Jodgor Obid musste aus politischen Gründen Heimat und Familie verlassen.

Foto: Haus der Autoren, Graz
Graz - "Poesie ist gefährlich", sagt Jodgor Obid. Der 1940 in Taschkent, Usbekistan, geborene Dichter sitzt tief eingesunken in einer Couch in seiner Grazer Gemeindewohnung und trinkt Tee. "Weil sie so populär ist", begründet er.

Er muss es wissen, denn vor mehr als einem Jahrzehnt gelang dem bei Usbeken im In- und Ausland populären Dichter eine abenteuerliche Flucht aus seinem Heimatland. Sein Weg führte ihn über den Kaukasus und Moskau nach Österreich, wo er zunächst in Graz, dann in Götzis in Vorarlberg lebte und schließlich wieder nach Graz zurückkehrte.

Tee und Dichtung werden in Usbekistan hochgehalten. Kaum jemand in der ehemaligen Sowjetrepublik hat in seiner Jugend keine Gedichte geschrieben oder rezitiert. Obids Gedichte werden sogar als Lieder auf Hochzeiten gespielt. "Wenn in Usbekistan zwei Leute streiten, dann zitieren sie Dichter, sie untermauern ihre Ansichten mit Gedichten. Usbekistan ist ein Poesieland."

Zu kritisch

Jodgor Obids Ansichten schienen dem Regime von Islom Karimow, dem derzeitigen Präsidenten des von der KP regierten Usbekistan, zu kritisch, der Dichter wurde gefährlich. Zwölfmal wurde er festgenommen, neunmal saß er im Gefängnis, er wurde gefoltert, seine Familie - er hat zwei Töchter und mittlerweile sechs Enkelkinder - wurde beschattet und verhört. "Ich bin kein Politiker, ich bin Dichter. Ich habe geschrieben, was ich sah und fühlte." In den Dichterkreisen hat sich ein Begriff manifestiert, den Obid für das politische Regime erfand: Baschismus, eine Zusammensetzung aus Bolschewismus und Faschismus. Obid gehörte der Bewegung "Birlik" (Einheit) an, die heute zu den nicht zugelassenen Parteien zählt. Das erste Mal für die Wahrheit gekämpft hat er als Volksschüler. Ein Klassenkamerad hatte ein Gedicht auf Lenin vorgetragen, in dem er ihn als "Vater und Mutter" bezeichnete. Obid stand auf und sagte: "Lenin kann keine Mutter sein, er ist ein Mann." Dann hätten sie gerauft. Obid lacht, als er diese Episode erzählt.

Mit Gedichten kam der 67-Jährige schon früh in Berührung. Er las die Lyrik seiner verstorbenen Mutter und begann schließlich selbst zu schreiben. Bevor er 35-jährig ein Stipendium am Moskauer Maxim-Gorki-Institut bekam und Dichtung studieren konnte, war er Kolchosenarbeiter.

"Writer in Residence"

Und bevor er "Dichter" auf seine österreichische Visitenkarte schrieb, war der Preisträger der Organisation Human Rights Watch Gärtner in Österreich, wohin er 1997 mit einem Rotkreuz-Pass kam. In Graz lebte Jodgor Obid im Rahmen des Projektes "Graz - Stadt der Zuflucht" mit anderen Künstlern am Schlossberg, in Vorarlberg war er "Writer in Residence". 1999 wurde er als politischer Flüchtling anerkannt, 2003 wurde er österreichischer Staatsbürger.

Als Obid flüchtete, blieb ihm nur das Schreiben. Vier Gedichtbände und eine CD sind hierzulande erschienen, in Usbekistan sind seine Bücher verboten. Obid schreibt noch immer - auf Usbekisch und mit der Hand. "Ich liebe Usbekistan, dieses schöne und reiche Land, meine Heimat", sagt er wehmütig. Diese Wehmut teilte er im virtuellen Teehaus "Telecechana" mit amerikanischen Studenten, als er kürzlich im steirischen Kirchbach per Videokonferenz Gedichte vortrug. 2008 kommt ein neuer Aufguss. (Marijana Miljkovic/DER STANDARD – Printausgabe, 4.9.2007)