Von der Küste aus fast uneinsehbar liegt das ehemalige Piratennest Olympos an einem steilen Berghang.

Foto: karpathos.gr

Vor dem Kafenion am Dorfplatz von Olympos sitzen wir wie in einem Openairkino. Von allen Seiten her führen schmale Gässchen, immer wieder durch Stufen unterbrochen. Sie laufen auseinander, treffen wieder zusammen, verzweigen und verlieren sich zwischen verschachtelten, kubischen Häuschen. Es scheint, als hätte ein Kind nicht genügend Platz gehabt, all sein Spielzeug ordentlich aufzubauen. Das gilt wohl auch für die lange Reihe von mehr als zwanzig alten Windmühlen, die auf einem schmalen Felsgrat kleben. Hier stehen ein paar junge Frauen in paillettenbesetzten Trachten und plaudern, dort taucht eine alte Frau auf, einen mit Säcken beladenen Esel hinter sich herziehend. Sie verschwindet in der nächsten Gasse.

Olympos ist das abgelegenste und gleichzeitig bekannteste Dorf auf der zweitgrößten Dodekanesinsel in der südlichen Ägäis, der Insel Karpathos. Bis vor wenigen Jahren gab es keine Straßenverbindung zu diesem hoch gelegenen Bergdorf, und doch kamen die Besucher in Scharen mit dem Schiff zum Hafen Diaphanion und dann mit dem Geländewagen über eine Piste nach Olympos. Das Dorf ist nämlich ein lebendes Museum.

Noch heute tragen die Frauen, junge wie alte, in diesem Dorf ihre farbenfrohen Trachten auch im Alltagsleben. Das Brot backen sie in großen öffentlichen Öfen, zu denen jeder Zugang hat. Untereinander sprechen die Bewohner des Dorfes einen Dialekt, der zum Erstaunen der Altphilologen jenem entsprechen soll, der vor mehr als 2000 Jahren in Sparta gesprochen wurde und sonst nirgendwo mehr lebt.

Heute gibt es eine einfache Straßenverbindung von der Inselhauptstadt Pigadia im Süden über die langgezogene und wilde Insel Karpathos. Aber der Zustand der Straße ist so schlecht, dass die Taxifahrer aus Pigadia einen unchristlich hohen Preis für die Fahrt nach Olympos verlangen. Doch Karpathos lohnt das Erforschen wie keine zweite Dodekanesinsel.

Lukullisch genossen

Im Altertum war die Insel berühmt wegen der edlen Fische, die hier gefangen wurden, und die der römische Feinschmecker Lukullus sich mit Schiffen nach Rom bringen ließ. Bis in die Neuzeit galt Karpathos als die Seeräuberinsel schlechthin, kein Wunder, die felsig zerklüftete Küste bot zahlreiche Verstecke. Als nach jahrhundertelanger türkischer Besetzung die Insel 1912 an Italien fiel, begannen die neuen Herren mit einem großzügigen Aufforstungsprogramm auf der kahlen Insel. Das gelang so trefflich, dass Karpathos lange Zeit als die "Grüne Insel" bezeichnet wurde. Verheerende Brände haben allerdings schon 1983 und 1990 – von den jüngsten war die Insel ja nicht betroffen – große Öl- und Obstbaumplantagen zerstört.

Im Gegensatz zu Rhodos oder Kos ist Karpathos keine vom Tourismus überflutete Insel. Vor allem der Norden kann noch als relativ unberührt und urwüchsig bezeichnen werden. Immer wieder bieten sich faszinierende Ausblicke auf kleine Sandbuchten, dann wieder windet sich die Straße an der Westküste unmittelbar am Wasser entlang, wo vereinzelt Tavernen am Strand liegen.

Von einer Passhöhe hinab schauen wir auf die Bucht von Lefkos, die sich als eine Art "Zweigstelle vom Paradies" entpuppt, einsam und besonders malerisch. Nur zweimal in der Woche kommt ein Linienbus von Pigadia her zu dem entlegenen Hafen. Es gibt hier lediglich ein paar Fischer- und einige moderne Apartmenthäuser an einer von bunten Booten übersähten Hafenbucht. Als "Trockendock" für Fischerboote dient der Chor einer frühchristlichen Basilika, die arabische Piraten im siebten Jahrhundert zerstört haben sollen. Unter dem Sand vermutet man noch kostbare Mosaikböden.

Aushängeschild!

Das Heimatmuseum Karpathos' dürften wir nicht versäumen, hatte man uns in Pigadia noch eingeschärft. Nun, das Museum im Dorf Othos ist nicht leicht zu finden, der Weg dorthin nicht ausgeschildert. Doch die Mühe lohnt sich, ist es doch von der Gestaltung und Einrichtung das interessanteste Volkskundemuseum im ganzen Dodekanes. Selbst auf der Insel Rhodos gibt es nichts Vergleichbares. Untergebracht ist es in einem inseltypischen Haus aus dem Jahre 1825, in seinem Inneren besticht es durch die so charakteristische Farbenfreudigkeit. Deutlich wird die noch vorhandene matriarchale Gesellschaftsstruktur hier dargestellt: Stets bekam die älteste Tochter das Elternhaus, weiteren Töchtern wurde ein eigenes Haus gebaut. Die Alten mussten dann mit einem Zimmer vorlieb nehmen, das als einziges im Haus beheizt war, weshalb sich im Winter die ganze Familie hier aufhielt.

Wer Karpathos der stillen Badebuchten wegen bereist, wird neben der Umgebung von Lefkos vor allem an der Ostküste fündig – das Meer hat hier oft noch bis in den späten Oktober 25 °C. Von Diaphanion im Norden reiht sich eine wilde Bucht an die andere. Sie alle haben den Nachteil, dass man sie nur zu Fuß und über abenteuerliche Pisten erreichen kann. Oder aber mit dem Boot, wie es einst der als Postbote tätige Mönch Georgios Stamboulis machte. Er brachte die Post zu abgelegenen Häusern und soll sich dort, so wird berichtet, mehr um die einsamen Fischerfrauen gekümmert haben, als es den Ehemännern lieb war. Jedenfalls hat er sich selbst in der Bucht von Agios Nikolaos unterhalb von Spoa noch zu Lebzeiten ein Denkmal errichtet. (Christoph Wendt/Der Standard/Printausgabe/15./16.9.2007)