Roland Mangold: Horrorvorstellung wie im Fall Kampusch

Foto: Hochschule der Medien, Stuttgart
Über den Fall sprach Birgit Baumann mit ihm. STANDARD: Warum beschäftigt der Fall Madeleine die Menschen so sehr? Mangold: Da ist die Horrorvorstellung vieler Eltern Wirklichkeit geworden: Sie kommen nach Hause und ihr Kind ist weg. Ähnlich war es ja auch im Fall Kampusch. Das Kind wird jahrelang wie eine Sklavin gehalten. Das bewegt. STANDARD: Bieten die Eltern aus der Mittelschicht hier spezielle Identifikationsmöglichkeiten? Mangold: Ein süßes Mädchen, nette Eltern, das kann man gut nachempfinden. Man ist froh, dass einem das nicht selber passiert. Andererseits fühlt man mit und denkt sich: Ach Gott, wie schlimm. Dazu kommt, dass das ganze ein Krimi ist. Es ist ja unklar, was passiert ist. Deshalb bleibt es so beharrlich in den Medien. Man will wissen, wie es nun weitergeht. STANDARD: Der Fall Madeleine ist also bessere Unterhaltung als jeder TV-Krimi, weil er echt ist? Mangold: Wir wissen aus Untersuchungen von Unterhaltungsfilmen, dass man da mitfiebert und Emotionen verspürt. Man will auch das Gefühl der Traurigkeit spüren, doch so, dass es nicht für einen gefährlich wird. Denn im Alltag möchte man ja nicht wirklich den Verlust eines Verwandten betrauern. Bei Madeleine haben Sie noch mehr Kitzel als im Spielfilm. Das ist Realität, ohne dass man betroffen ist. Näher können Sie nicht dran sein - außer Sie gaffen beim Unfall, wie die Verletzten wegtransportiert werden. STANDARD: Vor allem die britischen Boulevardmedien sind ja sehr auf der Seite der McCanns. Mangold: Boulevardmedien machen sich gerne zum Anwalt des kleinen Mannes, der gegen den übermächtigen Staat ankämpft. Aber es herrscht schon die Tendenz, Portugal als unterentwickelten Rechtsstaat darzustellen. STANDARD: Welche Rolle spielen die Eltern? Mangold: Sie agieren sehr medienwirksam, etwa indem die Mutter immer Madeleines Stofftier bei sich hat. Sie sind in viele Länder gereist und haben wie wenige Leute zuvor gewusst, die Medien zu bedienen. Doch mittlerweile können sie das nicht mehr richtig steuern, es ist ihnen entglitten, wie es ja auch im Fall Kampusch passiert ist. Die Medien sind ein Tiger, den man reiten können muss. Sollte sich herausstellen, dass die Eltern doch Schuld am Verschwinden tragen, kann das ganz böse umschlagen und zur Kampagne gegen sie führen. STANDARD: Welchen Rat haben Sie für die Familie Kampusch, die ja auch zwischen Bedürfnis nach Ruhe und Mitteilsamkeit zerrissen wird? Mangold: Ich sehe das sehr kritisch. Dieses Mädchen ist ja geschädigt, und ich hätte als Eltern alles getan, um sie abzuschirmen. Denn Öffentlichkeit ist nicht hilfreich beim Verarbeiten. Wenn Natascha Kampusch sich in den Nachrichten sieht, kommt das Trauma ja wieder hoch. STANDARD: Geht der Vorwurf also auch an die Medien? Mangold: Nein, die Medien machen auch nur ihre Arbeit. Die Familie Kampusch müsste die Kompetenz zeigen und sagen: Wir stehen für Interviews nicht zur Verfügung. (Birgit Baumann/DER STANDARD – Printausgabe, 22./23.9.2007)