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Reich wird man auf Ibiza mit Qualitätswein nicht.

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Seit vielen Jahren bemüht sich Ibiza mit agrotouristischen Initiativen vom Image der Partyinsel loszukommen.

Ein nebliger Morgen auf dem Weingut Can Rich im Hinterland von Sant Antoni: Die Luft ist derart feucht, man könnte sie fast trinken. Víctor stemmt den klebrigen schwarzen Eimer aus der Hüfte und wuchtet die Bündel handgelesener Tempranillo-Trauben in den Bauch des Stahlcontainers. Mit Jugendfreunden aus Paraguay und ein paar Ecuadorianern will er einen Monat lang Beeren pflücken - auf Ibiza. Zehn bis zwölf Stunden täglich, für acht Euro die Stunde. Begriffe wie Merlot, Cabernet oder Moscatel sind für die südamerikanischen Tagelöhner böhmische Dörfer. Wein ist etwas für verwöhnte Europäer, die an blitzenden Gläsern nippen, sagen ihre Gesichter.

Lesemarathon

Für Toni Costa könnte in den Wochen der Weinlese der Tag 30 Stunden oder mehr haben. Er ist nicht nur Geschäftsführer von Can Rich, er muss sich ganz nebenbei auch noch um sein eigene Hausmarke vom Gut Can Maymó kümmern. Der Ibizenko ist Herr über 23 Hektar Weinland, 17 liegen auf dem Land von Can Rich, auf sechs kommt er mit seinen Rebstöcken rund um die Hügel von Sant Mateu im noch unberührten Inselnorden selbst. "Wir müssen uns bei der Qualität hinter den großen Namen nicht mehr verstecken", beginnt er seine Hymne auf die neue Generation der Inselweine. Ungeheuer aufgeholt habe man in den vergangenen Jahren, Unsummen in die Ausstattung und wertvolles Know-how investiert.

Zwischen den Rebstöcken liefern sich derweil die Erntehelfer aus Paraguay und Ecuador ein Wettrennen. In der Schneise rechts vom Traktor, der den Stahlcontainer alle paar Minuten wenige Meter weiterzieht, wuseln Víctor und seine Freunde, links davon versuchen die Ecuadorianer dagegenzuhalten. Für sie ist die Weinlese dennoch eine willkommene Abwechslung zu den Kräfte zehrenden Jobs am Bau. Heckenschere ansetzen, Schnitt und eine lässige Handbewegung, schon liegt das Traubenbündel im schwarzen Eimer zu ihren mit roter Erde bedeckten Füßen.

Junger Stockeinsatz

Der Stolz auf das bisher Erreichte versperrt Toni Costa nicht die Sicht auf die Realität. Gehobene Weinkultur steckt auf Ibiza noch in den Kinderschuhen. Can Maymó pflanzte seinen ersten Qualitätsrebstock 1990, Can Rich zog sieben Jahre später nach. Für den Jahrgang 2007 ist er optimistisch. Regenfälle im vergangenen Herbst und Winter, so lautet seine Erfolgsformel für gelungene Tropfen, füllten die Speicher des Bodens mit ausreichend Wasser für den trockenen Sommer. Die Früchte sind klein und hart, ein Segen für die Winzer.

Vor wenigen Jahren noch kannten Weinbauern wie Toni Costa aus nächster Nähe nur die Rebsorte Monastrel. Die ist robust, benötigt wenig Wasser und gedeiht im gesamten spanischen Mittelmeerraum. Joan Bonet vom Weingut Sa Cova in Sant Mateu war 1990 der Erste, der erkannte, dass der Monokultur etwas entgegengesetzt werden musste. So schaute er sich nach Sorten um, mit der ein Wein von hoher Qualität hergestellt werden konnte. Und er entdeckte solche wie Tempranillo, Syrah, Merlot, Malvasía und Moscatel. Doch damit nicht genug. Für viel Geld leistete er sich modernste Maschinen für die verschiedenen Prozesse der Weiterverarbeitung. Auf Ibiza begann ein neues Zeitalter der Weinkultur.

Als die Schatten unter der Sonne langsam länger werden, haben Víctor und die anderen Tagelöhner den stählernen Container zweimal bis zum Rand mit Trauben gefüllt. Nun schmerzen die Glieder und das Sprechen fällt schwer. "Noch kurz etwas essen, und dann ab ins Bett", sagt er stellvertretend für alle. Morgen um acht geht es weiter.

Eine Halle zum Reifen

Ortswechsel. Weg aus der grünen Lunge der Insel, hinein in das schmucklose kleine Industriegebiet Can Negre am Ortsausgang von Ibiza-Stadt. Über dem Eingang der Halle, in der von außen betrachtet auch alte Autoreifen lagern könnten, weist ein großes Schild den Weg - "Fábrica de Licors Aniseta". Hier werden all die Kräuter, die aus Ibizas nährstoffreichem Boden sprießen, zu "Hierbas" veredelt, jenen mal süßen, mal trockenen inseltypischen Schnaps, der noch heute in fast allen ibizenkischen Familien auf den Tisch kommt. Doch der Schein der weitläufigen Halle trügt, das Unternehmen besteht im Wesentlichen aus Fernando Ferrer Cardona und seiner deutschen Frau Eva.

Als sie vor gut einem Jahr von der Balearenregierung gefragt wurden, ob sie sich vorstellen könnten, interessierten Besuchern ein wenig über die Geschichte ihres Kräuterlikörs zu erzählen, da sagten Fernando und Eva spontan zu. Auch sie sind es ein wenig leid, dass Ibiza nur Assoziationen mit Sex und Drogen hervorruft.

Für die wenigen, die sich im ersten Sommer in die zu großen Halle verirren, hat Fernando so manches kuriose Detail aus der Familiengeschichte parat. Etwa, dass die knallrot gestrichen Maschinen und der kupferne Dampfkessel bereits von seinen beiden Onkeln Vicent und Joan Mitte des vergangenen Jahrhunderts geschätzt wurden. Oder dass es Familientradition ist, gemeinsam die duftenden Wiesen der Insel zu durchstreifen, immer auf der Suche nach Thymian, Rosmarin, Anis, Wacholder und anderen Kräutern, die für die nächste Abfüllung bestimmt sind.

Von Automatisierung, wie sie langsam in der gehobenen Weinproduktion auf Ibiza Einzug gehalten hat, hält man bei der "Fábrica de Licors Aniseta" nicht viel, "bei uns ist noch Handarbeit angesagt", erzählt Fernando, "über den gesamten Herstellungsprozess hinweg".

Damit auch die letzten Zweifel an den Worten des Nostalgikers, sollten sie denn noch vorhanden sein, ausgeräumt werden, schnappt sich Fernando eine der massiven rechteckigen Schnapsflaschen und stellt sie vor sich ab. Dann greift er in einen Jutesack, gefüllt mit einem guten Dutzend getrockneter Kräuter, und hält den Besuchern eine Hand voll unter die Nase. "Hier gibt es keine Maschinen, die die Auswahl der Kräuter per Hand ersetzen. Das machen wir Flasche für Flasche noch selbst." Nach etwa einer Stunde ist Schnapskunde vorbei, nun darf am Ausgang endlich gekostet werden.

Seit einigen Jahren bemüht man sich auf Ibiza neben dem Partytourismus, der den Bewohnern zunehmend ein Dorn im Auge ist, ein touristisches Alternativangebot auf die Beine zu stellen. Wen also ein schlechtes Gewissen beschleicht, eigentlich schon wieder eine Sauftour gemacht zu haben, der kann dieses mit ein wenig körperlicher Ertüchtigung beruhigen. Mit einer zügigen Mountainbike-Tour zum Beispiel lassen sich Wein und Schnaps vortrefflich ausschwitzen. Werner Rüsing macht den Anschein, als bewege er sich auf Ibiza nur mit Muskelkraft fort. Seit vielen Jahren zeigt der gesprächige Deutsche Urlaubern die Insel vom Sattel aus, und zwar jene Teile der Insel, die man mit dem Mietwagen tagelang vergeblich sucht. "Ganz klar im Vordergrund steht das Kennenlernen der Insel", beruhigt Rüsing all jene, die zu Hause nicht mehrmals in der Woche über Bergpässe flitzen.

Auf halber Strecke vom touristischen Santa Eulària im Süden ins Sechs-Seelen-Dorf Santa Agnès im ruhigen Inselnorden erhebt sich abseits der asphaltierten Straßen das Wehrdorf Balàfia. Ein willkommener Anlass, vom ausgeliehenen Mountainbike zu steigen und ein wenig Inselgeschichte aufzusaugen. Gut, dass Rüsing nicht nur stramme Waden hat, sondern zu der Ansammlung von fünf massiven Häusern im kubischen Stil und den zwei mächtigen Türmen auch ein paar Sätze sagen kann. Eine Viertelstunde später zieht die Karawane weiter, noch immer sichtlich beeindruckt von der gleichzeitig so harmonischen wie auch zweckmäßigen Bauweise, die die Mauren im 10. Jahrhundert auf die Insel brachten. "Nächster Halt Santa Agnès", brüllt Tourguide Rüsing und bahnt sich an der Spitze den Weg durch ein Kieferwäldchen. (Reinhard Adel/Der Standard/Printausgabe/15./16.9.2007)