Mit der Insel Sylt im Vordergrund bekommt man ein Gespür für die Größe der MS Europa, dabei ist sie als Luxusschiff eine der Kleinen ihrer Gattung. Schwimmbecken, Fitnessstudio und SPA-Bereich sind natürlich vorhanden, Innenkabinen werden erst gar nicht angeboten. Fast jede der bis zu 85 Quadratmeter großen Suiten hat eine eigene Terrasse, geselliger ist es auf dem Sonnendeck.

Zur Ansichtssache

Foto: Hapag-Lloyd
Grafik: STANDARD
Sagen Sie niemals Boot, niemals Kajüte und bitte auch nie, nie Kombüse! Dann wird alles gut. Auch Douglas Ward war zufrieden. Der gefürchtete und der Sage nach mit Lupe und Stirnlampe unter Matratzen kriechende britische Kreuzfahrt-Kritiker hat nichts gefunden, was der MS Europa die ultimative Auszeichnung "5-Sterne-plus" verwehren hätte können. Das Flaggschiff der deutschen Hapag-Lloyd-Flotte wurde heuer zum siebten Mal in Folge seit 2001 im Berlitz-Ranking zum besten Kreuzfahrtschiff der Welt gekürt.

Bevor die MS Europa (MS steht schlicht für Motorschiff; und dennoch sagt man nobel "die") Ende des Monats ihre 157-tägige Weltreise von Barcelona quer über den Globus nach Dubai antritt, hat sie in ihrer Heimatstadt Hamburg, in deren Hafen sie standesgemäß zu Hymnenklängen und wild winkenden Fans einfährt, noch einmal ordentlich gebunkert. Zum Beispiel Marmeladen, die man auf der südlichen Hemisphäre nur schwer kriegt. Des Weiteren 11.700 Flaschen Wein, 91 Kilogramm Kaviar und auch 12 Kilo Trüffeln. Im Zweiwochentakt wird nachgefüllt.

Im Verlauf von zehn Tagen verbrauchen die maximal 408 Passagiere nebst 280 Crewmitgliedern 1385 Kilogramm Fisch, 7550 Eier, 5260 Kilogramm Gemüse, 720 Flaschen Champagner und Sekt und 1200 Austern. In Frankreich wird man eventuell Käse dazuladen. Und selbst der Christbaum, den man im Dezember in Brasilien brauchen wird, ist längst bestellt.

Hotelmanager Josef Gruber, gebürtig aus Leoben, hat ihn in Bad Mitterndorf ausfindig gemacht. Bleibt nur die heikle Frage, ob und wann die zwölf Meter hohe Tanne die Einfuhrerlaubnis bekommen wird. Der Warentransfer ist eine knifflige Angelegenheit im Kreuzfahrtbusiness, weil manche Länder rigorose Schutzbestimmungen ausgeben, ganz ihrer Biosphäre zuliebe. Manchmal werden sogar die Reifen der schiffseigenen Fahrräder, die man für Landpartien mieten kann, auf fremde Erdreste hin überprüft.

Trotz der imposanten Zahlen ist die MS Europa aber ein kleines und natürlich höchst exquisites Exemplar ihrer Gattung und hat mit schwimmenden Hochhausgiganten, wie sie etwa US-Autor David Foster Wallace Mitte der 1990er-Jahre leidend beschrieben hat, nichts gemein. Die Fläche ist geradezu verschwenderisch verteilt auf 204 Kabinen (zwischen 27 und 85 Quadratmeter), allesamt Außenkabinen mit überwiegend eigenen Terrassen.

Man klappt in der Früh die Augen auf und sieht - am Atlantik-Deck - nur Ozean, der sich von knapp neben der Bettkante bis zum Horizont erstreckt. Immer Deck sagen! Niemals Etage sagen! Kapitän Hagen Damaschke, einen Seemann in dritter Generation, kann man mit inkorrekter Wortwahl (siehe auch oben) zwar nicht mehr aus der Fassung bringen, doch er leidet.

Richtig angewandtes Vokabular erhöht zudem ganz subjektiv die eigene Schiffstauglichkeit. Stolz bis über die Ohren erzählt man sich in der Havanna-Bar vom "Tendern", vom manchmal recht wackeligen Transfer in kleinen Booten an die Küste, oder über Ausflüge im "Zodiak", dem schwarzen Gummiboot für kleine Expeditionen.

Gegen Seekrankheit helfen allerdings nur kleine, blaue Tabletten, die zur Grundausstattung jedes Suite-Nachtkästchens gehören; Härtefällen steht ein Schiffsarzt mit Hospital zur Verfügung. Bekanntlich beugt auch ein gefüllter Magen der unerfreulichen Gleichgewichtsstörung vor.

Darum kümmert sich eine 30-Köche-Brigade, die jedem Klischee von Hochseevöllerei per definitionem die Absage erteilt. In drei Haute-Cuisine-Restaurants (italienisch, orientalisch, europäisch) werden bei fabelhaftem (!!) Service sechs- bis zehngängige Menüs angeboten. Ein Beispiel aus dem Europa-Restaurant: Iranischer Ossetra-Kaviar im Silberpokal mit Kartoffelpuffer, Blinis und Melbatoast, gefolgt von gebratener Gänseleberschnitte auf Vanille-Polenta mit Balsamico-Kirschen, dann frischer Hummer vom Grill mit Tomaten-Basilikum-Buttersauce mit Zitronen-Cappellini und Gemüsebouquet, schließlich eine Auswahl vom Tölzer Kasladen und Orangensorbet mit Champagner.

Danach ist man erstaunlicherweise immer noch fit für einen Cocktail oder - zu weiter vorgerückter Stunde - für eine Currywurst am ungezwungenen Lido-Deck. Figurbewussten offeriert Küchenchef Peter Springer seine Cuisine legère.

Zurück zur Suite: "Kabine" wäre für die MS Europa eine echte Untertreibung. Auch noch so viel mitgebrachte Abendrobe mag das in der begehbaren Garderobe gezählte Reservoir an gezählten 48 Kleiderbügeln nicht auszuschöpfen. Für echte Weltreisende, von denen es jährlich zirka dreißig Personen gibt, liquide Ruheständler oder Burnout-Opfer, macht die Geräumigkeit des Ankleidezimmers freilich Sinn. 50 Prozent der MS Europa-Reisenden sind Stammgäste, 80 Prozent deutschsprachig.

Ein Schritt auf die Zimmerveranda genügt, und der Pyjama lernt dort die Gischt kennen. Recht erfrischend! Actionheroes wagen sich frühmorgens ganz hinauf auf die Openair-Joggingpiste am BellevueDeck oder ins sonnenbelichtete, gläserne Turnzimmer am Penthouse-Deck, in dem eine Trainerin wechselndes Fitnessprogramm anbietet. Natürlich gibt es auch ein Fitnessstudio, ein Schwimmbecken (20 Meter), eine Sauna und einen neu gestalteten SPA-Bereich.

Wer das alles nicht braucht, kuschelt sich zurück in die Federn (oder Nicht-Federn, je nach Allergiker-Status, auf jeden Wunsch wird Rücksicht genommen) und bedient sich am eingespeicherten halben Kinojahrhundert (exklusive "Titanic"), Hörspiele sind geplant, aber noch nicht geladen. Der Bord-Fernsehkanal informiert über das Veranstaltungs- und Ausflugsangebot des Tages und die aktuelle Großraumwetterlage, die einen nie zuvor so brennend interessiert hat. Schließlich steht bei der viertägigen Schnupperfahrt von Kiel nach Hamburg eine Shoppingtour in Kopenhagen und ein Spaziergang auf Sylt zur Debatte. Beides klappt hervorragend, und wer keine Angst vorm Tendern im Dunkeln hat, der bricht in Gummistiefeln noch einmal nach Sylt zur Wattwanderung auf.

Die größten Veränderungen der vergangenen Jahre, so Kapitän Damaschke, haben sich aus den Umweltschutzanforderungen ergeben. Die 1999 in Betrieb genommene und bei der letzten Werftkontrolle im Frühjahr dieses Jahres nachgerüstete MS Europa verfügt über eine eigene Wasseraufbereitungsanlage, um den durchschnittlichen Bedarf von 230 Tonnen Frischwasser täglich decken zu können (es gibt neue SPA-Suiten mit eingebauten Whirlpools).

Eine bordeigene Müllverbrennungs- und Müllpressanlage löst zum großen Teil das Abfallproblem. Ein Novum sind Abgassteuern. "In Norwegen müssen wir bereits für den CO2-Ausstoß bezahlen", sagt der Kapitän. "Das wird die Zukunft." (Margarete Affenzeller/Der Standard/RONDO/28.09.2007)