Das Kistenklettern an der Hauswand zählt zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen bei schlechterem Wetter. Kein Betreuer ist über 13 Kisten hinausgekommen. Nicos Rekord ist mit 23 Stück einer für die Geschichts-bücher.

Foto: DER STANDARD/Schlosser
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Obernberg a. Brenner - Nico ist 15, und der Stapel auf dem er sitzt, umfasst bereits mehr als ein Dutzend Bierkisten. Über einen Karabiner unter dem Dach des zweistöckigen Seminarhauses des Alpenvereins ist er mit Caroline Pittracher verbunden, die unten auf dem Boden steht und ihn sichert. Eine Kiste nach der anderen wird zu Nico hochgezogen, die er aus dem Seil löst, dann steht er auf und schiebt sie zwischen seinen Beinen durch. Der Turm wackelt, wird insgesamt immer schiefer, aber er fällt nicht. Mit jeder Kiste wird der Beifall der an die 20 Beobachter, die in sicherer Entfernung und trotzdem mit Helm geschützt die Szene beobachten, lauter. Immer näher kommt Nico dem Rekord von 19 Kisten, den am Vortag ein Gleichaltriger aufgestellt hat. Dessen Klatschen fällt ein wenig zurückhaltender aus.

19 Jugendliche zwischen elf und 15 Jahren haben in den vergangenen zwei Wochen am Lern- und Sportcamp der Alpenvereinsjugend in Obernberg am Brenner teilgenommen. "Sie sollen wieder Spaß am Lernen finden", fasst Caroline Pittracher zusammen, die das Camp heuer zum zweiten Mal leitet. Die 23-jährige ist Volksschullehrerin, hat Zusatzausbildungen als Lernberaterin, arbeitet unterm Jahr mit Kindern nicht deutscher Muttersprache in Innsbruck und studiert seit einem Jahr nebenbei Pädagogik.

Am Vormittag wird drei Stunden in Kleingruppen gelernt, nachmittags noch einmal eine Stunde. Dazwischen und danach gibt es je nach Wetter ein sportlich- abenteuerliches Programm, das vom Klettern über Fackelwanderungen bis zu einer Unzahl an Gruppenspielen reicht. Bemerkenswert ist, ein strikt eingeteilter Tagesablauf, samt Bettruhe um 22 Uhr.

Erst nachdem die Anmeldungen vorliegen und klar ist, für welche Fächer Bedarf besteht, wird das Team jeweils zusammengestellt, erzählt Pittracher. Heuer waren das Deutsch, Mathematik, Englisch, Französisch und Physik. Überraschenderweise kein Latein. Die Jugendlichen kommen aus ganz Österreich, aufgenommen wurde, wer sich zuerst angemeldet hat. Etwa die Hälfe sind Mädchen, die Altersverteilung zwischen elf und 15 ist gleichmäßig.

"Eine Besonderheit bei uns ist, dass wir meistens mehr männliche als weibliche Betreuer haben", sagt Pittracher, der älteste von ihnen ist 28, alle studieren einschlägige Fächer. Obernberg am Brenner liegt fast am Ende der Welt auf nahezu 1400 Meter Höhe. Das Jugend- und Seminarhaus liegt noch ein Stück dahinter. Dann kommt nur noch die Idylle der umgebenden Berge, geprägt vom imposanten Obernberger Tribulaun.

Die 14-jährige Isabella aus Wien schimpf über so viel Abgeschiedenheit, trotzdem ist sie schon zum zweiten Mal da. Bevor sich ein Dutzend Jugendliche den Fragen des Reporters stellt, werden die Betreuer hinausgeschickt. Trotzdem gibt es kaum kritische Stimmen. Einzig darüber, dass untertags das Handy abzugeben ist, maulen einige, aber selbst für diese rigorose Maßnahme gibt es Zustimmung. Jacqueline (13) ist auch schon zum zweiten Mal da. Sie hat ihre Deutsch- Grammatik aufpoliert und findet die Kombination von "Lernen und Sport super". Pascal (16) ist altersmäßig gerade noch reingerutscht und wurde von einem Freund gefragt, ob er mitkommt. Sein zweites Argument: "Mein Französisch ist ein bissl tragisch." Steffi (12) findet es "total lustig", und fast alle sagen, dass es die eigene Entscheidung war, nach Obernberg zu fahren.

In den Lerngruppen sind höchstens fünf Jugendliche beisammen, und unisono heben Betreuer und Jugendliche es als positiv hervor, dass Ältere mit Jüngeren gemeinsam arbeiten. Das zieht sich durch den ganzen Alltag, und Pittracher erwähnt, dass es auch bei den coolsten Burschen keine zwei Tage dauert, ehe sie sich an den kindischsten Spielen beteiligen.

Nico hat den Rekord von 19 Kisten schon hinter sich gebracht. Letztlich schafft er, was niemand für möglich hielt: Er sitzt auf allen 23 Kisten, die im Haus zu finden waren, mit dem Kopf schon unter dem Dachgiebel. Unten wird gejubelt, er bringt den Turm vorsätzlich zum rumpelnden Zusammensturz und gleitet am Seil langsam zu Boden. Nicos einziger Kommentar: "Wackelig war es da oben schon." (Hannes Schlosser/DER STANDARD-Printausgabe, 29. August 2007)