Hannah Herzsprung in "Vier Minuten"
Foto: Filmladen
Monika Bleibtreu als Klavierlehrerin, die an ihre Grenzen stößt (links im Bild)
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Vertreter der Staatsmacht erscheinen, um der wilden Energie der Gefangenen Einhalt zu gebieten.
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Im Film wird Kunst als angeblicher, aber zum Teil möglicher Gegenentwurf zu einer gewalttätigen Welt präsentiert - als Mittel zur Zähmung von Aggressionen gegen sich selbst und andere. Eine Reportage von Kerstin Kellermann.

"Wir sind eine soziale Institution wie eine Schule oder ein Krankenhaus. Mit dem Unterschied, dass unsere Insassinnen nicht davon laufen können", sagt Oberstleutnant Gottfried Neuberger, der seit kurzem Anstaltsleiter der Justizanstalt Schwarzau ist. In dem ehemaligen Jagdschloss, in dem Kaiser Karl seine Zita geheiratet hat, sitzen durchschnittlich um die 150 Frauen und Mädchen über 14 Jahren ein, die Strafen über 18 Monate ausgefasst haben. Die Frauenkriminalität beträgt österreichweit insgesamt nur "schlappe" fünf Prozent.

"Frauen gehen mit Aggressionen anders um, sie richten die gegen sich selbst oder werden psychisch krank. Während Männer Konflikte eher mit Faustschlag lösen wollen." Neuberger betont die Gewalterfahrung der Frauen, das "Märtyrium durch jahrelange Schläge", wie er sagt. "Fast alle unsere Inhaftierten sind vom Opfer zum Täter geworden." In der Pressemappe wird für "besonderes Einfühlungsvermögen in die weibliche Psyche" plädiert: "Das schließt den Umstand ein, dass Frauen in der Regel mehr Gewalt passiv erlebt als selbst ausgeübt haben."

Wegen Mord, inklusive Beteiligung und Versuch, sitzen hier 16 Prozent der Frauen, wegen Eigentumsdelikten wie Diebstahl oder Betrug aber ganze 42 Prozent. Raub wird zu den Gewaltdelikten gezählt, wie auch Körperverletzung, und liegt bei 22 Prozent. Aus klassisch weiblichen Rollen ausgebrochen sind sie aber im Endeffekt alle, die Mörderinnen und Einbrecherinnen.

Leicht schreckhaft

Eiskalt ist es im Regen in dem Park mit den hohen Mauern rundherum. Das frühere Schloss mit seinen Prunkräumen wirkt gruselig und einsam. Die inhaftierten Frauen bringen ihre Lebendigkeit ein. Der "Filmladen"-Filmverleih zeigt den Kinofilm "Vier Minuten", der von den Erfahrungen einer Klavierlehrerin in einem deutschen Frauengefängnis erzählt. Dicht gedrängt sitzen um die 60 Gefangene Reihe um Reihe vor der improvisierten Leinwand. "Jöh mei", lacht eine, als der Film im Intro Vögel zeigt, die romantisch über Gefängnismauern davon fliegen. "Hat die sich aufgehängt, oder was?", ist die nächste Bemerkung.

Als im Film ein Aquarium auf das Klavier fliegt, fetzt es alle her. Überhaupt ist es auffällig, dass bei allen Szenen, in denen Gewalt gegen Frauen ausgeübt wird, ein Aufschrei durch den Saal geht. Leicht schreckhaft sind sie hier. Manchmal gibt es zustimmende Bemerkungen, als z.B. Monika Bleibtreu als Klavierlehrerin den Anstaltsleiter, der geduzt werden will, abkanzelt: "Der Sturmbannführer wollte auch nicht, dass man ihn Direktor nennt."

Der Film jagt von einem Höhepunkt zum nächsten, es geht Schlag auf Schlag, immer wieder werden Emotionen sofort in Handlungen umgesetzt. Hannah Herzsprung, die im Film als beinahe wahnsinniges Genie dämonisiert wird, prügelt einen Wachebeamten. "Sie hat ihn demoliert", kommentiert eine Gefangene. "Olda!" ("Alter!"), eine andere, als die Geliebte der Lehrerin aufgehängt wird. Wieviel an Zerstörung kriegt eine Frau im Laufe eines Lebens ab? Wie lebt eine Frau gesellschaftliche Destruktion aus, wie setzt sie sie um? "Wir sollten der Selbstaufgabe entgegenwirken", sagt die Psychologin im Film.

Funktionalisierung von Kunst

"Ich habe die Musik gehasst", erzählt Alice (Name von der Redaktion geändert) aus Ex-Jugoslawien, seit drei Jahren Gefangene in der Schwarzau, die von ihren Musikereltern zum Klavierspielen gezwungen wurde. "Ich war wirklich eine Maschine. Meine Lehrerin war schlimmer als die im Film." Alice darf als Freigängerin das Jazzkonservatorium in Wiener Neustadt besuchen. "Die Pianistin im Film hat Sachen gemacht oder gesagt, wo ich geschwiegen habe. Aber ich kann mit jedem und mit allem umgehen - mittlerweile. Die Leidenschaft habe ich nicht verloren." Alice ist "wegen Schmuggel" inhaftiert: "Ich wollte es alleine schaffen, ich hätte mir auch anders Hilfe holen können", spricht sie finanzielle Not an, die zu ihrer Tat führte und den Wunsch einer starken Frau, sich ohne Unterstützung durchzusetzen.

Kunst wird im Film "Vier Minuten" als Methode der Heilung, der Zivilisation gesehen und wirkt wie ein Mittel zur Kolonisierung eines Tieres mit Talent. Die Musik sei "ein Gegenentwurf zu der grauenhaften Welt, die hinter beiden Hauptfiguren aufscheint..., deren (Lebens-)Geschichten sich um Kunst und Gewalt drehen", meint Regisseur Chris Krause. Es würde von der "inneren Freiheit" gegen "innere Zwänge" erzählt, zu der die junge Gefangene im letzten Moment finde. Alice, die beim Interview eine Ausstrahlung vermittelt, als ob sie zumindest mit sich und ihrer Lebensgeschichte Frieden geschlossen hat, wünscht sich, dass in der Schwarzau Musiktherapie angeboten wird.

Kind, Geld, Arbeit

In der Realität hat das Leben von Gefangenen wenig mit Kunst zu tun. Auch die "innere Freiheit" ist nur schwer zu erreichen. "Der Triangel Frauen, Gefangene, Mütter oder Großmütter macht Probleme. Frauen haben ein schlechtes Gewissen, überfordern sich grundsätzlich und können aus der Haft heraus sehr wenig tun", sagt Neuberger. In der Mutter- Kind Abteilung können kleine Kinder bis drei Jahre gemeinsam mit ihrer Mutter hinter Gitter leben. Im hausinternen Kindergarten werden Kinder von Bediensteten gemeinsam mit den Kindern der Inhaftierten betreut.

"Jede Strafgefangene ist zur Arbeit verpflichtet und hat die Arbeiten zu verrichten, die ihr zugewiesen werden" (Pressetext). Sie müssen sechs Stunden täglich waschen, putzen, kochen. "Wir können Vollbeschäftigung anbieten" (Neuberger) und "zum Mittagessen wird eingerückt", wie ein Wachebeamter das ausdrückt. Mit der Arbeit für "eine Vielzahl von Privatfirmen" wurden im Jahr 2005 Einnahmen von 200.000 Euro erwirtschaftet, in der Wäscherei 103.000 Euro, die "Freigängerinnen" erarbeiteten 175.000 Euro. Die Frauen erhalten aber nur einen bis drei Euro die Stunde für ihre Arbeit, was angeblich "70 Prozent des Metallarbeiter-Kollektivvertrages" ausmachen würde. Von ihrem Lohn wird nämlich Arbeitslosenversicherung, Hausgeld und Rückgeld abgeführt. In Haft können berufliche Ausbildungen gemacht werden. "Wir suchen frauentypische Berufe, die aber nicht so frauentypisch sein dürfen, dass sie keine Chance haben", erklärt Neuberger. "Das Band zur Gesellschaft soll nicht abreißen." (Kerstin Kellermann, die Standard.at, 11. September 2007)