Sandra Cervik und Herbert Föttinger

Foto: Kammerspiele /© Sepp Gallauer

Wien - Wie transportiert man ein im Geiste seiner Entstehungszeit so wild in vermiefte Moralwolken gebrülltes Stück wie den Reigen, mit dem Schnitzler nach der (Berliner) Uraufführung und der gleich darauffolgenden Wien-Premiere (schon damals in den Kammerspielen) Jänner und Februar 1921 sich selbst Aufführungsverbot, Schmähung und Drohungen einbrachte, der Gesellschaft aber einen stark politisch angekurbelten Skandal (der den "Untergang des Abendlandes" bemühte), auf die Bühne der moralisch so umgepolten, nämlich öffentlich-sexuell gesättigten Gegenwartswelt?

Folgt man den Aufwühlungen des Autors und potenziert die von ihm beabsichtigte Brüskierung - versucht man eine Umlagerung, oder soll man den Stachel lieber gleich ziehen und die Zeilen auf ihre Lustigkeit reduziert wiedergeben? Überhaupt spielen? Stephanie Mohr hat mit ihrer am Samstag wegen der Renovierungsarbeiten im JosefstadtTheater in den Kammerspielen präsentierten Inszenierung des Reigen (ab dem 23. Oktober erfolgt die Übernahme ins Haupthaus) auf einer abwägenden Liste ihr Schnitzler-Stricherl jedenfalls in die Contra-Spalte gesetzt.

Verkleidungsspiele

Sandra Cervik und Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger spielen die wechselnden Paare in sämtlichen Rollen, die Übergänge gehen durch einfachste Verkleidungsspiele vonstatten: Schnell aus den Overknees geschlüpft und einen Mantel übergeworfen (Kostüme: Aleksandra Kica), wird aus der Dirne das Stubenmädchen, ebenso schnell tauscht selbige bunte Luftballons gegen gelbe Gummihandschuhe und damit mädchenhaftes Sich-Zieren gegen souveräne Vorspiel-Routine.

Die großartig von Miriam Busch konzipierte Bühne, ein schlichter, rot ausgeleuchteter, in seiner Atmosphäre allzu öffentlicher Raum, der mit zwei Türen (Vorraum einer mittelanständigen WC-Anlage: eine mit "Herren", die andere mit "Damen" überschrieben) Anfang und Ende eines Zwischenspiels ausschildert, fügt in ihrer unpersönlichen Multifunktionalität noch am ehesten Sozialbilder und Verwerflichkeit dem Geschehen hinzu. Jeder nimmt sich, was ihm gefällt, und richtet sich behelfsmäßig zwischen Frivolität und Gleichmut ein. Als "junger Mann" versucht Föttinger noch, seine Liebhaberposition mit Raumspray an Frische gewinnen zu lassen, markiert mit seiner sentimentalen Nervosität (eine Plastikpalme ragt phallisch aus dem Luftbett) lieblos die tonangebende Wende von der männlichen zur weiblichen Überlegenheit. Von einer Sinnlosigkeit des Geschlechterkampfes wie ausgeschmückter Annäherungszeremonien lässt Mohr Prinzessin und Frosch dann im Kasperltheater erzählen.

Was ist der Reigen mehr als ein Protokoll sexueller Beliebigkeiten? Das die Nebensächlichkeit der geschlechtlichen Begegnungen proklamiert und, in den Kammerspielen mit der unmotivierten Lust von Sitcom-Darstellern - und denen entsprechend in der Prüderie gleichend - sich halbfrivol Lacher erbittet, insofern die Wahrheit Zufall spielt: Mit jeder Türe, die sich schließt, öffnet sich eine neue, geht das alte Sprichwort. (Isabella Hager / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.9.2007)