Die Ideen und Fähigkeiten von Migranten bleiben in Österreich nur allzu oft ungenützt. In einer Entwicklungswerkstatt erarbeiteten Betroffene aus zehn Ländern gemeinsam mit heimischen Bildungswissenschaftern Gegenstrategien.

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Sie erarbeiteten Handlungsstrategien, die zur Abwechslung auch einmal das positive gesellschaftliche Potenzial dieser wachsenden Bevölkerungsgruppe nach innen und außen sichtbar machen sollen.

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Wird über Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und gesellschaftliche Ausschließungsmechanismen in einem Forschungskontext diskutiert, fungieren die unmittelbar davon Betroffenen meist als Objekte wissenschaftlichen Interesses. Ihre Rolle ist die des lebenden Beispiels.

Dieser gängigen Methode zur Produktion theoretischen Wissens mittels "Fremdrepräsentation" stellt eine Forschergruppe vom Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Grazer Universität das Modell der "Selbstrepräsentation" zur Seite: "Unser Ansatz ist es, die Migranten selbst am wissenschaftlichen Prozess teilhaben zu lassen und ihnen damit quasi einen Forscherstatus einzuräumen", erklärt die Erziehungswissenschafterin Angela Pilch Ortega. "Immerhin sind sie in diesem Zusammenhang die eigentlichen Experten."

Im Rahmen des vom Europäischen Sozialfonds und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit finanzierten Projekts PARS (Partizipation und antirassistische Handlungspotenziale) haben die Grazer Forscher gezeigt, wie so etwas funktionieren kann.

"Wir haben 16 in Österreich lebende Migranten und Migrantinnen aus zehn Ländern ausgewählt, die in einer 'Entwicklungswerkstatt' ihre Erfahrungen zu den Themen Selbstorganisation, Zugang zum Arbeitsmarkt, Diskriminierung am Arbeitsplatz sowie transnationale Familien und Heimweh diskutieren, reflektieren und systematisieren sollten", erklärt Pilch Ortega.

Empowerment statt ...

Um die in der wissenschaftlichen Arbeit herkömmliche Praxis der Textproduktion zu erweitern, wurden die Ergebnisse auch mittels Videos, Fotos und Karikaturen dokumentiert. "Diese Annäherung an das Integrationsthema", so die Bildungswissenschafterin, "zielt auf das Empowerment der Zielgruppe, das Erkennen der eigenen Ressourcen, einen Zuwachs an Selbstbewusstsein und damit nicht zuletzt auf eine aktive Teilnahme an öffentlichen und politischen Prozessen ab."

Überdies wollte man deutlich machen, dass es neben dem "wissenschaftlichen Wissen" auch andere Wissensformen wie etwa das oft unterbewertete und viel zu selten genutzte "Handlungswissen" gibt. "Spannend ist ja gerade der Dialog zwischen den einzelnen Wissensformen", ist Pilch Ortega überzeugt.

Ein zentrales Ergebnis der zehnmonatigen Entwicklungswerkstatt ist die Erkenntnis, dass man sich als Migrant nicht unbedingt mit dem zugewiesenen Platz in der "Gastgesellschaft" zufrieden geben muss, sondern durchaus die eigenen Fähigkeiten und Ideen einbringen kann - vorausgesetzt allerdings, man ist bereit, dafür zu kämpfen.

... Dequalifizierungen ...

Eines der ganz großen Hindernisse auf dem Weg zu einer aktiven, selbstbewussten Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in der neuen Heimat ist beispielsweise die systematische Dequalifizierung von Zuwanderern.

"Die Ausbildung, die Migranten in ihren jeweiligen Heimatländern absolviert haben, wird in Österreich meist weder formal noch informell anerkannt", weiß Projektmitarbeiterin Annette Sprung aus ihrer jahrelangen Arbeit in der Migrationsforschung.

Im Vergleich etwa zu Großbritannien oder einigen skandinavischen Ländern, wo man bereits so genannte Kompetenzfeststellungsverfahren entwickelt hat, sei Österreich hier relativ weit hinten. So müssen auch hoch qualifizierte Zuwanderer oft erst eine Jobzusage von einem Unternehmen vorweisen können, um überhaupt in den Nostrifizierungsprozess hineinzukommen.

Laut einer am Zentrum für soziale Innovation (ZSI) durchgeführten Studie arbeiten 39 Prozent aller Migranten in Jobs, die ihrer Qualifikation in keiner Weise entsprechen. Von den geborenen Österreichern sind davon nur 19 Prozent betroffen.

Das ist natürlich immer noch zu viel, sagt aber einiges über den Status der Migranten aus. "Uns ist es wichtig, die brach liegenden Potenziale von Migranten ins öffentliche Bewusstsein zu rücken", so Annette Sprung.

... und Ausschluss

"Die aktuelle Diskussion um den Facharbeitermangel macht deutlich, dass man hier schon viel zu lange gesellschaftliche Ressourcen verschwendet." Ausschließungsmechanismen, die das Wissens- und Erfahrungspotenzial der Zuwanderer unterminieren, gibt es viele - die meisten basieren auf Vorurteilen.

Um diese "gläserne Wand" zu durchbrechen, braucht man Strategien, wie sie die 16 Werkstatt-Teilnehmer gemeinsam unter Anleitung der beteiligten Forscher entwickelt haben. Für jeden Einzelnen eine nachhaltige Erfahrung, die den Blick auf sich selbst, das eigene Leben und Verhalten verändert hat.

Der Nutzen dieses Forschungsprojekts der etwas anderen Art sollte aber nicht beim persönlichen Empowerment der Teilnehmer enden: "Wir wollen mit unseren Erfahrungen aus diesem viel zu wenig genutzten Forschungsansatz der Partizipation und Selbstrepräsentation natürlich auch an die Öffentlichkeit gehen und die Methode in der wissenschaftlichen Arbeit stärker verankern", betont Annette Sprung.

So wurde zum Abschluss eine dreitägige Sommeruniversität für rund 100 Teilnehmer organisiert, an der auch Entscheidungsträger von Wirtschafts- und Arbeiterkammer, AMS und dem Magistrat teilgenommen haben. Ein optimaler Rahmen mithin, um regionale, nationale und europäische Netzwerke zu knüpfen und Allianzen zu bilden. Und nicht zuletzt: um das Integrationsthema aus einem neuen Blickwinkel in die öffentliche Diskussion zu bringen. (Doris Griesser/DER STANDARD, Printausgabe, 5.9.2007)