Johanna Rachinger, Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek -
Was sie weitergebracht hat: "Mein Einsatz, mein Engagement, dass ich beim Arbeiten nie auf die Uhr geschaut habe und dass der Job immer die Nummer Eins war in meinem Leben."
Foto: Österreichische Nationalbibliothek
Johanna Rachinger ist seit 2001 Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. Im Gespräch mit Isabella Lechner schildert sie ihren Werdegang, ihre Erfahrungen mit der "Gläsernen Decke" und wie sie sich als Führungskraft für Frauenförderung einsetzt. Sie spricht über ihre Liebe zur Literatur, ihre Einstellung zu Leistung, was sie von ihren MitarbeiterInnen erwartet und welche Eigenschaften ihr halfen, ganz nach oben zu kommen.

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dieStandard.at: Was reizt Sie besonders an ihrer Aufgabe als Generaldirektorin?

Johanna Rachinger: Es hat mir immer schon großen Spaß gemacht, in Unternehmen Organisationsprozesse zu steuern, etwas zu verbessern, strategische Ziele zu erarbeiten und umzusetzen. Deshalb fand ich besonders die Umstrukturierung der Österreichischen Nationalbibliothek in ein privatwirtschaftliches Unternehmen sehr spannend. Da konnte ich alle meine Fähigkeiten und Erfahrungen sehr stark einsetzen.

dieStandard.at: Welche Qualifikationen mussten sie für diese Stelle mitbringen?

Johanna Rachinger: Es waren Managementfähigkeiten in Kombination mit einem geisteswissenschaftlichen Studium gefragt - für mich das ideale Betätigungsfeld. Ich habe vor einigen Jahren nebenher auch die Ausbildung zur Bibliothekarin gemacht, was mir sicher bei der Bewerbung geholfen hat, aber in erster Linie glaube ich, dass meine geschäftsführende Tätigkeit beim Ueberreuter Verlag ausschlaggebend war, um die Stelle zu bekommen.

Als Ergänzung zu meinem kulturwissenschaftlichen Hintergrund habe ich dort gelernt, mich mit wirtschaftlichen Fragen und der Vermarktung von kulturellen Angeboten auseinanderzusetzen. Da auch die Österreichische Nationalbibliothek mittlerweile ein vollrechtsfähiges Unternehmen ist, in dem auch der wirtschaftliche Aspekt eine große Rolle spielt, habe ich sehr viel von meiner Managementerfahrung miteinbringen können.

dieStandard.at: Wollten Sie immer schon beruflich mit Büchern zu tun haben?

Johanna Rachinger: Das Buch hat mich während meiner beruflichen Laufbahn immer begleitet. Bei uns in der Familie haben früher schon alle gerne gelesen und ich war sehr gut mit Büchern versorgt. Als Kind wollte ich aber Gastwirtin werden - meine Eltern hatten ein Gasthaus, wo ich mich sehr wohl gefühlt habe. Dieser Berufswunsch hat sich lange gehalten. Ich habe mich immer viel und gern mit den Gästen unterhalten – das hat sicher mein kommunikatives, offenes Wesen geprägt.

Mit 15 habe ich eine Handelsakademie besucht, aber mein Lieblingsgegenstand war Deutsch und nach dem Abschluss war für mich klar, dass ich etwas machen möchte, was mit Büchern und Literatur zu tun hat. Erste Verlagserfahrung habe ich im Wiener Frauenverlag gesammelt, weil ich mich neben Literatur auch für die Frauenbewegung interessierte.

dieStandard.at: Hatten Sie so etwas wie einen Karriereplan?

Johanna Rachinger: Nein, überhaupt nicht. Ich wollte einen Beruf, der mir Freude macht, der mit Kultur zu tun haben sollte, und habe dann gemerkt, dass mir auch die wirtschaftliche Seite Spaß macht. Ich habe aber nicht von Anfang an eine Führungsposition angestrebt, wichtig war mir nur, finanziell unabhängig zu sein. Nicht von einem Mann abhängig zu sein war für mich immer eine Selbstverständlichkeit.

dieStandard.at: Wie sieht Ihr beruflicher Alltag aus? Was gehört zu Ihren Aufgaben?

Johanna Rachinger: Ich bin verantwortlich für ein Unternehmen mit 340 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich erarbeite und formuliere die Ziele, die wir in der Österreichischen Nationalbibliothek erreichen wollen, die Herausforderungen, die wir annehmen wollen, und setze gemeinsam mit meinem Team die Maßnahmen, um diese Ziele auch erreichen zu können.

Mein Alltag ist vor allem geprägt von Managementaufgaben. Der Zeitplan ist sehr straff geregelt, da wir auch viele Abendveranstaltungen im Haus haben.

dieStandard.at: Sind Sie während Ihrer beruflichen Laufbahn jemals an die "Gläserne Decke" gestoßen?

Johanna Rachinger: Ich habe immer – großteils männliche – Vorgesetzte gehabt, die erkannt haben, dass ich im Job meinen größten Einsatz und sehr viel Engagement einbringe. Ich war 35 als ich Geschäftsführerin des Ueberreuter Verlags wurde und es war damals überhaupt nicht selbstverständlich, dass eine Frau in diesem Alter diese Position in einem so großen Verlag übernimmt. Ich war erst zweieinhalb Jahre im Verlag tätig – die Verantwortlichen haben gesehen, dass ich gut arbeite und sich dann für mich entschieden. Das war damals etwas Besonderes – ich denke, es war einfach der richtige Zeitpunkt. Ich war selber erstaunt, weil ich niemals damit gerechnet hätte.

Ich habe also nie erlebt, dass ich von Vorgesetzten am Weiterkommen behindert worden wäre, aber als Geschäftsführerin habe ich später durchaus erfahren, dass männliche Geschäftsführer in ähnlichen Branchen Probleme im Umgang mit Frauen in Führungspositionen haben. Was ich daraus gelernt habe, ist, dass ich mich immer sehr stark auf die Sachposition beziehe, und es mir nie erlaube, auf der emotionalen Ebene zu agieren – damit konnte ich mich in dieser Position sehr gut behaupten.

dieStandard.at: Wird es hier im Haus als etwas Besonderes erlebt, dass eine Frau Chefin ist?

Johanna Rachinger: Es gab neben meinen 38 männlichen Vorgängern schon einmal eine Frau als Leiterin des Hauses. Ich hatte nie das Problem, von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht akzeptiert zu werden, weil ich eine Frau bin, das war nie ein Thema.

dieStandard.at: Vernetzen Sie sich mit anderen Frauen in Führungspositionen?

Johanna Rachinger: Ja, insofern, dass ich mich mit ihnen austausche und treffe. Ich würde Networking insgesamt aber nicht überschätzen – ich glaube nicht, dass man beruflich nur dann etwas erreichen kann, wenn man sich vernetzt. Ich habe das früher im Verlagswesen nie gemacht, weil ich so beschäftigt war damit, meine Arbeit gut zu machen und alles umzusetzen, was ich mir vorgenommen habe, dass ich überhaupt keine Zeit dafür gehabt hätte.

dieStandard.at: Welche persönlichen Eigenschaften und Stärken haben Sie in Ihrer Karriere weitergebracht?

Johanna Rachinger: Mein Einsatz, mein Engagement, dass ich beim Arbeiten nie auf die Uhr geschaut habe und dass der Job immer die Nummer Eins war in meinem Leben. Man hat sich auf mich und meine Leistung immer verlassen können.

Ich bin auch schon sehr leistungsorientiert erzogen worden, das ist manchmal als Kind nicht so einfach, aber rückwirkend hat mir das sehr viel gebracht, weil ich gelernt habe, dass man jede Arbeit, die man macht, gut machen soll. Diese Einstellung habe ich versucht, während meiner beruflichen Laufbahn zu behalten und das hat mir auch immer positive Rückmeldungen gebracht.

dieStandard.at: Was erwarten Sie als Chefin von Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?

Johanna Rachinger: Ich verlange, dass sie ihre Arbeit ernst nehmen, dass sie die Aufgaben, die an sie gestellt werden, auch umsetzen und dass sie Verantwortung übernehmen. Vor allem erwarte ich mir, dass sie nicht problemorientiert, sondern lösungsorientiert arbeiten. Ich freue mich, wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter nicht nur mit dem Problem, sondern mit einem Lösungsansatz zu mir kommt. Das weiß ich sehr zu schätzen.

dieStandard.at: Inwiefern engagieren Sie sich im Unternehmen für Gleichberechtigung und Frauenförderung?

Johanna Rachinger: Ich habe ein ganz gemischtes Team im Haus – es arbeiten ungefähr gleich viele Frauen wie Männer hier. Es gehört zu meinen Prinzipien, dass ich bei Jobausschreibungen bei gleicher Qualifikation eine Frau nehme, weil ich finde, dass Frauen in Führungspositionen die Verantwortung haben, Frauen zu fördern. Aber wie gesagt: bei gleicher Qualifikation – ich würde eine Bewerberin nicht bevorzugen, nur weil sie eine Frau ist. In den sechs Jahren, die ich jetzt hier bin, haben wir in jeder Abteilung 40 Prozent Frauen, in leitenden Positionen sind es sogar 50 Prozent. Auch in der zweiten Führungsebene haben wir einen über 40-prozentigen Frauenanteil. Ich habe im Haus eine Gleichbehandlungs-Beauftragte ernannt, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motiviert, sich an sie zu wenden, wenn sie sich in irgendeiner Weise diskriminiert fühlen – das gilt für Männer genauso wie für Frauen.

Was die Ausbildung betrifft, werden bei uns mehr Frauen in Weiterbildungen geschickt als Männer. Und ich achte darauf, dass immer mindestens die Hälfte der Arbeitsgruppen von einer Frau geleitet wird, denn in Arbeitsgruppen kann man sich sehr profilieren – das sind Sprungbretter für eine Karriere, weil man dort über das normale Arbeitsfeld hinaus zeigen kann, was in einem steckt.

dieStandard.at: Inwieweit spielt der Frauenförderplan in der Österreichischen Nationalbibliothek eine Rolle?

Johanna Rachinger: Wir haben ein Abkommen erarbeitet, in dem festgeschrieben ist, dass wir den 40-Prozent-Frauen-Anteil halten wollen. Der Frauenförderplan tritt in Kraft, wenn wir sehen, dass wir in einer Abteilung darunter liegen – was bis jetzt aber nicht der Fall war. Die Zahlen lasse ich jedes Jahr kontrollieren und das erarbeitete Papier neu evaluieren, damit wir sehen, wo wir stehen und wo Handlungsbedarf in Sachen Frauenförderung ist.

Ich habe außerdem ein Mindestgehalt für alle Angestellten von 1400 Euro monatlich eingeführt. Auch das sehe ich indirekt als Frauenförderung, weil ja sehr viele Frauen in unterbezahlten Bereichen beschäftigt sind. Ich würde also sagen, dass wir so gut wie alle Voraussetzungen erfüllen, die wichtig sind, um Frauen gleichberechtigtes Arbeiten zu ermöglichen.

dieStandard.at: Haben Sie das Gefühl, dass Sie als Frau in einer Führungsposition anders an Ihre Aufgaben herangehen als ein Mann?

Johanna Rachinger: Nein, das denke ich nicht. Ich glaube nicht, dass es so etwas wie ein weibliches und ein männliches Führungsverhalten gibt. Ich denke, es gibt Menschen mit unterschiedlichen Charakteren. Was ich aber schon glaube, ist, dass Frauen besser erkennen und beurteilen können, was Frauen imstande sind, zu leisten.

Was mich persönlich angeht, glaube ich, dass ich als Chefin keine Scheu vor Konflikten habe, dass ich entscheidungsfreudig bin und Dinge sehr gut vorantreiben kann.

dieStandard.at: Zurück zu den Büchern: Haben Sie neben ihrer 60-Stunden-Arbeitswoche eigentlich noch Zeit zum Lesen?

Johanna Rachinger: Leider kann ich heute bei weitem nicht mehr so viel lesen wie während meiner Ausbildungszeit, aber ich versuche zu vermeiden, zu sagen, ich hätte keine Zeit dazu - ich versuche, mir die Zeit dafür zu stehlen, denn, wie Heimito von Doderer sagte: "Wer Zeit hat, denkt, wer keine hat, verblödet." Ich lese aber auch leidenschaftlich gerne Zeitungen, ich lese, was ich davon zwischen die Finger kriege, vor allem am Wochenende – Zeitungen sind fixer Bestandteil des Frühstücks.

dieStandard.at: Welche Art der Literatur lesen Sie am liebsten?

Johanna Rachinger: Ich habe immer sehr viel Belletristik gelesen, was sicher auch mit meinem Studium zu tun hat, viel österreichische Literatur, auch von zeitgenössischen Autorinnen und Autoren. Mir haben aber auch immer die russischen Realisten sehr gut gefallen – mein Lieblingswerk ist "Väter und Söhne" von Turgenjew.

Heute lasse ich mir gerne von Freundinnen und Freunden Bücher empfehlen. Ich bin immer noch sehr an Frauenliteratur interessiert, allerdings lese ich nicht mehr die Selbstreflexionswerke, wie sie in den 80er-Jahren auf den Markt gekommen sind – die gibt es in der Form ohnehin nicht mehr. Gerade gelesen habe ich zum Beispiel "Über Nacht" von Sabine Gruber, die jetzt für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde, und "Das Fenster zum Sommer" von Hannelore Valencak, eine Autorin, die gerne mit Marlen Haushofer verglichen wird.

dieStandard.at: Frauenliteratur nimmt ja auch in der Österreichischen Nationalbibliothek eine besondere Stellung ein…

Johanna Rachinger: Ja, wir haben seit vielen Jahren die Abteilung "Ariadne", eine Dokumentationsstelle, die sich speziell mit Frauenliteratur beschäftigt. In der Datenbank wird auch Sekundärliteratur zur Frauenliteratur speziell erfasst – das ist eine sehr erfolgreiche Sache, weil alle, die wissenschaftlich zum Thema forschen, hier die wesentlichen Informationen bekommen.

dieStandard.at: Haben Sie sich jemals auch für das Schreiben interessiert?

Johanna Rachinger: Nein, das bin ich schon im Frauenverlag gefragt worden, weil meine Kolleginnen dort großteils auch selbst geschrieben haben. Ich kann das nicht – und die Bücher, die mich begeistern, hätte ich nie im Leben selbst schreiben können.

dieStandard.at: Wo finden Sie in Ihrer Freizeit den Ausgleich zum Job?

Johanna Rachinger: Ich gehe sehr gerne wandern, beim Gehen kann ich entspannen. Ich gehe auch zu Fuß jeden Tag eine halbe Stunde in die Arbeit und wieder heim. Am Wochenende lese ich wie gesagt gerne, mein Mann und ich treffen Freunde, wir kochen, sprechen über Gott und die Welt und genießen.

Aber auch Abendveranstaltungen, die Teil meiner Arbeit sind, können durchaus Freude machen und entspannend sein: Ich treffe dabei häufig interessante Menschen, mit denen ich spannende Unterhaltungen und Begegnungen habe, von denen ich persönlich profitiere.

dieStandard.at: Was möchten Sie beruflich noch erreichen?

Johanna Rachinger: Für mich haben sich berufliche Veränderungen immer ergeben, wenn Zeit für etwas Neues war – ich habe sie nie bewusst angestrebt, aber immer als etwas äußerst Positives erlebt: Mit jeder Veränderung bin ich gewachsen, habe etwas Neues dazugelernt, habe neue Erfahrungen sammeln können. Ich sehe auch meine Aufgabe hier nicht als letzte Station in meinem beruflichen Werdegang. Es geht mir aber nicht darum, noch höher hinaufzukommen oder irgendetwas zu beweisen – ich glaube, ich habe gezeigt, dass ich Karriere machen kann.

Auf jeden Fall möchte ich möglichst lange arbeiten und eine Aufgabe haben, weil es wichtig ist, auch wenn man älter wird, Ziele zu haben und etwas erreichen zu wollen. Ich werde sicher irgendwann noch etwas anderes machen, aber was das konkret sein kann, darüber denke ich noch nicht nach – jetzt bin ich ja noch einige Jahre hier.

dieStandard.at: Was würden Sie jungen Frauen, die eine Führungsposition anstreben, als Rat mitgeben?

Johanna Rachinger: Aufzeigen im Unternehmen! Zeigen, dass man mehr will, dass man etwas bewegen will und persönliches Engagement einbringen – das sieht jede Führungskraft gerne. Wenn sie wirklich die Gläserne Decke durchbrechen wollen, dann sollten sie durchaus einen Karriereplan machen und sich überlegen, wo sie hin möchten und wie sie dieses Ziel erreichen können. Ich glaube, dass wir immer noch mehr Leistung bringen müssen als Männer um für eine Führungsposition in Frage zu kommen – das habe ich auch persönlich so erlebt. Die Frauen, die heute in Österreich führend sind, haben alle viel leisten müssen, damit man auf sie aufmerksam wird und sie an die Spitze kommen.

Es spielt aber neben der Leistung natürlich auch die private Situation eine große Rolle: Ich habe es viel leichter als andere Frauen, weil ich keine Kinder habe und mir beruflich alles viel besser einteilen kann. Ich muss abends nicht nach Hause, um meine Familie zu versorgen. Meinen beruflichen Weg hätte ich mit Kindern nicht gehen können. (Isabella Lechner/ die Standard.at, 4.9.2007)