Sam Shropshire, Stadtrat von Annapolis, Maryland, hat etwas "Unamerikanisches" vor: Plastiksackerl verbieten.

Foto: Frank Herrmann
Die Wende beginnt mit einem schnellen Griff in den Karton. Aus dem zieht Sam Shropshire einen Beutel hervor, grasgrün, reißfest und wiederverwendbar. "Das ist die Lösung", sagt er und schwenkt die Stofftasche, als hätte er ein Patent dafür bekommen.

Sie ist sein Erkennungszeichen, ein Talisman für die entscheidende Runde im Oktober. Dann setzen sich die acht Stadtabgeordneten von Annapolis in der City Hall zusammen, um über einen Antrag ihres Kollegen Shropshire zu entscheiden. Dann will die Hauptstadt des Bundesstaats Maryland vielleicht das Symbol amerikanischer Konsumkultur zum Tabu erklären. Sie will das Plastiksackerl verbieten.

Noch braucht man viel Fantasie, um es sich vorstellen zu können, auch im beschaulichen Annapolis. Bei Giant und Safeway, den großen Supermarktketten, packen die Kassierer die Ware vom Band weg direkt in den hauchdünnen Kunststoff. Niemand erwartet, dass der Kunde nach Alternativen fragt. Theoretisch gibt es sie, in Form von braunen Papiertüten - unterm Ladentisch. Kaum jemand kommt auf die Idee, danach zu verlangen. Papier reißt, weicht auf, wenn es regnet. Und Amerikaner haben es gerne bequem.

Verschmutzte Natur

Rund 100 Milliarden Plastiksackerl, schätzt Shropshire, schleppt die weltgrößte Konsumnation jedes Jahr nach Hause. Zu 99 Prozent landen sie auf Müllhalden. Weht der Wind sie weg, verhaken sie sich an Zäunen und Hecken und Autobahnplanken, landen in Flüssen und Meeresbuchten. In Annapolis waren es Hiobsbotschaften aus der nahen Chesapeake Bay, die aufhorchen ließen. Fische, Seevögel und Schildkröten erstickten qualvoll, nachdem sie Plastikfetzen, die wie Quallen im Wasser trieben, verschluckt hatten. Alexandra Cousteau, die Enkelin Jacques Cousteaus, des Meeresbiologen, ließ den Wecker schrillen.

Sam Shropshire wiederum hat gesehen, dass es auch anders geht. Schon immer zog es ihn in die Welt hinaus. Mitte der Sechziger, als Alexander Dubcek in Prag einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz probierte, fand es der junge Amerikaner spannend, die Terra incognita kennen zu lernen, die hinterm Eisernen Vorhang lag. In Bratislava verliebte er sich in die Englischstudentin Jana, die heutige Mrs. Luptakova-Shropshire. Bei ihr hingen immer ein paar Einkaufsnetze neben der Tür, und jetzt hat ihr Mann zwei, drei davon für alle Fälle im Auto dabei. "Da hat der Westen mal vom Osten gelernt."

Am Anfang war Papier

Dabei war ja nicht immer alles Plastik im US-Supermarkt. Als Shropshire zwölf war, verdiente er sich das Geld für seine Kinokarten, indem er den Leuten ihre gefüllten Papiersäcke zum Wagen trug. Damals, bei Kesler's in Jefferson, Georgia, war er der "Bag Boy". Heute nennen sie ihn den "Bag Man", eine schöne Metapher für ein Land, das sich anschickt, verpackungstechnisch in die Fünfziger-, Sechzigerjahre zurückzukehren.

Im April machte San Francisco den Anfang, allerdings noch nicht so radikal, wie Annapolis es jetzt handhaben möchte. Am Pazifik hat man nur jene Plastikbeutel verbannt, die nicht biologisch abbaubar sind. Was Shropshire dagegen vorschwebt, ist ein Totalverbot. Und Bußgelder, gestaffelt, 100 bis 500 Dollar für Sünder, die es missachten.

Mit leisem Triumph in der Stimme malt er sich aus, wie bald ringsum die Dominosteine fallen. Die Hafenstadt Baltimore könnte sich ein Beispiel an Annapolis nehmen - und dann Washington, nur knapp eine Autostunde entfernt. Lokale Umfragen machen ihm Mut. Zwei Drittel der Bürger heißen seine Revolution gut, so schwer sie sich auch im Alltag damit tun.

Umwelt gegen Profit

Die Supermarktlobby gründete eine "Progressive Bag Alliance", um Front zu machen gegen die Umweltaktivisten. Plastik sei das, was König Kunde wolle, erklärten ihre Sprecher. Praktisch und robust, obendrein billiger herzustellen als Papier. Bei einer Anhörung im Rathaus klagten die Einzelhändler, die Lex Shropshire werde die Preise in die Höhe treiben, sonst nichts. Safeway nannte den Plan "unamerikanisch", denn er nehme dem Verbraucher das Recht, frei zu wählen.

Da blieb Sam Shropshire gar nichts anderes übrig, als sich im Stile eines Staubsaugervertreters vor die Einkaufspassagen zu stellen, bewaffnet mit seinen grasgrünen, wiederverwendbaren Tragetaschen. "Das Schwierigste", sagt er, "ist immer das erste Mal. Dieses Zaudern: ,Oh Gott, schauen mich die anderen jetzt nicht komisch an?' Aber es geht, es ist nur eine Sache der Übung." (Frank Herrmann aus Annapolis/DER STANDARD – Printausgabe, 15./16.9.2007)