Auf insgesamt vier, in klassischer Medikamenten-Schachtel-Manier gefalteten Beipacktexten verhandelt die Grafik-Designerin Angie Rattay mit fachlicher Unterstützung eine Menge Probleme der Welt und führt Lösungsvorschläge an.

Foto: Matthias Cremer

Auch auf mögliche Verfallsdaten, z. B. in Sachen Wasservorrat, wird in der Übersicht nicht vergessen.

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Fachlich unterstützt wurde die Designerin unter anderem vom WWF-Österreich und dem Alfred- Wegener-Institut für Klima und globalen Wandel.

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Gefördert haben das Projekt beispielsweise die Universität für angewandte Kunst in Wien, Ford, die Druckerei Gugler, in Sachen Papier die Feurstein GmbH und das Lebensministerium.

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Angie Rattay

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Eine Gstätten, mitten im 6. Wiener Gemeindebezirk. Ein grünes Sofa, mitten in der Gstätten. Eine Grafik-Designerin, mitten auf dem Sofa. In ihren Händen ein Globus. Vor dem Sofa ein Fotograf. Hinter dem Sofa Ameisen bei der Arbeit und ein Redakteur, mit eingezogenem Kopf. Dies deshalb, weil das verstoßene Möbel dazu neigt, samt Designerin und Weltkugel nach hinten zu kippen. Das Sofa mieft wie ein nasser Hund. Der Kauernde denkt an Müll. Dann an die Ameisen. An alle Ameisen. Deren Biomasse beträgt das Vierfache jener aller Menschen, aber sie produzieren keinen Müll, brauchen nicht einmal einen Aschenbecher.

"Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das Abfall erzeugt", steht in der "Gebrauchsanweisung für den Planeten Erde" zu lesen, einem Grafik-Projekt der Designerin Angie Rattay, die gerade auf dem Sofa ihre Beine übereinanderschlägt. Dies und viel mehr erfährt man aus ihrem ganz besonderen Beipackzettel, der sich den Risiken und unerwünschten Nebenwirkungen rund um den Erdball widmet.

Riesen-WG

Die mehrfach ausgezeichnete Diplomarbeit der 29-jährigen Wienerin besteht aus vier hauchdünnen A2-Papierbögen, die ganz in der Manier eines Medikamenten-Beipackzettels gefaltet sind und in einer Verpackung stecken, in der man etwas Heilendes zwischen Aspirin und Zinksalbe vermuten würde.

Der Titel der schlichten Kartonschachtel, die bisher unter anderem im Technischen Museum Wien, im Designforum Wien, der St. Charles Apotheke, in "das Möbel" und beim WWF aufliegt, gibt ordentlich was vor. Schließlich wären die meisten Artgenossen schon heilfroh, es gäbe eine Gebrauchsinformation für das eigene, irdische Dasein. Aber gleich eine Gebrauchsanleitung für den ganzen Planeten, noch dazu gratis? Hat Angie Rattay hier nicht zu dick aufgetragen? Sie verhandelt unter anderem Fakten zum Artensterben, zum Treibhauseffekt, zur Endlichkeit fossiler Brennstoffe, aber auch Aussichten und Lösungsvorschläge für die vielen Leiden unserer "Riesen-WG", wie Rattay den Heimatplaneten auch nennt.

Die Gestalterin, die wenige Tage nach ihrer Sitzung auf erwähntem grünen Sofa ein Praktikum beim österreichischen Grafik-Design-Zampano Stefan Sagmeister in New York antrat, will sich nicht als Krankenschwester für Mutter Erde profilieren, sie will keine Panik machen, will nicht dramatisieren, aber noch weniger banalisieren. Angst kann man sich je nach Umweltbewusstsein immer noch selbst einjagen. Rattay will aufzeigen, "dass wirklich jeder etwas dazu beitragen kann, die Probleme der Erde kleiner werden zu lassen, ohne gleich sein ganzes Leben umkrempeln zu müssen. Meine Arbeit soll eine möglichst neutrale Übersicht bieten", sagt sie, während der Fotograf sie auf dem Sofa hin und her dirigiert und dem katzenbuckelig hockenden Redakteursknäuel dahinter die Beine einschlafen.

Verständliche und knappe Form

Rattays Beipackzettel, von dem bis dato 120.000 Bögen gedruckt wurden, ist kein Stein der Weisen, sondern eine willkommene Orientierungshilfe in der Flut aus Tipps, Schätzungen, Gütesiegeln sowie unter- und übertriebenen Gerüchten. Die Absolventin der Meisterklasse für Grafik bei Fons Hickmann an der Wiener Universität für angewandte Kunst führt alternative Energieformen an und erklärt sie in verständlicher und knapper Form. Sie informiert über diverse Initiativen, wirbelt Feinstaub auf oder erklärt die Vorteile von "fahrenden Schlachthöfen". Der Erdbewohner erfährt etwas über die bedrohtesten Arten, etwa über die Mittelmeermönchsrobbe, den großen Panda oder den Borneo-Zwergelefanten. Vom Yangtse-Flussdelfin wurden 1997 überhaupt nur noch dreizehn Stück gezählt.

Apropos gezählt: Wussten Sie, dass jeder Österreicher unbewusst täglich bis zu 5000 Liter Wasser in Form von Luxus- und Gebrauchsgütern verbraucht? Oder dass man für ein Kilo Seezunge oder Scholle 14 Kilo Beifang in Kauf nimmt - Tiere, die verletzt oder tot wieder ins Meer geworfen werden? Angie Rattay erzählt uns dies und noch viel mehr mithilfe ihres Schächtelchens. Sie gibt mit Rückendeckung diverser Fachleute Einkaufstipps, führt tierversuchsfreie Kosmetik an, erklärt Gütesiegel, den Begriff "ökologischer Fußabdruck", der unseren Ressourcenverbrauch im Verhältnis zur Verfügbarkeit misst, und zeigt, wie man beim Erdbeereinkauf Erdöl sparen kann. Dazwischen gibt es klare, unaufdringliche Grafiken und das eine oder andere Zitat, zum Beispiel, "Hüten wir uns davor, aus Schaden dumm zu werden", was Karl Kraus empfahl.

Perfekte Öko-Tante

Dass die Informationen über Design, ihr Design, transportiert werden, ist der Clou, ihr Clou und all derer Nutzen, die sich die Box einstecken. Nicht, dass es Designer in Sachen Abfallvermeidung mit den Ameisen aufnehmen könnten. Aber sie haben, wie auch Rattay mit ihrer Arbeit beweist, das Zeug dazu, über ihre Gestaltung Probleme zu kommunizieren.

"Die meisten glauben, ich erfülle das Klischee einer perfekten Öko-Tante, dabei fahr' ich zum Beispiel total gern mit dem Auto herum. Es würde mich auch reizen, mit einem Lkw durch die Gegend zu brummen. Aber ich interessiere mich gleichzeitig auch sehr für alternative Antriebsstoffe. Vegetarierin bin ich seit zehn Jahren. Seit dem Zeitpunkt, zu dem ich mich dann doch getraut habe, eine Doku über Tiertransporte anzuschauen", so Rattay.

"Die Menschen wollen getäuscht werden." Mit genau diesem Satz prägte sich der große Designer und Designkritiker Victor Papanek bei Rattay ein. "Die Menschen wollen also nicht hinschauen", kombiniert die Designerin, in der Papanek eine fleißige Schülerin im Geiste und auf dem (hauchdünnen) Papier fand.

"Sei selbst die Veränderung"

Ihr ausgeprägtes, aber unaufgeregtes Gewissen gegenüber Mutter Erde war es wohl auch, das ihr zu Beginn ihrer Diplomarbeit klarmachte, dass sie etwas Vernünftiges und Brauchbares erarbeiten wollte und sich "nicht monatelang mit irgendetwas herumplagen wollte, das dann eh nur in einer Schublade verschwindet. Schließlich geht es doch darum, Kommunikation zu gestalten", meint Rattay, die noch immer in die Kamera blinzelt. Der Fotograf will ihre Zähne sehen. Ihre Eckzähne sind so spitz wie die des Grafen Dracula. Der Vergleich liegt nahe. Noch näher, als die bekennende Hundenärrin erzählt, dass ihre Urgroßmama aus Transsylvanien stamme und dass sie "schon zu Beginn ihrer Karriere als Kreative nach etwas suchte, mit dem sie Inhalte transportieren konnte, so wie ein Sänger das mit seinen Texten und Liedern tut". Mit Grafik-Design scheint's zu klappen, eine englische Fassung, die "Planet Earth - Directions for Use", gibt es bereits, das London Design Museum und Tate Modern als "Apotheke" sind angefragt, und an einer Kinderedition arbeitet die rastlose Designerin ebenfalls.

Vor hat sie also viel mit ihrem Projekt: Museen, Galerien, Bahnhöfe, Supermärkte, Tageszeitungen, jeder Platz ist Angie Rattay recht, ihre Gebrauchsinformation an den Erdbewohner zu bringen, schließlich gilt dieser Beipackzettel an jedem Ort dieses Planeten. Und auch auf die Gefahr hin, dass es pathetisch klingt, Rattay hat etwas getan, das in ihr schlummert, seit sie mit 14 Jahren einen Film über Ghandi gesehen hat, der ihr den folgenden, großen Floh ins Ohr setzte: "Sei selbst die Veränderung, die du sehen willst." Was wer sehen will, ist wieder eine andere Frage. Menschen wie Rattay machen es einem auf jeden Fall schwerer, an den Tatsachen vorbeizuschauen. (Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/14/09/2007)