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Der ehemaligen Energieminister Alberto Acosta (re) neben Präsident Rafael Correa. Präsident und Parlament blockieren sich in Ecuador gegenseitig. Eine Verfassungsgebende Versammlung soll die politische Praxis und die Gesetzgebung vereinfachen.

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Michael Langer, Direktor des Instituto Latinoamericano de Investigaciones Sociales.

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Am 30. September wird in Ecuador eine Verfassungsgebende Versammlung gewählt – ob diese jedoch die hohen in sie gesetzten Erwartungen erfüllen kann, hängt stark von den Mehrheitsverhältnissen ab, erklärt der Ecuador-Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung, Michael Langer, im derStandard.at-Interview mit Heidi Weinhäupl in Quito.

Die "Asamblea Constituyente" mit absoluten Vollmachen ("plenos poderes") könnte theoretisch auch das Parlament auflösen, wie es Präsident Correa mehrfach angedeutet hat – dies ist jedoch eine Interpretation, der diverse Verfassungsexperten widersprechen. Die Rechte setzt unterdessen auf die Autonomie-Karte, um in einzelnen Regionen einen wirtschaftskonservativen Kurs fortsetzen zu können.

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derStandard.at: Nach dem überwältigenden Erfolg der Volksabstimmung im April bereitet sich Ecuador derzeit auf die Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung vor, die Ende September stattfindet. Welches sind die Probleme, die nach Meinung der EcuadorianerInnen durch die "Asamblea Constituyente" gelöst werden sollen?

Michael Langer: Es geht darum, einen neuen Rahmen für die Gesetzgebung und das demokratische Zusammenleben der verschiedenen Gesellschaftsschichten und Kulturen im Lande zu schaffen. Notwendig ist das vor allem deshalb, weil der Präsident zwar hohe Machtbefugnisse hat, aber nicht ohne das Parlament regieren kann und sich diese beiden Instanzen in der Vergangenheit gegenseitig blockiert haben. Eine Verfassungsgebende Versammlung sollte also einen Weg finden, um die politische Praxis und die Gesetzgebung zu vereinfachen. Das ist sozusagen die theoretische Erklärung.

derStandard.at: Und was wäre die praktische?

Langer: Praktisch ist es so, dass das Parlament, aber auch die Präsidenten und die Gerichtsbarkeit in der Bevölkerung stark an Ansehen verloren haben. Vieles wurde ausgehandelt, die Politik war nicht frei von Interessen, es gab Korruption, Mauschelei, vor allen Dingen aber eine ineffiziente Politikgestaltung, die auch eine Entwicklungsbarriere für das Land darstellt.

derStandard.at: Inwieweit kann hier eine neue Machtverteilung helfen?

Langer: In der Vergangenheit war es zumeist so, dass der Präsident zwar gewählt wurde, zumindest im zweiten Wahlgang, aber im Parlament keine Mehrheit hatte. Er konnte zwar seine Projekte und deren Finanzierung über Notstandsdekrete durchboxen, doch das Parlament blockierte dafür notwendige Reformen und einfache Gesetze. Der dauernde Machtkampf zwischen Parlament und Präsident führte zu einem Ansehensverlust. In jüngsten Umfragen lag die Zustimmung zum Parlament bei fünf bis zehn Prozent.

Hinzu kommt, dass die Abgeordneten des Nationalkongresses, wie das Parlament hier heißt, sehr von den Stimmen ihrer Provinzen und der Finanzierung entsprechender Projekte abhängig sind. Auch hier kommt es zu einem Aushandelungsprozess zwischen den Provinzen und den zuständigen Ministerien, der häufig sehr intransparent verläuft. All das führte wohl in der Bevölkerung zu dem Wunsch nach einem Neuanfang – daher auch die 80 Prozent Zustimmung für die Verfassungsgebende Versammlung bei der Volksabstimmung im April.

derStandard.at: Wie stehen die Chancen, dass die Asamblea Constituyente diese Erwartungen auch erfüllt?

Langer: Das ist die Frage, ob diese Hoffnung nach einem Neuanfang nun auch in Erfüllung geht – vor allem auch angesichts der knapp anberaumten Zeit von sechs Monaten plus zwei Monaten Verlängerung. Das hängt nun stark vom Wahlausgang Ende September ab. Es kann natürlich passieren, dass es hier wiederum keine klare Mehrheitsverteilung gibt und die sehr hohen Erwartungen dann enttäuscht werden.

derStandard.at: Wie stehen die Chancen für die Regierungsliste, eine Mehrheit zu erreichen?

Langer: Es gibt eine starke regierungsnahe Allianz aus den Parteien Movimiento País, Alternativa Democrática und Nuevo País, die gemeinsam als Liste „Acuerdo País“ antreten, mit dem ehemaligen Energieminister Alberto Acosta als Spitzenkandidat. Doch eine absolute Mehrheit für diese Liste scheint unwahrscheinlich; man kann davon ausgehen, dass auch diese auf Allianzen angewiesen sein wird.

derStandard.at: Damit setzen sich vermutlich die Mauscheleien und Eine-Hand-wäscht-die-andere-Praktiken des Parlaments in der Verfassungsgebenden Versammlung fort.

Langer: Es besteht die Gefahr, dass es bei den Verhandlungen weniger um Sachfragen als um die Verteilung der Macht geht und dass auch das wieder sehr intransparent verläuft. Auf der anderen Seite, wenn Transparenz gegeben ist, besteht die Chance einer öffentlichen Diskussion wichtiger Fragen, was zu einer größeren Bewusstseinswerdung und Beteiligung der Bevölkerung an politischen Prozessen führen könnte.

derStandard.at: Gerade an der Küste hört man auch öfters: Ach was, das bringt ohnehin nichts, jetzt müssen wir nur die doppelte Anzahl Politiker bezahlen.

Langer: Zum einen sind die Wahlversprechungen der zahlreichen Kandidaten und Kandidatinnen selbst für einfache Menschen unglaubwürdig. Zum anderen ist auch das Wahlverfahren selbst verwirrend: Jetzt kandidieren 3229 KandidatInnen auf 26 verschiedenen nationalen Wahllisten für 24 Sitze; neben den nationalen Listen gibt es zahlreiche Provinzlisten (100 Sitze), für die ebenfalls einzelne KandidatInnen oder auch ganze Listen gewählt werden können.

Das Chaos für die Wahl ist somit vorprogrammiert; viele Stimmen werden ungültig sein, die Auszählung lange dauern und das Ergebnis vermutlich angefochten werden. Das Verfahren selbst ist also schon kein gutes Beispiel für Demokratie. Man kann nur hoffen, dass Derartiges nicht auch in der Verfassungsgebenden Versammlung fortgeführt wird.

derStandard.at: Interessant scheint aber auch die Einbeziehung der AuslandsecuadorianerInnen – immerhin lebt bereits rund ein Viertel bis ein Drittel der Wahlberechtigten im Ausland.

Langer: Ja, die EcuadorianerInnen in der Migration erhalten zusätzlich sechs der insgesamt 130 Abgeordneten zur Asamblea Constituyente – jeweils zwei für MigrantInnen in Lateinamerika, Nordamerika und Europa.

derStandard.at: Welche Schritte sind von der Asamblea Constituyente zu erwarten? Präsident Correa hat sich ja beispielsweise für eine Auflösung des Parlaments ausgesprochen.

Langer: Correa hat dies erst kürzlich wieder gefordert – er will das geringe Ansehens des Nationalkongresses in der Bevölkerung nutzen, um so eine größere Zustimmung zu erreichen. Ziel war es bisher eigentlich, dass in der Asamblea nur Vorschläge erarbeitet werden, die dann dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden.

Während dieser Zeit sollten jedoch die Gewalten – das Parlament, der Präsident und die Gerichtsbarkeit – normal weiterarbeiten. Theoretisch ist es aber denkbar, dass die Versammlung in einer ihrer ersten Sitzung eine gesetzgebende Kommission bildet und dem Parlament Kompetenzen aberkennt – bis hin zur Auflösung. Nach der bisherigen Verfassung ist das nicht möglich, insofern wäre es eine sehr zweifelhafte Interpretation, mit der die Kontrollinstanz des Parlaments ausgeschaltet würde.

derStandard.at: Analysen zufolge hat die letzte Verfassung von 1998 auch neoliberale Wirtschaftspolitik festgeschrieben bzw. ermöglicht. Welche Schritte wurden dort gesetzt?

Langer: Nun, neoliberal kann vieles heißen, das ist ja mehr ein Schlagwort. Aber es wurde über die letzte Verfassung schon die Tür zur Privatisierung geöffnet. Auch was das Ende des Sucre und die Einführung des US-Dollars als nationale Währung betrifft, gab es entscheidende Schritte in diese Richtung durch eine übereilte und widersprüchliche Liberalisierung der Finanzmärkte.

Zudem wurde beispielsweise die nationale Planungsbehörde und damit eine wichtige Kontrollinstanz abgeschafft. Generell hat man mehr auf den Markt vertraut als auf nationale Steuerung. Auch damals gab es eben einen Aushandlungsprozess zwischen gegensätzlichen politischen Kräften in der Versammlung.

derStandard.at: Ist hier angesichts des Mitte-Links-Kurses Correas eine Korrektur zu erwarten?

Langer: Auch das hängt von den Mehrheitsverhältnissen in der Asamblea Constituyente ab. Es wird hier sicherlich zu einer Konzentration auf bestimmte Arbeitslinien kommen, wobei auch Kompromisse geschlossen werden müssen. Vieles hängt hier auch von der Sachkenntnis der Versammlungsmitglieder und ihrer Assistenten ab. So eine Verfassungsgebende Versammlung ist höchst schwierig zu leiten – und die Zeit ist gefährlich kurz.

derStandard.at: Was könnten, neben der Wahlrechts- und Demokratiereform, zentrale Arbeitslinien sein, wo liegen wesentliche Streitpunkte und Meinungsunterschiede?

Langer: Eine schwierige Frage ist beispielsweise das Verhältnis von Zentralstaat und den Regionen. Die Regierung will Makroregionen schaffen, die über den Provinzen stehen sollen. Einzelne Provinzen, allen voran Guayas, streben jedoch nach mehr Autonomie. Das ist auch eine Karte, die die Rechte spielt – sie könnte unter dem Schild der Autonomie den neoliberalen Entwicklungsweg fortschreiben. Die Regierung will das verhindern und setzt eher auf eine Stärkung des Staates – beispielsweise wurde im Januar das nationale Planungssekretariat aufgewertet.

derStandard.at: Die Verfassung von 1998 galt in einigen Punkten aber auch als höchst fortschrittlich – beispielsweise was Frauenrechte, Beteiligung der Indigenen oder auch Diskriminierung von Homosexuellen angeht. Besteht die Gefahr, dass es hier Rückschritte gibt?

Langer: Nein, diese Gefahr sehe ich eigentlich nicht. Die Regierungsliste hat sich mit Äußerungen bezüglich der Rechte von Homosexuellen sehr zurückgehalten – um nicht zu sagen, sie vermeidet das Thema.

derStandard.at: Gemunkelt wird über einen Putsch der Rechten noch vor der Wahl zur Asamblea Constituyente. Sehen Sie diese Gefahr?

Langer: Darüber kann in Ecuador immer spekuliert werden. Doch derzeit sehe ich hier keine Gefahr, weil es keine Alternative gibt. Die jetzige Regierung hat die militärischen Institutionen eher gestärkt und kann somit auf Rückendeckung zählen. Und andere Gruppen scheinen nicht in der Lage, einen Putsch durchzuführen. Zudem wirkt Correa authentisch in seinem Bemühen, das Land demokratischer und sozialer zu gestalten. In seiner Regierung finden sich viele gute Leute, die für das Land arbeiten und nicht nur für die eigene Tasche. (Heidi Weinhäupl, derStandard.at, 25.8.2007)