Wem Ötzi (im Bozener Museum) und sein Kupferbeil "gehören",...

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... ist aufgrund der Fundstelle umstritten.

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Innsbruck - Am Nachmittag des 2. Oktober 1991 begab sich eine achtköpfige österreichisch-italienische Kommission von Vent im hinteren Ötztal per Hubschrauber zum 3200 Meter hohen Tisenjoch: Fachleute der Staatsgrenzvermessung, der Zollwachabteilung, Historiker der Uni Innsbruck, ein Carabiniere. Der Grund war ein Sensationsfund zwei Wochen zuvor. Am 19. September hatte das Ehepaar Simon aus Nürnberg in der Nähe des Jochs, unweit der Staatsgrenze, eine gut erhaltene mumifizierte Leiche im Eiswasser entdeckt.

Bald entstand auch politisch ein Griss um den vorübergehend in der Innsbrucker Anatomie Tiefgekühlten. Just ein Urtiroler, "Ötzi", wie ihn Niki Glattauer von der Wiener Arbeiter-Zeitung erstmals und prägend nannte, wurde zum wertvollen Streitobjekt zwischen Tirol mit seiner Uni und dem 1918 schmerzlich abgetrennten Südtirol.

Schwierige Lokalisierung

Die Delegation war aufgebrochen, um die territoriale Zugehörigkeit der auf ein Alter von rund 5000 Jahre geschätzten Leiche und ihrer Utensilien (unter anderem ein Kupferbeil), zu klären. Aber "die Lokalisierung der Fundstelle war infolge der Schneefälle der letzten Tage einigermaßen schwierig", steht tags danach im Protokoll. Zum Glück hatte ein Historiker an den Tagen zuvor bei Sonne Fotos von der Stelle gemacht. So konnte die Fundstelle rekonstruiert und auch staatlich zugeordnet werden, nachdem der in Urkunden verzeichnete Grenzverlauf zwischen den Grenzsteinen b-35 und b-36 im Gelände nachgezeichnet wurde: "Aufgrund der Messungen ergab sich der Fundort eindeutig auf italienischem Staatsgebiet, 92,55 m entfernt von der Staatsgrenze", wurde im Protokoll vermerkt. Aber geklärt war die Angelegenheit noch nicht.

Kurz vor Weihnachten 1991 saßen im Wiener Wirtschaftsministerium zehn Männer beisammen, um "aufgetretene Fragen" zu besprechen. Denn bei der Vermessung der Fundstelle war aufgefallen, dass die in den 1920er-Jahren gezogene Grenzlinie zwischen der Klopaierspitze beim Reschen und der Dreiherrenspitze in der Venedigergruppe im Abschnitt b-34 bis b-36 nicht dem Friedensvertrag von St. Germain von 1919 entsprach. Der Vertrag setzt für diesen Abschnitt "die Linie der Wasserscheide" (zwischen Inn und Etsch) als Grenze fest.

Und am Fundort ist, wenn nicht gerade Schnee liegt, auch für Laien zu sehen: Das Schmelzwasser fließt nach Norden ab, Ötzi lag also nördlich der Wasserscheide. Diese war aber in den 1920er-Jahren bei der geodätischen Aufnahme der neuen Staatsgrenze nicht zu erkennen, denn die Gegend war noch stark vergletschert. Also zogen die Beamten der zwischenstaatlichen "Grenzregelungs-Kommission" im September 1923 einen geraden Strich.

Politische Rücksicht

Nur: Durfte die Kommission "eine von der Wasserscheide abweichende Grenzlinie festlegen?", fragte sich 1991 die Beamtenrunde im Wirtschaftsministerium. Und: "Besteht eine Möglichkeit, die gezogene Grenze anzufechten?" Rechtlich war man sich nicht einig. Einerseits galt: Die von der Grenzkommission gezogenen Linien waren bindend. Andererseits lag ein "Grundlagenirrtum" vor. Letztlich gaben politische Argumente den Ausschlag: "Eine Neuziehung der Staatsgrenze" schien "im Hinblick auf die Autonomieverhandlungen bezüglich Südtirol ein falsches Signal", und wäre "auch nicht im Sinne des europäischen Integrationsgedankens", resümierte ein Beamter. Ötzi blieb also italienischer, das hieß auch: Südtiroler Besitz. Und zieht jährlich mehr als 200.000 Besucher in das für ihn errichtete Museum in Bozen.

Dennoch hatte der Fund nachhaltige Folgen für die Grenze. Im Außenministerium wurde 1991 gerade an einem bilateralen Vertrag gefeilt, der "die Instandhaltung sowie die Vermessung und Vermarkung" der Staatsgrenze mit Italien neu regeln sollte. Neuvermessungen in den 1970ern machten eine Klärung nötig. Und nach den Erkenntnissen, die an Ötzis Fundort ausaperten, wurde nun die Brenner-Grenze nicht mehr als fixes, sondern als gegebenenfalls bewegliches Gebilde definiert. "Soweit die Staatsgrenze durch die Wasserscheide- oder Kammlinie bestimmt ist, folgt sie den allmählichen natürlichen Veränderungen dieser Linie", heißt es im Abkommen. Konkret: Durch Erosionen am Kamm oder durch das Schmelzen von Gletschern oder Schneefeldern verändert sich auch die Grenze. 1994 unterzeichneten Alois Mock und sein Amtskollege Beniamino Andreatta den Vertrag. Dieser trat, nahezu unbemerkt, erst 2006 in Kraft. (Benedikt Sauer/DER STANDARD – Printausgabe, 4.9.2007)