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Die konkreten Vorwürfe im Microsoft-Prozess, Behinderungsmissbrauch und Koppelung von Windows und dem Media Player, sind nicht mehr aktuell. Dennoch hat das Urteil bedeutsame Folgen für die Entwicklung des EU-Kartellrechts.

Foto: Reuters/Pirlet
Vergangene Woche fand das Verfahren Microsoft gegen die EU-Kommission (T-201/04) mit dem Urteil des Europäischen Gerichts erster Instanz (EuG) ein vorläufiges Ende.

Das Gericht musste klären, ob Microsoft seine marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für PC-Betriebssysteme missbrauchte, indem es Informationen und Protokolle von Windows nicht an andere Unternehmen weitergab, die für die Kommunikation zwischen PCs und Netzwerkservern erforderlich sind (Schnittstelleninformation) und für die Entwicklung von Konkurrenzprodukten auf dem Markt für Betriebssysteme von Netzwerkservern benötigt werden. Die weitere Frage war, ob die Integration des "Media Players" in Windows (Koppelung), ohne Windows auch ohne "Media Player" anzubieten, missbräuchlich war. In beiden Fällen würden - so der vom EuGH bestätigte Vorwurf der Kommission - Wettbewerber von Microsoft aus dem Markt für Betriebssysteme und Multimediaprogramme gedrängt (Behinderungsmissbrauch).

Der Markt hat sich seit Beginn des Verfahrens 1998 verändert. Vista folgte Windows, Microsoft gab inzwischen wesentliche Teile der Schnittstelleninformationen an Wettbewerber weiter und bietet nun Windows auch ohne "Media Player" an. Dennoch wird das Urteil die Entwicklung des Wettbewerbsrechts und der Industrie mitbestimmen.

Die Frage, welches Verhalten marktbeherrschende Unternehmen im Wettbewerb setzen können und wann der Missbrauch beginnt, wird seit Längerem diskutiert. Bereits 2005 veröffentlichte die EU-Kommission ein Diskussionspapier zum Behinderungsmissbrauch, doch hat sie seither noch keine entsprechenden Leitlinien formuliert. Das EuG-Urteil könnte dafür nun eine willkommene Anleitung bieten. Leitlinien haben zwar keine bindende Wirkung für Gerichte. Dennoch sind sie in der Praxis für die Anwendung des europäischen und nationalen Kartellrechts wichtige Auslegungshilfen und beeinflussen dessen Zukunft.

Auch die Industrie wird das Urteil in ihrem Verhalten berücksichtigen. Der Teil des Urteils über die Weitergabe von Schnittstelleninformationen betrifft die zentrale Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmen verpflichtet ist, Wettbewerbern (Zwangs-) Lizenzen von gewerblich geschützten Rechten wie etwa Patenten einzuräumen. Dabei geht es um die Abwägung der Interessen des Eigentümers von Schutzrechten, die Ergebnisse seiner Innovation exklusiv zu nutzen, mit dem Interesse an einem freien Wettbewerb durch Zugang Dritter zu den Schutzrechten.

Mehr Ausnahmen

Laut ständiger Rechtsprechung kann das Interesse am freien Wettbewerb nur ausnahmsweise vorrangig sein; das EuG hat diese Ausnahmen aber nun etwas weiter gefasst, als dies nach der bisherigen Judikatur (IMS, Magill, Oscar Bronner) der Fall war. So sei ein marktbeherrschendes Unternehmen zur Weitergabe von Schutzrechten durch Zwangslizenzen nicht nur dann verpflichtet, wenn dies für die Entwicklung eines neuen Produktes und Produktmarktes erforderlich ist, sondern bereits wenn die technische Weiterentwicklung eines bestehenden Marktes dies notwendig macht. Manche erkennen darin eine Gefahr für Innovationsanreize: Wenn Unternehmen die Möglichkeit genommen wird, ihre geschützten Rechte alleine zu nutzen, investieren sie weniger. In diesem Sinne hat sich etwa das US-Justizministerium kritisch zum Urteil geäußert.

Der zweite Teil des Urteils - Koppelung des Media Player mit Windows - beantwortet die Frage, inwieweit marktbeherrschende Hersteller von Plattformen wie dem Windows-Betriebssystem weitere Anwendungen wie Multimediaprogramme in ihre Plattform rechtmäßig integrieren können. Manche argumentieren, dass es im Interesse der Konsumenten ist, wenn Plattformen Anwendungen integrieren - an Windows ohne Media Player besteht jedenfalls bisher kaum Interesse. Doch dies behindere, so die Kommission, die Entwicklung von Anwendungen durch andere Unternehmer.

Nach der Bestätigung durch das EuG ist damit zu rechnen, dass die Kommission gestärkt an die Umsetzung ihrer Wettbewerbspolitik gehen wird. Ob die Aussagen des Gerichts nur für die Softwareindustrie gelten und inwieweit sie auch andere marktstarke Unternehmen treffen können, wird erst die Praxis der kommenden Jahre zeigen. (Günter Bauer*, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 26.9.2007)