Erwin Wurm bastelt Mind Bubbles
Das Kleidungsstück der Stunde ist diese Winterbekleidung, ein Schutz für unseren Verstand, für eine Absicht oder Ansicht und für den Sinn und die Gedanken und für die Psyche. Eine Kollektion zum Schutz des Verstandes. Gedankenblasen sind auch Ansichtsblasen oder Absichtsblasen - und die gehören geschützt.

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Erwin Wurm ist Künstler. Er lebt in Wien und Limberg.

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Marlene Streeruwitz gürtet und rüstet sich
Es wird also gegürtet werden. In diesem Herbst sollen Gürtel die Taille besonders markieren (im Bild ein Model von Louis Vuitton). Dafür müssen die Jacken wieder länger werden und gleichzeitig werden sehr oft Riemchenpumps zu den eng umfangenen Taillen getragen. Schmale Gürtelchen für das Fußgelenk. Formal ergibt das eine schöne Parallele. Aber wieder einmal ist der Laufsteg mit dem Blick von schräg unten der geeignetere Ort, eine solche Lösung vorzuführen. Der Blick des Alltags auf Gürtel und Schuhriemchen von schräg oben.

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Wenn wir die 5th Avenue oder den Kohlmarkt entlanggehen. Da fällt dann der Blick von schräg oben auf die Einschnürungen und verlangt in der Erinnerung an die Fotos mit dem Blick von schräg unten immer noch schmalere Dimensionen, eine Sanduhrsilhouette vorführen zu können. Es gibt ganz pragmatische Gründe für Gewichtseinschränkungen. Der Gürtel, der eng um die Taille getragen wird, ist ein uraltes Maß der Auskunft über Jugendlichkeit und deren Schlankheit und über die Frage, ob eine Frau nun schwanger ist oder nicht.

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Männliches Begehren, so erzählt uns die Psychologie, richtet sich auf diese schlanke Taille. Also auf die Auskunft, ob diese Frau schwanger gemacht werden kann oder nicht. Solche Erinnerungen an vorkulturelle Lösungen mag frau heranziehen wollen. Oder nicht. Ich finde es interessant, dass genau in dem Augenblick, in dem Schwangerschaft in der Öffentlichkeit unverhüllt abgezeichnet zur Schau getragen wird, mithilfe des Gürtels der nicht schwangere Körper betont wird. Eines aber hat das Gürteltragen immer für sich.

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Es ist ein schöner, sich selbst ritualisierender Augenblick, fertig angezogen vor dem Spiegel zu stehen und den Gürtel umzulegen. Den Gürtel zu befestigen und die Kleidung unter dem Gürtel zurechtzuzupfen. Das hat dann etwas von Gerüstetsein. Dieser Augenblick trägt die Erinnerung an die zeremonielle Verwendung des Gürtels als Zeichen der Macht in sich. Dieser Augenblick beschreibt die Verwandtschaft des Wortes Gürtel mit dem Wort Garten als einem Eingegrenzten. Abgegrenzten. Und das macht ja auch das Gefühl des Gürteltragens. Ich bin gerüstet. Ich bin abgegrenzt. Und. Das kann durchaus hilfreich sein.
Marlene Streeruwitz ist Schriftstellerin. Jüngste Veröffentlichung: "Entfernung", Fischer Verlag. Sie lebt in Wien.

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Barbara Vinken zieht die Handschuhe höher
Man sieht die Szene vor sich, und ihre vielen Varianten sind zu einer erotischen Ikone verschmolzen. Sie, im schulterfreien Abendkleid, knöpft die Perlenknöpfe am Handgelenk des über den Ellbogen gehenden Handschuhs auf. Dieser zeichnet die leichten Rundungen des Armes in schmiegsamem Leder oder glänzendem Satin nach. Jeden Finger zieht sie in provozierender Langsamkeit einzeln aus. Ihr Kopf mit dem gewellten, schulterlangen Haar ist zur Seite geneigt. Sie sieht ihr männliches Gegenüber herausfordernd aus leicht zusammengezogenen Augen an.

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Erinnerungen an den Fehdehandschuh, der jetzt im amourösen Krieg der Geschlechter hingeworfen wird, flackern auf. In "Breakfast at Tiffany's" fällt der Striptease, in dem der nackte Arm zum Pars pro Toto für den Körper wird, unschuldiger aus. Vielleicht sind die Arme der Kindfrau Audrey Hepburn zu dünn, so wie die von Madonna zu muskulös sind, um durch diesen anmutigsten Ausschnitt der Mode so freigelegt zu werden. Der über den Ellenbogen hinaufreichende Handschuh (im Bild ein Model von Burberry) verdrängt in diesem Winter den über die Knie gehenden Stiefel der letzten Saison.

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Mit der Verlagerung vom Bein auf den Arm sind die Grenzen des modischen Fiaskos deutlich eingedämmt, die quellende Oberschenkel oft waren. Der Sexappeal des Handschuhs ist sublimer. Der Handschuh kommt in der Glamourvariante der Abendgarderobe aus den Filmen der 50er- und 60er-Jahre: hauchdünnes Leder, mal mit Kristallen verziert, mal wie eine Corsage geschnürt, oder mit Fuchspelzbesatz, gerafft, schließlich, S/M-Vorlieben nachgebend, aus Lackleder, dem anderen Lieblingskind der Saison. Meistens gibt er sich aber nicht mehr klassisch für den Abend, sondern hat sich den Tag und die Straße erobert.

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Er wird, halb aus Leder, halb aus Wolle, zu Jacken und Mänteln mit kürzerem Arm, oder gar - das rückt den als bieder verschrienen Strickhandschuh in ein anderes Licht - ganz aus Wolle getragen: kein Handschuh, ein Handstrumpf. Der ist sicher weich und warm, aber ob er sich als Fehdehandschuh im Liebeskampf der Geschlechter eignet?
Barbara Vinken ist Professorin für Literaturwissenschaft in München. Sie veröffentlichte Bücher u.a. über Mode, Feminismus und Pornografie.

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Markus Langes-Swarovski passt sich seinem Anzug an
Vor zwei Jahren habe ich mir das erste Mal in London bei Ozwald Boateng einen Anzug schneidern lassen (im Bild der Designer in einem seiner Anzüge). Er arbeitet ganz in der Tradition der Savile Row, schneidert aber für eine jüngere Generation. Der Anzug sitzt perfekt, er verkörpert sozusagen das Idealmaß, an dem sich mein Körper orientieren muss. Aber das ist das nur ein Aspekt des Boateng-Anzugs. Außen dunkelblau und innen violett, hat er etwas leicht Exzentrisches an sich.

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Allerdings bleibt die Farbe des Innenfutters der Außenwelt verborgen. Das hätte auch Oscar Wilde gefallen, den ich sehr schätze. Ich würde mich zwar nicht als Dandy bezeichnen, mir gefällt aber die Idee, dass die Oberfläche etwas Tiefgründiges ist. Insofern ist Kleidung viel mehr als eine schöne Spielerei. Sie steht in direktem Austausch mit dem Menschen, der sie trägt. Eine Art zweite Haut.
Markus Langes-Swarovski ist Vorstandssprecher und Mitglied der Geschäftsführung von Swarovski. Er lebt in Wattens.

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Stefan Sagmeister liebt seine graue Hose
Mein Kleidungsstück der Stunde ist meine neue Hose, die meine feine Freundin (und Modedesignerin) Anni Kuan für mich geschneidert hat. Diese Hose hat fünf Vorteile:
1. Ich muss sie nicht kaufen gehen, weil sie mir die Anni umsonst macht.
2. Ich muss sie nicht anprobieren, weil die Anni weiß, wie groß ich bin.
3. Ich werde im Dunkeln nicht vom Auto überfahren, weil sie einen lichtreflektierenden Streifen hat.
4. Sie ist grau und passt mir überall dazu.
5. Sie schaut gut aus.

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Stefan Sagmeister, Vorarlberger, ist Graphikdesigner und designte Plattencovers, u. a. für Lou Reed oder die Rolling Stones. Er lebt in New York.

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Petar Petrov steht auf weiße Sneakers
Auf ein paar neue Sneakers freue ich mich immer. Ich trag sie so ziemlich jeden Tag, sie sind leider nicht das bequemste Schuhwerk, das Tragegefühl ist nah am Gummistiefel. Die von meiner Lieblingsmarke - und übrigens auch jedes Teenagers, der etwas auf sich hält - wurden ja auch seit 1917 diesbezüglich nicht wesentlich weiterentwickelt. Aber was soll's, was ist schon bequem und dabei authentisch schön? Meine Sneakers sind klassisch und lassen sich leicht zu allem tragen, passen immer oder auch nicht.

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Sie verändern sich, werden immer schöner, je länger man sie trägt. Man kann diesen Prozess natürlich mit dem Besuch von ein paar Parties beschleunigen. Jedes Paar entwickelt sich leicht anders. Am liebsten kaufe ich die ganz weißen (und ich meine die GANZ weißen, schade nur, dass es noch kein Modell gibt, bei dem auch die Ösen weiß sind) und trage sie, bis sie schwarz werden. Zu dem Zeitpunkt, wo sie meiner Meinung nach am schönsten sind, sind sie leider nicht mehr salonfähig. Na ja, dann ist es Zeit für einen Neubeginn, mit einem noch ganz unberührten, nicht besonderen Paar strahlend weißer Sneakers.
Petar Petrov ist Modedesigner und zeigt seine Kollektionen bei den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris. Er lebt in Wien.

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Kira Stachowitsch plustert sich auf
Die Welt der Mode ist bekanntlich voller Irrtümer: Dass Männer in Shorts akzeptabel aussähen beispielsweise, oder Spaghettiträgertops der Damenwelt als ausreichende Oberbekleidung genügen würden. Die Liste an unschönen modischen Fehleinschätzungen ist beliebig lang fortzusetzen, ich will mein Augenmerk an dieser Stelle aus Gründen der Aktualität aber auf ein weiteres viel zu selten angeprangertes Übel lenken: körperbetonte Schnitte. Natürlich, so ein Arm ist lang und (im besten Fall) schmal - aber soll diese Feststellung schon Grund genug sein, einen Ärmel ebenso zu bemessen?

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Nein, haben sich DesignerInnen wie Karl Lagerfeld oder Miuccia Prada bei der Arbeit an den aktuellen Herbst/Winter-Kollektionen gedacht und einer meiner liebsten modischen Formen neues Leben eingehaucht: Der Un-Form. Dass der Hintern der Trägerin von so manchen Miu Miu Kleidern (im Bild) schon mal vorteilhafter ausgesehen hat, ist pure Absicht - dass auf das andernorts durch allzu anliegende Kleidung zelebrierte Herausarbeiten von Bindegewebsschwächen der Trägerin verzichtet wird, ebenso.

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Immerhin ist Kleidung, die sich gar genau an den Proportionen des menschlichen Körpers orientiert, im besten Fall langweilig und nicht selten vulgär. So begrüße ich alle voluminösen Schulterpartien, ballonartigen Ärmel und plustrigen Röcke der kommenden Saison, die sich höchst erfolgreich und ansehnlich über anatomische Gegebenheiten hinwegsetzen und so zur längst überfälligen Ehrenrettung des zu Unrecht negativ beladenen Wortes "sackartig" beitragen.
Kira Stachowitsch ist Chefredakteurin des internationalen Style-Magazins "Indie". Sie lebt in Wien.
(Der Standard/rondo/07/09/2007)

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