganda überschwemmt werden.

derStandard.at: Gibt es bei rassistischen Tendenzen Unterschiede zwischen Stadt und Land?

Schiedel: Am Land herrscht ein doppelt so hohes Potenzial für Antisemitismus und Rassismus als in Städten. Das liegt an den fehlenden Migranten und Juden am Land. Wo nur Österreicher neben Österreichern leben gibt es hohe Rassismus-Werte. Das liegt auch an den Medien – da geht es um Bilder, die transportiert werden.

derStandard.at: Die Klausur der FPÖ fand gerade statt und zwar unter dem Motto: "Österreich bleib frei. Neutral, heimatbewusst und selbst bestimmt". Was sagt dieses Motto aus?

Schiedel: Zunächst weckt es historische Assoziationen. Das ist ein rhetorischer Trick, weil man weiß, dass die VDU bzw. dann die FPÖ massiv gegen den Staatsvertrag waren, weil da Punkte drinnen sind, die ihnen damals wie heute nicht passen. Der Artikel 7, der Schutz der Minderheiten oder der Artikel 4, den Verbot des Anschlusses. Aber ich würde diesen Schlagworten nicht zuviel Bedeutung beimessen, das sind eher Brocken, die hingeworfen werden.

derStandard.at: Es herrscht der Eindruck, als ob Vergehen der Wiederbetätigung in Österreich von der Bevölkerung als Kavaliersdelikte angesehen werden.

Schiedel: Ja, das ist leider so. Vor allem in ländlichen Regionen, wo jeder jeden kennt. Wenn da einer Hakenkreuz schmierend und "Heil Hitler" grölend durch die Straßen zieht, sagen die meisten: "Is halt ein blöder Bua!". Dreißig Prozent der Österreicher sind noch davon überzeugt, dass der Nationalsozialismus gute Seiten hatte.

derStandard.at: Was sollte man da tun?

Schiedel: Man kann das Faktenwissen der Jugendlichen verbreitern. Aber es muss nicht nur ein kognitives sondern auch ein emotionales Wissen da sein. Es braucht sowohl eine Auseinandersetzung mit den Opfern wie mit den Tätern. Es wäre gerade in den Nachfolgestaaten des dritten Reiches wichtig, Täterforschung zu betreiben.

Eine Gruppe um Harald Welzer, einem deutschen Soziologen, hat eine Studie veröffentlicht, die lautet: "Opa war kein Nazi". Darin werden Veränderungen in den Familienerzählungen untersucht. In der ersten Generation war der Opa oder der Vater ein Opfer – im Bombardement, im Krieg. In der zweiten Generation schlägt das um und wird abgelöst von Widerstand- und Heldenerzählungen. 28 Prozent der Deutschen geben an, dass ihre Vorfahren Juden versteckt haben. Der Co-Autor des Buches hat daraufhin gesagt: "Die Deutschen haben die Juden so gut versteckt, dass man sie bis heute nicht mehr gefunden hat."

derStandard.at: Wissen Jugendliche zu wenig über den Nationalsozialismus?

Schiedel: Ich hab erlebt, dass rechts orientierte Jugendliche sehr gut über den Nationalsozialismus Bescheid wissen und schnell bei der Verurteilung seiner Verbrechen sind. Aber dieses Wissen ist abgesperrt - es bleibt völlig isoliert vom Jugendlichen selbst. Faktenwissen mit emotionaler Nähe zu verbinden ist nicht so sehr Aufgabe der Lehrbücher sondern der Lehrer.

derStandard.at: Wieso werden rechte Tendenzen in Österreich harmloser dargestellt als zum Beispiel momentan die islamistischen?

Schiedel: Der Islamismus ist der fremde Rechtsextremismus. Man kann unter dem Schutzmantel des Anti-Islamismus ein Anti-Muslimischer Rassist sein. Da können sogar Burschenschafter von Frauenrechten sprechen, das muss man sich vorstellen. Es ist ein Problem, dass man den Islamismus nicht kritisieren kann, ohne dass sich Strache oder etwaige Boulevardblätter drauf stürzen und gegen Muslime hetzen. Dazu kommt, dass man sich an einzelne Elemente des eigenen Rechtsextremismus gewöhnt hat. Das Autoritäre, zum Beispiel. Österreich ist europaweit das Land mit der größten Untertänigkeit. Da liegt das Problem beim Verbotsgesetz - es unterstützt diese Hörigkeit und nimmt die Eigenverantwortung. Viele Leute sagen: es gibt eine Instanz und wenn etwas durch diesen Filter kommt, dann wird das schon in Ordnung sein.

derStandard.at: Ihre Chefin Bailer-Galanda findet, dass bei Gerichtsverfahren rund um Wiederbetätigung keine Geschworenen entscheiden dürften. Stimmen Sie dem zu?

Schiedel: Ja. Simon Wiesenthal hat gesagt, in Österreich wird kein Nazi verurteilt, weil die Geschworenen ihn immer frei sprechen. Das gilt auch bei Wiederbetätigungsprozessen. Ich wäre für Geschworene, wenn sie Ahnung von der Materie hätten. Neonazis haben es einfach. Die treten in Trachtenanzügen auf und sagen, wir hatten nur eine Sonnwendfeier und so weiter. Die Geschworenen sagen, die armen Jugendlichen, die kann ich nicht verurteilen. Das ist zumindest diskussionswürdig. (Saskia Jungnikl, derStandard.at, 27.8.2007)