Ansichtssache: Gerichtszeichnungen von Oliver Schopf

Gerichtszeichnung: Oliver Schopf
Tag 29 im Bawag-Prozess, Zeuge Ex-ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch: Er erzählte über die Verlustjahre 1998 bis 2000 und seine - bescheidene - Reaktion. Nachgefragt hat er kaum, die Bayern, die "geholfen hätten", blieben uninformiert, damit die Bank dem ÖGB bleibt.

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Wien - Der Andrang war gewaltig, die Aufregung ebenso, als Auslöser für selbige (zunächst) nicht erschien. Zeugenattraktion des Tages 29 im Bawag-Prozess war Ex-ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch. Als er kurz vor elf Uhr aufgerufen wurde, erschien - niemand. Unruhe, Richterin Claudia Bandion-Ortner verordnet "fünf Minuten Pause, wir gehen auf die Suche". Was sich erübrigt, Verzetnitsch kämpft sich durch Blitzlichtgewitter in den Saal.

Vor der Einvernahme Verzetnitschs (er war von 1987 bis März 2006 Präsident des ÖGB, dem die Bank bis 2004 mehrheitlich und dann ganz gehört hat) wurden noch einmal Helmut Elsner und Günter Weninger befragt, wann sie ihn worüber informiert hatten. Elsner sagte: kurz nach dem 27. Dezember 1998. Ob Verzetnitsch über die weiteren Geschäfte mit Flöttl informiert worden sei? Elsner: "Nein." Dauer des Gesprächs (an das sich Verzetnitsch gar "nicht erinnert"): eine halbe Stunde. Es ging, zur Erinnerung, um einen Verlust von 639 Mio. Dollar.

Und Weninger: "Ich habe Verzetnitsch Ende 1998 gesagt, was mir gesagt wurde: Dass ein großer Verlust durch Flöttl entstanden ist. Ich nehme an, dass ich ihm auch die Höhe gesagt habe, aber vielleicht hat er das so nicht registriert." Und: "Ich nehme an, dass ich ihm nichts verschwiegen habe." Warum er bis vor Kurzem ausgesagt hat, Verzetnitsch erst 2000 informiert zu haben? "Er stand unter Druck von allen Seiten, ich wollte ihn aus der Geschichte raushalten."

Der Frage, inwiefern sich der Gewerkschaftschef bis 2000 (da trat der Totalverlust von 1,4 Mrd. Euro ein, Verzetnitsch gab die ÖGB-Garantie ab) am Laufenden halten ließ, widmete sich das Gericht stundenlang, die Zusammenschau der Schilderungen des Pensionisten ergibt ein Panoptikum aus Stille-Post-Spiel und Laisser-faire à la ÖGB.

Alles erledigt

Der Verlust 1998 war für den Zeugen "noch im gleichen Jahr erledigt, weil er ja laut Weninger gleich bereinigt wurde". Die Verlusthöhe habe er aus demselben Grund gar nicht gekannt, "sie war für mich nicht ausschlaggebend". Man habe ja auch im Geschäftsbericht "nichts davon gesehen, also war die Sache für mich erledigt". Ob er 1998 über die nächsten Geschäfte mit Flöttl (den er einmal, in New York, bei einem gemeinsamen Mittagessen mit Henry Kissinger getroffen hat) verständigt wurde? "Ich kann mich nicht erinnern."

Vom Totalschaden im Jahr 2000 sei er am 20. Dezember 2000 von Weninger verständigt worden, "ich war entsetzt und habe Auftrag gegeben, zu untersuchen, wie das passieren konnte". Das Verlust-Audit von Arthur Andersen (vier Seiten, sagt im Wesentlichen aus, dass das Geld weg ist; Anm.) wurde "mir mündlich zur Kenntnis gebracht, ich habe es nicht gelesen". Das Geständnis Flöttls (das dieser bestreitet) "habe ich mir nicht angeschaut". Das Gutachten eines Universitätsprofessors zur Frage, ob man den Aufsichtsrat informieren müsse, "habe ich mir nicht durchgelesen", was aber damals gar nicht ging, weil es erst 2003 schriftlich vorlag. An sein Dabeisein beim Bawag-Weihnachtsessen 2000 kann sich Verzetnitsch (im Gegensatz zu den Angeklagten) "nicht erinnern", aber dort hätte er sowieso nichts von den Verlusten erfahren. Denn, so Elsner empört: "Beim Weihnachtsessen haben wir sicher nicht über Verluste geredet." Die Richterin ätzend: "Aber über Geschenke oder so."

Jedenfalls habe er, Verzetnitsch, dann über Vorschlag Weningers und unter Beistimmung des (angeklagten) Wirtschaftsprüfers die Garantieerklärung abgegeben, "weil ich informiert wurde, dass es ohne Haftung keine Bilanzierung gibt". Mit der Garantie habe er seine Befugnisse sicher nicht überschritten; was sein Nachfolger Rudolf Hundstorfer massiv bestreitet.

Alles bestens

Der Rest der Geschichte ist bekannt, aber die Erklärungen Verzetnitschs sorgten doch für große Augen: "Um vom ÖGB Schaden abzuwenden", unterschrieben er und Weninger die Haftungen, denn wäre die Sache aufgekommen, hätten "die anderen (politischen Gegner; Anm.) den ÖGB in ein schiefes Licht gerückt". Mithilfe der Garantie sei es ja auch gelungen, "das Vermögen des ÖGB zu sichern". Murmeln im Publikum, das sich möglicherweise an den "Zwangsverkauf der Bank" (O-Ton Hundstorfer) erinnerte, aber Verzetnitsch blieb dabei: "Aus der Haftung ist nie ein Cent schlagend geworden."

Als der ÖGB-Chef auf Bitte des Staatsanwalts das Verhältnis zum Miteigentümer BayernLB beschrieb (ihr gehörten damals 46 Prozent der Bawag), wurde einiges klarer. Etwa die Tatsache, warum die Bayern erst im Vorjahr von den Verlusten erfahren hatten und warum nicht "wenigstens der Aufsichtsratsvizechef (damals Ex-BayernLB-Chef Alfred Lehner; Anm.) informiert wurde. Verzetnitsch sehr offenherzig: "Die Bayern wären uns vielleicht sehr freundlich zu Hilfe gekommen, etwa mit einer Kapitalerhöhung, bei der wir aber nicht mitziehen hätten können. Damit hätten sie die Mehrheit der Bank gehabt, und wir wollten die aber in österreichischen Händen halten." ÖGB-Anwältin Gerda Kostelka-Reimer wollte wissen, was daran "so schlimm gewesen wäre". Verzetnitsch: "Diese Debatte in Österreich hätte ich gerne mit Ihnen miterlebt." Hätte er den Aufsichtsrat informiert, wäre "der Schaden sofort in der Öffentlichkeit gewesen". O-Ton des Zeugen: "Wenn Aufsichtsrat Erich Foglar von den Verlusten erfahren hätte, hätte das (Ex-Metaller-Chef; Anm.) Rudolf Nürnberger erfahren, und der Verlust wäre an die Öffentlichkeit gekommen." Kurzum: "Wir haben die richtige Vorgangsweise gewählt."

Alles angenehm

Vergleichsweise unaufregend war die Aussage der ersten Zeugin gewesen, der Ex-Sekretärin Elsners, Sandra Rogatsch. In ihrem Haus waren Bankunterlagen Elsners beschlagnahmt worden, aber das lag nur daran, "dass ich sein Privatkonto auch nach dessen Pensionierung betreut habe". Von Verlusten hat Rogatsch nichts mitbekommen, aber dafür, dass nach Abgang ihres "superangenehmen Chefs" alle selbigen "vermisst haben". Die Anwesenden bestätigten das nicht. (Renate Graber, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.09.2007)