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Kulturmarketing im Zwielicht: Dürers Hase (li.) bei einem Auftritt in den "Seitenblicken" (re.)

Fotos: Albertina/ Archiv
Fastenzeit, stille Zeit. Nachdenklich lauscht das gläubige Volk im Kulturland seiner erleuchteten Hirtin. Mit suggestiver Stimme, die Evaluierungsstudie vor sich, interpretiert Liese Gehrer die Tatsachen und beschwört uns, ans Gute zu glauben, positiv zu denken und ihre hyperaktiven Museumsdirektoren nicht weiter anzuschwärzen. Sie hätten ganze Arbeit geleistet, alles sei nicht nur effizient sondern sogar bestens, und wenn auch der eine oder andere der Buben einmal schlimm war: Wir dürfen gerade jetzt nicht den Glauben an der Richtigkeit der Ausgliederung der Museen verlieren, dem Zweifel nicht nachgeben. Wir müssen der Versuchung, die Vollrechtsfähigkeit madig zu machen, widerstehen.

Vor fünf Jahren hat die Hirtin ihre Museen aus der Obhut entlassen und nun machen sie Brösel, Scherben, Sodom und Gomorrha. Und dennoch, die bösen Geister, die sie selbst berufen, will oder kann sie nicht mehr loswerden. Statt dessen mahnt sie uns, mit ihr zu glauben. Und ja. Wir schließen für ein Weilchen die Augen. Öffnen das Herz, ganz weit. Und wer erscheint da vor unserem geistigen Auge? Exakt, eine Reihe von Sicherheitsexperten und Denkmalschützerinnen mit warnenden Zeigefingern. Sie versammeln sich in der altehrwürdigen, mittlerweile abgerissenen Bibliothek der Albertina. Später kommt der unruhige Geist der Saliera hinzu, dann eine sündteure ägyptische Sphinx, die noch nie jemand vor uns zu Gesicht bekommen hat, der alte Vermeer, dem schon der Lack abgeht, und zuletzt Albrecht Dürer, ein Häschen in seinen betenden Händen haltend. - Blitzlicht. Ein Spuk nur. Die Versuchung wahrscheinlich. Oder sind es doch die Vorboten einer Katastrophe? Kündigt sich die komplette Verschleuderung des kulturellen Kapitals an und wir verbeten die Zeit? Gerieren sich da am Ende ein paar Manager als Schöngeister mit diplomatischer, ökonomischer Potenz und sind doch in Wahrheit nur geltungssüchtige Karrieristen?

Draußen ist es kalt. Die Hirtin ist müde. Sie hat die Kontrolle über ihre alerten Buben verloren, die sich gebärden, als würden ihnen die Museumsgüter, die sie für einen kurzen Moment der Geschichte anvertrauten bekommen haben, selbst gehören. Die sich wie Klassenordner in der Schule aufführen, denen die Chemielehrerin Eprouvetten mit Schwefelsäure in die Hand gedrückt hat, während sie Formeln wie "Pisa" auf die Tafel schreibt - und schon sind Löcher im Katheder. Die Klasse ist begeistert. Abenteuer, Hypes. Für den Applaus in den Seitenblicken können die Deals nicht spektakulär genug sein und das anvertraute kulturelle Welterbe wird halt riskiert.

Viel zu lange hat auch das Denkmalamt dem Treiben zugesehen. Jetzt mit dem letzten Streich, mit der ungenehmigten Ausfuhr von Dürer-Zeichnungen, ist es hellwach und macht deutlich, was für viele schon lange sichtbar war. Hier werden Gesetze verletzt, die in jedem anderen Land Grund genug gewesen wären, zu handeln. Ein Gespenst folgt dem nächsten, immer deutlicher werden die Auswüchse einer unprofessionellen Vollrechtsfähigkeit und nichts geschieht.

"Ho ho", warnen manche, die selbst gerne Fetische für zu Hause kaufen und darauf aufpassen, "jetzt aber langsam. Warum sollten die gemeinsamen Kulturgüter nicht von eigenverantwortlichen Managern besser verwaltet werden können als von staatlichen Behörden? Bloß weil da zwei Direktoren mit dem Anvertrauten fahrlässig hantieren?"

Delegiert der Staat seine Aufgaben, muss er mit einrechnen, dass das schief gehen kann. Mag sein, dass die Verantwortung dann im Detail nicht mehr erkennbar ist. Aber für die weit reichenden Folgen und die grellen Effekte gilt das nicht. Das ist bei der Post nicht anders als bei den Museen. Die Verantwortung abzugeben, ist einfach: geht was schief, waren es die anderen. Aber zuletzt hat der Staat Aufgaben, die nur er erfüllen kann und für die er geradestehen muss, denn Museumsdirektoren lassen sich nun einmal nicht abwählen, selbst wenn sie den Kulturgütern ungenügend Schutz bieten.

Die Hirtin ist ein wenig eingenickt. War nicht sie es, die im guten Glauben eine schlampige Ausgliederung veranlasst hat, deren Folgen sie jetzt zu spüren bekommt? Und wer braucht da noch teure Evaluationsstudien, die von den Freunden der Direktoren geschrieben wurden und die uns weismachen sollen, dass alles in Ordnung ist? Hinter vorgehaltener Hand lachen da selbst die Kontrollierten. So laut lachen sie, dass die vorgehaltene Hand nur mehr symbolischen Wert hat.

Aber die Hirtin ist fest eingeschlafen. Sie träumt von betenden Händen. (DER STANDARD, Printausgabe, 01.03.2005)