Hans Werner Henzes neue Oper "Phaedra": Musik und Optik gehen in Berlin bei der Uraufführung eine magische Beziehung ein.

Foto: Ruth Walz
Die Regie von Intendant Peter Mussbach stellt sich dabei produktiv in den Dienst der Neuheit
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Als Hans Werner Henze die Mittelloge betrat und das Publikum dem alten Herrn schon mal vorab applaudierte, hatte das seine Richtigkeit. Beweisen muss Henze schon lange nichts mehr. Umso besser, wenn er es dennoch tut, wenn er nun seiner elegischen Märchenoper L’Upupa eine kraftvoll irisierende "Konzertoper" nachfolgen lässt.

Für den 81-jährigen Henze ist weder eine ambitionierte Verneinung der schon existierenden Musik der Bezugspunkt, noch betrachtet er sie als eine Art Selbstbedienungsladen. Er schöpft vor allem aus sich selbst und seiner künstlerischen Weltsicht und der Aura seiner Wahlheimat Italien. Die von Michael Boder mit Präzision geleiteten 23 Musiker (Ensemble Modern), mit Solostreichern und einem Schwergewicht auf Bläsern und Schlagwerk, produzieren im Rücken des Publikums ein Klanguniversum von spröder Schönheit und Kraft. Mit fünf herausfordernden Partien wird nach dem Libretto von Christian Lehnert eigenwillig die Geschichte des Jünglings Hippolyt erzählt. Er verweigert sich dem Begehren seiner Stiefmutter Phaedra, wird von ihr der Vergewaltigung bezichtigt und vom Ehemann Theseus zu Tode geschleift. Alles an den Fäden der Götter, die auch nur ihr Süppchen kochen.

Ob nun Artemis, der Hippolyt verpflichtet ist, oder Aphrodite, die hier nicht nur Phaedra ins Rennen schickt, sondern eigene Ambitionen lasziv auslebt: bei Henze findet das alles, im zweiten Teil, eine Fortsetzung in einer anderen Welt und mit einer anderen Identität. Hippolyt wird als Virbius wieder zusammengesetzt, kennt sich aber selbst nicht mehr und ist wie Homunculus im Käfig gefangen, stürzt sich jetzt wie wild sogar auf die verwandelte Phaedra. Am Ende bleibt eine rätselhafte Verwandlung in einen anderen Zustand. Vielleicht ist es ja die fröhliche Hoffnung auf ein befreites Jenseits. Nicht ohne ein großes Beben von ebenso jenseitiger, auch augenzwinkernder Schönheit.

Regie als Chefsache

Die Oper erzählt diese Geschichte und berührt damit zugleich. Freilich ohne dabei jedes ihrer eingeflochtenen Geheimnisse mit leichter Hand zu lüften oder den persönlichen Subtext allzu bereitwillig preiszugeben. Da bleibt viel Raum, sich auf die Spiegelungen einzulassen. Dass eine Henze-Uraufführung für den Intendanten-Regisseur Peter Mussbach Chefsache ist, war klar. Dass diese Produktion so überzeugend gelingt, ist nicht nur ein Glücksfall, sondern auch ein Statement. Hier wird auch der Zuschauerraum zur Bühne.

Die Protagonisten singen und agieren, mal hinten beim Orchester, dann auf dem Laufsteg zur Bühne und dort sowohl vor als auch hinter der Spiegelwand. Mussbachs Neigung zur etwas versponnenen Psychologisierung ist hier genau die Form, die den narrativen Pfad nachvollziehbar macht, aber zugleich die assoziativen Räume abseits davon öffnet.

Das ist auch ein Klang-Raum-Experiment, noch dazu eins, bei dem ein Opernneuling wie Olafur Eliasson den prägenden Rahmen liefert. Doch sowohl die Riesenspiegelwand, die die Opulenz des Saales und das Orchester ins Sichtbare holt, als auch die Lichtreflexionen, mit denen er magisch das Labyrinth, den Wald oder den Hain von Nemi imaginiert, biedern sich nie illustrierend an, sondern halten die Distanz zum Geschehen ebenso gekonnt wie die Musik.

John Mark Ainsley ist mit Schmelz und klarer Diktion nicht nur ein exzellenter Hippolyt, er könnte gut ein jüngeres Alter Ego des Komponisten sein. Das Verführerische von Phaedra und Aphrodite wird von Maria Riccarda Wesseling und Marlis Petersen ebenso lustvoll ausgespielt, wie sich Axel Köhler mit erstaunlicher Verve die Counterpartie der Artemis anverwandelt und Lauri Vasar am Ende als Minotaurus seinen kurzen Auftritt hat. (Joachim Lange, DER STANDARD/Printausgabe, 08./09.09.2007)