Unfassbare 40 Jahre trägt L'Auberge de l'Ill den dritten Michelin-Stern in der Krone. Der erste kam 1954, und da kochte die Familie Haeberlin bereits an die hundert Jahre am Ufer der Ill, wo der Rasen so grün ist, dass er fast blendet.

Foto: Auberge de l'Ill
Was eine ordentliche Illhaeusern-Geschichte ist, beginnt mit dem Hänsele. Nicht bei uns. Zumindest so lange Storch nicht auf der Speisekarte des Auberge de l'Ill steht. Des Hänseles liebste Nahrung hingegen ist von dort natürlich gar nicht wegzudenken: La mousseline de grenouilles "Paul Haeberlin", eines der großen Traditionsgerichte des Hauses. Aber da ich am Vorabend des Mittagessens bei Haeberlin in der "Truite" visàvis, dem Gasthaus Forelle also, die Frösche in derberer Form zu mir zu nehmen pflege, ist es bisher nicht dazu gekommen, dass ich mich am Tag danach für ihre mousselierten Brüder entschieden habe. Nächstes Jahr. Nächstes Jahr in Illhaeusern. Oder auch in Illhäusern.

So, und jetzt noch einmal von vorne, ein seriöser Beginn: Zum dritten Male habe ich heuer bei Haeberlin in Illhaeusern gespeist, mit Freunden, die dem Haus schon viel länger die Treue halten. Unfassbare 40 Jahre trägt L'Auberge de l'Ill den dritten Michelin-Stern in der Krone. Der erste kam 1954, und da kochte die Familie Haeberlin bereits an die hundert Jahre am Ufer der Ill, wo der Rasen so grün ist, dass er fast blendet.

Familiäre Einmischungsversuche

Wenn man aus einem Land kommt, wo vor vierzig Jahren auf den Speisekarten der Landgasthöfe gerade der Toast Hawaii auftauchte (was für einen kulinarischen Fortschritt gehalten wurde), dann betritt man ein Restaurant wie die Auberge mit Andacht. Tempel ist sie jedoch keiner. Auch Bobos sind eher die Ausnahme. Die biedere Gemessenheit der Ausstattung, von der der jetzige Chef, Marc Haeberlin, einmal zu einem Einrichtungsmagazin sagte, die Architekten hätten früher eben versucht, es allen Mitgliedern der erweiterten Familie recht zu machen, ist jedoch seit Kurzem dahin. Glaubt man Interior Design, dann hatte es der Innenarchitekt Patrick Jouin (wie der Hänsele am Beginn, so muss hier stehen, dass Jouin das Restaurant von Alain Ducasse im Pariser Hotel Plaza Athénée eingerichtet hat) gar nicht leicht, die familiären Einmischungsversuche abzuwehren. Bis ihm Marc Haeberlin hartes Durchgreifen empfahl.

Jouin hat den leichten Korridorcharakter, den die aneinander gereihten Räume des Lokals vorher unzweifelhaft hatten, mit Vorhängen aus auf Stahlseilen aufgefädelten Murano-Glasröhren durchbrochen, die jetzt die Tische in Gruppen einfassen. Was das Ganze kühler, wenn auch nicht unbedingt größer macht. Die Finessen kriegt man ohne Information gar nicht recht mit, so sollen die Stahlplatten, in die die Glasröhrenketten am Boden münden, in der Form den Schlammpatzen nachempfunden sein, die die Ill hinterlässt, wenn sie sich nach Überschwemmungen wieder in ihr Bett zurückzieht (heuer bei unserem Besuch der Fall). Oder der Teppichboden, der eine Elsass-Reliefkarte nachzeichnet.

Soll sein, apropos Bett, zum zweiten Mal schlief das Freundeskollektiv, natürlich ordentlich auf etliche Zimmer verteilt, im Hôtel des Berges, das architektonisch den Tabakscheunen des Bas-Rhin nachempfunden ist. So rollt man direkt vom Restauranttisch durch den Garten ins Bett, in die Scheune nebenan. In einer echten Rezension stünde jetzt: Luxusscheune. Aufpassen, dass man nicht übers hauseigene Hundsvieh fällt, aber das ist, obwohl so bemessen, dass es locker zehn elsässische Gansleberportionen zum Frühstück verzehren könnte (und stolz erzählt der Herr über Haus und Hund, Haeberlin-Schwager Marco Baumann, dass dieser nicht die Hotelgäste verbellt, sehr wohl aber "fremde Leute"), entzückend, wie auch der jährlich wachsende Zoo aus Bronzetieren.

"Le Menu Haeberlin"

Aber genug jetzt, wir kommen ja nicht hin, um zu schlafen und mit dem Hund zu spielen. Ernste Sache ist das Essengehen bei Haeberlin trotzdem keine, dazu haben wir schon zu viel gespeist im Leben. Es ist einfach nur ganz außerordentlich vergnüglich. Man freut sich, dass Jürgen Dollase in der FAZ den Übergang von Paul Haeberlin, der erfreulicherweise noch immer die Gäste begrüßt, zu Sohn Marc als völlig geglückt bezeichnet. Einfach darf man sich das nicht vorstellen. Die "spécialités qui on fait la renommée de l'Auberge de l'Ill", die Schlachtrösser des Hauses, die dessen Ruhm begründet haben, sind bestimmt auch eine Last für einen jungen kreativen Koch. Es wäre hochinteressant zu wissen, wie mit der Zeit an den Rezepten gedreht wird, ein bisschen leichter, saurer, und natürlich kleiner.

Jedes Jahr wieder das Theater, wir sitzen in der "Truite", und jeder verkündet mindestens einmal am Abend, dass er diesmal ganz bestimmt "Le Menu Haeberlin" nehmen wird. Oder doch lieber das "normale" Menu, also das mit den traditionellen Gerichten? Wie: Le saumon soufflé (Lachs mit einer Souffléhaube). La côtelette de pigeon au chou et aux truffes (Taube, gefüllt mit Kohl, Trüffel, Gansleber). Letzteres hat dazu geführt, dass ich, um keine Gansleberredundanz aufkommen zu lassen, als Vorspeise La salade de homard au fenouil mariné à l'orange et coriandre, cromesquis de pois chiches essen musste. Also, liebe Freunde und Zwetschkenröster, Hummer und Fenchel ist ja wohl klar, cromesqui ist ein Laberl, in diesem Fall Kichererbsenlaberl, sprich Falafel, und die geschmackliche Logik ist schwer zu beschreiben, wenn man das nicht gekostet hat. Es hat aber einfach gestimmt.

Dollase hatte auch Le filet de bar sur un risotto de pastèque à la creme de Wasabi (Branzino mit Wassermelonenrisotto und Wasabi-Creme) im Haeberlin-Menü ein besonders gutes Zeugnis ausgestellt. Zu Recht. Es sei eingestanden, dass ich soeben aus Faulheit auf die Auberge-Homepage ging, um mir den Namen dieses schönen Gerichts einfach herüberzukopieren, das ist ja wohl kein Plagiat. Bei dieser Gelegenheit stelle ich jedoch fest, dass nicht nur das große Haeberlin-Menü schon wieder ein anderes ist, nein, auch die ebenfalls von Dollase empfohlene - und von mir geradezu als sensationell empfundene (ich fraß mich bei meinem lieben Nachbarn, der sie à la carte bestellt hatte, hinein) - "Sardinendose" hat sich rasant weiterentwickelt.

Wandlung der Sardinenschachtel

Zu meiner Zeit hieß sie La boîte de sardines de l'Auberge de l'Ill marinées, spaghettis de courgette et gelée de poule aux aromates. Copyright Dollase: allerfeinst marinierte Sardinen auf einem würzigen Bett von Zucchinistreifen und mediterranen Gemüsen, leicht gebunden von einem Gelee aus Hühnerfond, mit einer Nocke von feinsten Geleewürfeln mit Kräutern und Gewürzen, die mit ihrem prominenten Minz-Anteil dem Ganzen eine große aromatische Breite und Frische gibt (Ja, genau so war's! Sie sind ja doch zu was gut, die Gastrokritiker!) Inzwischen hat der Meister daraus gemacht: La boîte de sardines de l'Auberge de l'Ill marinées sur un ragoût de petits coquillages et pommes de terre, cresson au caviar Pétrossian, die Sardinen sitzen also diesmal auf einem Ragout von kleinen Muscheln und Erdäpfel, mit Petrossian-Kaviar. Und ich bin nicht dabei!

Genau genommen hat uns Marc Haeberlin die Wandlung der Sardinenschachtel bereits unter dem Weidenbaum angekündigt, als wir nach dem Mittagessen um etwa fünf den Gang über den Rasen zum power nap antraten (danach gibt es immer noch ein geselliges Beisammensein bei ein paar Fläschchen). Meine Freunde stachelten mich, die angebliche Journalistin, zum Recherchieren an, damit ich eine schöne Geschichte schreiben kann. Ich jedoch wollte nur mehr meine selige digestive Ruhe haben, und jetzt haben wir den Salat. (Gudrun Harrer/Der Standard/rondo/07/09/2007)