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Schaut heute lieber auf die Gegenwart: William Gibson, US-amerikanischer Sci-Fi-Autor und geistiger Vater des Cyberspace. Soeben ist sein neustes Buch "Spook Country" auf Englisch erschienen.

Foto: Corbis

Standard: Mr. Gibson,Ihr neues Buch "Spook Country", das 2008 auf Deutsch bei Klett-Cotta erscheinen wird, befasst sich nicht mehr mit Zukunftswelten wie noch Ihre Vorgängerromane. Warum schreiben Sie jetzt lieber über die Gegenwart?

William Gibson: "Spook Country" spielt im Januar 2006, und zumindest einige frühere Charaktere aus "Mustererkennung" habe ich wieder eingebaut. Wissen Sie, das 21. Jahrhundert ist seit fast 30 Jahren mein Sujet. Deshalb reizte es mich, mich jetzt am uns bekannten 21. Jahrhundert zu versuchen. Und dieses Heute ist natürlich sehr viel komplexer und merkwürdiger, als ich es mir jemals hätte ausdenken können.

Standard: In den Achtzigern entwickelten Sie in Ihrem Roman "Neuromancer" die Idee des Cyberspace. War das die Phantasie eines Schriftstellers, die Jahrzehnte später real wurde? Oder haben Sie vielmehr etwas geschlussfolgert, was auf präziser Beobachtung des Lebens basierte?

Gibson: Ich denke, es war beides. Ich habe ja auch nicht als Einziger diese Zukunft am Horizont dämmern sehen. Einige Leute waren Schriftsteller, andere Wissenschaftler, manche beides. Was ich mir allerdings 1981 als Science-Fiction ausgemalt habe, sieht für mein Gefühl nicht sehr nach unserem heutigen 2007 aus. Es ist eben sehr viel einfacher, das Erscheinen neuer Technologien zu prophezeien als vorherzusagen, was eine Gesellschaft anschließend mit der Technologie anstellen wird. Beziehungsweise die Technologie mit der Gesellschaft.

Standard: Bereiten virtuelle Welten wie Second Life denn jene virtuelle Realität vor, die Sie selbst beschrieben haben?

Gibson: Ich habe mir nie Welten vorgestellt, die durch und durch unternehmerisch geprägt sind, wie Second Life es jetzt ist. Zugegeben, vielleicht habe ich anfangs mit dem Gedanken gespielt, ihn aber dann gleich wieder verworfen. Weil das zu offensichtlich gewesen wäre - und für eine Geschichte nicht interessant genug.

Standard: In den nächsten Monaten wird es eine Menge neuer 3D-Welten geben. Wie müssten die aussehen, damit sie die Internetkultur und unser Leben bereichern?

Gibson: Keine Ahnung! Ich wundere mich ohnehin darüber, was Menschen an virtuellen Welten attraktiv finden. Kosmetik und Immobilien?!

Standard: Vielleicht fliehen Menschen darin vor den Begrenzungen, die ihnen ihr reales Leben auferlegt?

Gibson: Der Anreiz liegt wohl eher in der Wahllosigkeit. Und an der mangelnden Komplexität.

Standard: Dennoch: Welche Chancen bieten diese 3D-Welten für das moderne Leben?

Gibson: Wir müssen sehen, was die Menschen am Ende damit anfangen. Ich habe beispielsweise kürzlich von einem Projekt mit Tieren mit künstlicher Intelligenz gelesen. Die Probanden würden sich diese Tiere kaufen, sich mit ihnen beschäftigen - und zwar, um die künstliche Intelligenz dieser Tiere zu steigern.

Standard: Seltsam genug... Apropos: Obwohl Sie doch als Ikone der Cyberworld galten, haben Sie sich jahrelang gegen einen E-Mail-Account gesträubt. Warum? Und wie kam es, dass Sie mittlerweile Ihre Meinung geändert haben?

Gibson: Solange keine Lernkurve zu erkennen war, interessierte mich das Medium nicht. Erst, als es zu einem echten Massenmedium wurde.

Standard: Wenn sich die Realität am Ende der Ideen von Science-Fiction-Schriftstellern, wie Sie einer sind, bemächtigt hat, worin liegen dann noch die Herausforderungen für Zukunftsliteratur?

Gibson: Das Handwerkszeug der Sci-Fi-Literatur im 20. Jahrhundert sorgte dafür, dass sich ein neuer literarischer Naturalismus entwickeln konnte. Und mit dem nähern wir uns nun dem 21. Jahrhundert.

Standard: Sie als Experte für das 21. Jahrhundert: Wagen Sie doch bitte eine Prognose für das virtuelle Leben in diesem Jahrhundert. Welche Innovationen warten auf uns?

Gibson : Es liegt in der Natur der Dinge, dass sich nicht vorhersagen lässt, wie sich neu auftauchende Technologien letztlich entwickeln werden. Und wie wir mit ihnen umgehen werden. Das ist es ja gerade, was sie so spannend macht. (Johannes Lau / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.9.2007)