1932 war das Schwundgeldexperiment in Wörgl von der österreichischen Nationalbank zunächst toleriert worden. Als aber die Arbeitslosigkeit in Wörgl innerhalb eines Jahres um 25 Prozent gesunken war, während sie überall anderswo stieg, wollten sich mehr als hundert Gemeinden dem Freigeldexperiment anschließen. Dies gefährdete das staatliche Monopol der Geldmengensteuerung und wurde deshalb politisch gestoppt.

Der Wettbewerb mit anderen Zahlungsmitteln kommt einer Privatisierung des Geldes gleich. Aus diesem Grund sind auch heute Zentralbanken keine Freunde des Freigelds. Selbst im Eurowährungsraum sind sie nicht, wie Kirchgässner meint, Umsetzer der Freigeldidee. Sie sind ja noch stets Hüter des staatlichen Geldmonopols. Es sind vielmehr Regio-Währungen, bei denen heute Silvio Gesells Freigeldutopie verwirklicht wird.

"Roland", "Havelblüte" und "Engel"

Seit der Einführung des "Roland" in Bremen 2001, sprießt dieses regional gebundene Geld, das teils mit Ablaufdatum verfällt oder mit zugekauften Wertmarken im Wert erhalten werden kann, wie Pilze aus dem Boden: der "Regio" in München, der "Chiemgauer", der "Berliner", die "Havelblüte" von Potsdam oder meine Lieblingswährung: der "Engel" in der Lutherstadt Wittenberg. Der "Engel" ist umlaufgesichert, zins- und inflationsfrei. 16 Regiowährungen zählte die Deutsche Bundesbank 2006, dreißig weitere sind in Planung. Ihr Gesamtumlauf ist derzeit freilich lediglich 200.000 Euro. Allerdings zirkuliert Regio-Währung schneller als Zentralbankgeld.

Regio-Währungen sind oft nichts anderes als Warengutscheine zur Förderung regionaler Produkte. Ein wenig erinnern sie auch an jene Bürgerinitiativen in den USA, die Kriminalität sehr erfolgreich mit privaten Nachtwächtern bekämpfen. Die Verbrecher wandern dann zwar ab, aber nur zur nächsten Gemeinde, und die Kriminalität bleibt insgesamt erhalten. Aus ähnlichen Gründen sind auch die Nachteile der Globalisierung über Regio-Währungen nicht zu verhindern, obwohl sie eine Region beleben.

Strafe für das "Horten"

Gerade beim Freigeld stellt sich die Frage, welche Funktionen Geld hat. Recheneinheit, Tauschmittel und Wertaufbewahrungsmittel, steht in den Lehrbüchern. Die letztgenannte Funktion kritisierte Silvio Gesell, der Theoretiker hinter dem Experiment in Wörgl: Wird Geld zu sehr als Wertaufbewahrungsmittel benützt, kommt es zu Nachfrageblockaden im Güter- und Dienstleistungsbereich. Neben der Abschaffung des staatlichen Geldmonopols war die Umlaufsicherung daher ein zweites Kernelement der Gesellschen Idee des Freigelds. Zinsen wurden als ungerechtfertigte Belohnung für das Entziehen von Geld aus dem realen Wirtschaftskreislauf gesehen. Also sollte ihm ein Ablaufdatum verpasst werden, das sein Horten bestraft.

Beim Experiment in Wörgl waren auf jedem Geldschein zwölf Felder für Wertmarken von je 1 Prozent des Nennwerts. Wer einen Geldschein zwölf Monate lang nicht ausgab, musste alle zwölf Felder mit Wertmarken bekleben und also zwölf Prozent des Nennwertes Strafe bezahlen, um sie wieder in Umlauf zu bringen. Die Einnahmen daraus flossen in die Gemeindekasse. Auch heute gibt es wieder "Schwundgeld": Der "Markgräfler" in Heitersheim verfällt nach einem Vierteljahr, der "Waldviertler" in Österreich verliert pro Quartal zwei Prozent von seinem Wert.

Wäre Zins tatsächlich der Lohn für die Aufgabe von Liquidität, für das Aufschieben von Konsum und für sinnvolle Investitionen, dann hätte Kirchgässner recht, der Vorschlag eines Schwundgeldes wäre absurd. Allerdings bestünden dann auch die Probleme nicht, die Schwundgeld lösen will. Wären alle Mittel, die nicht konsumiert wurden, in Realinvestitionen an Unternehmer verliehen, die ihre Güter und Dienstleistungen verkaufen, dann würden die Geschäfte florieren, die Nachfrage nach Arbeit würde steigen und wir hätten keine ökonomischen Krisen.

Irgendwann zuvor allerdings hätte der mexikanische Telekom-Krösus Carlo Slim, als reichster Mann der Welt, noch beginnen müssen, sein Vermögen wieder auszugeben. Gefolgt von allen Reichen der Welt. Den Porsches, den Piechs, den Schäfflers und all den Durchlauchten Prinzen. Sie alle haben ja jahrelang auf Konsum verzichtet, Zinsen als Lohn für ihr geduldiges Warten erhalten und müssten nun, gemäß der Theorie des Konsumaufschubs, alles nachholen. Slim müsste 67,8 Milliarden Dollar ausgeben, Bill Gates 59,2 Milliarden, die Porsches bloß 14 Millarden Euro. Wie haben sie es bloß geschafft, auf so viel Konsum zu verzichten, damit sie ihn jetzt nachholen dürfen?

Spekulation statt Unternehmertum

Die neoklassische Theorie des Konsumaufschubs ist die herrschende Lehrmeinung der Ökonomie zur Begründung des Zinses. Die enormen Veränderungen auf den Finanzmärkten kann sie freilich nicht begründen. Drastisch steigen seit Mitte der 1980er-Jahre die Vermögen durch Finanztransaktionen. Es ist Finanzkapital, nicht Realkapital, Spekulation statt Unternehmertum, Aktienhandel statt Konsum, Wahnsinnsgewinne ohne Arbeit. Eine bis dato noch nie da gewesene Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen, die es den Reichen – selbst den konsumwütigen russischen Oligarchen - bereits unmöglich macht, ihren Reichtum zu konsumieren. 67,8 Millarden kann man einfach nicht ausgeben, es sei denn für andere.

1936 kritisierte John Maynard Keynes, dass die Zinsen durch Spekulation zu hoch werden. Er verdammte die Spekulanten und hoffte auf Einsicht in die Nutzlosigkeit ihres Daseins, weil sie nichts produzieren und ihr Geld nur weiter für Spekulationen horten. Auf diese Einsicht warten wir noch und deshalb müssen wir langsam nach anderen Möglichkeiten suchen, um Arbeitslosigkeit und Ungleichheit zu bekämpfen. Inflation wäre ein Beispiel dafür, höhere Steuern ein anderes. Das regionale Freigeld ist auch eine Möglichkeit: Das Hoffen auf die rettenden "Engel".