Christoph Leitl bekräftigt seine Forderung nach dem Jahressechstel für Selbstständige. Damit würde der Spitzensteuersatz automatisch auf 43 Prozent fallen.

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Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl will, dass vor einer Steuerreform in der Verwaltung und im Gesundheitswesen strikt gespart wird Der Verbundkonzern sollte die Kostenvorteile der Wasserkraft weitergeben, fordert er.

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STANDARD: Die Koalition wartet mit der Steuerreform bis 2010. Die richtige Entscheidung?

Leitl: Das ist voll und ganz zu akzeptieren. Unser Ziel muss es sein, das Budget schon vor 2010 auszugleichen. In der Hochkonjunktur dürfen wir keine Neuverschuldung machen, sondern müssen den Spielraum für eine wirklich gute Steuerreform schaffen. All jenen, die jetzt mit kreativen Ideen kommen, kann ich nur sagen: Zuerst müssen wir das Geld verdienen, dann erst können wir es ausgeben.

STANDARD: Wie rasch ist ein Nulldefizit denn erreichbar?

Leitl: Ich kann mir vorstellen, dass ein Nulldefizit schon 2008 möglich ist. Das Wirtschaftswachstum ist gut, und ich sehe keinen Grund, dass es nächstes Jahr schwächer werden sollte. Dadurch wachsen die Staatseinnahmen. Vor allem die Wirtschaft zahlt mehr Steuern als je zuvor. Wenn man eine Kuh füttert, dann gibt sie Milch. Daher verlange ich in Zukunft auch neues Futter.

STANDARD: Kann das Nulldefizit allein durch Wachstum erreicht werden?

Leitl: Nein. Die Regierung muss auch dafür sorgen, dass die Ausgabenseite in Ordnung kommt. Ich setze vor allem auf die Finanzausgleichsverhandlungen im Herbst. Da müssen wir uns alle fragen: Was kann man tun, um bei Aufrechterhaltung der Qualitätsstandards die ungeheuren Potenziale bei den bürokratischen Verfahren zu heben, die Überschneidungen und doppelten Zuständigkeiten zu verringern, diese horrenden und unübersichtlichen Strukturen im Gesundheitssystem zu vereinfachen. Wirtschaftlichkeit und Qualität sind keine Gegensätze. Das gilt auch für die Bildung. Von solchen Reformen hängt dann der Spielraum für die Steuerreform ab.

STANDARD: Sie fordern eine Verwaltungsreform seit gut sieben Jahren – vergeblich. Warum soll sie gerade jetzt gelingen?

Leitl: Das war für mich eine der Hauptmotive, warum ich für eine große Koalition eingetreten bin. Eine Bundesstaatsreform betrifft Bund, Länder und Gemeinden, und überall dort tragen die beiden großen Parteien die Hauptverantwortung. Jetzt gibt es keine Ausrede mehr, jetzt kann niemand mehr sagen: Das geht nicht, weil wir keine Verfassungsmehrheit haben und die Opposition nichts ins Boot holen können. Jetzt sind beide im Boot, jetzt müssen sich beide ins Ruder legen, jetzt kann nicht einer rudern und der andere bremsen.

STANDARD: Warum sollte gerade hier die Kooperation funktionieren, wo die Koalition doch fast immer streitet?

Leitl: Ich hoffe, dass die Phase des Zusammenstreitens vorbei ist. Jetzt geht es an den Kern der Sache. Die Vorarbeiten sind vom Verfassungskonvent unter Franz Fiedler gemacht worden. Der Entwurf ist ein Kompromiss, der nicht jedem gerecht wird, auch der Wirtschaft nicht, aber wir unterstützen ihn. Wenn man eine Verwaltungsreform darauf aufbaut, dann würden viele Dinge einfacher werden, etwa die Betriebsanlagengenehmigungen. Die dauern im Bund im Durchschnitt 90 Tage, in manchem Bundesland nur 45 Tage. Wenn das der Bund erreicht, dann wären die Verfahren doppelt so schnell und nur halb so teuer.

STANDARD: Ein großer Brocken im Finanzausgleich ist die Wohnbauförderung. Könnte die auch gekürzt werden?

Leitl: Die Versuchung ist groß zu sagen: Der Wohnbau wird weniger, der Bedarf wird geringer, daher runter mit den Beiträgen. Aber besser wäre es, diese beträchtlichen Mittel konzentriert für die thermische Sanierung einzusetzen. Das hilft uns bei einem anderen wichtigen Staatsziel – der Senkung der CO2-Emissionen – und bringt Beschäftigungseffekte am Bau. Nicht infrage kommt für uns, dass diese Mittel in den Landesbudgets verschwinden und für dubiose Ziele wie der Verbesserung der Infrastruktur verwendet werden.

STANDARD: Die Zweckbindung der Wohnbauförderung wurde bereits das letzte Mal gelockert.

Leitl: Das muss wieder zurückgeführt werden. Und wenn das in den Ländern auf ernsthafte Widerstände stößt, dann muss auch die Höhe der Wohnbauförderung, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen, verhandelt werden.

STANDARD: Wie viel soll denn bei der Steuerreform für die Wirtschaft abfallen?

Leitl: Wir haben uns mit dem Sozialpartner auf halbe-halbe geeinigt: eine Hälfte für die Kaufkrafterhöhung, die andere für die Standortsicherung. Beides geschieht im Interesse der Betriebe und der Arbeitnehmer.

STANDARD: Konkret fordern Sie die Ausweitung des steuerlich begünstigten Jahressechstels – des 13. und 14. Monatsgehalts – auf Selbstständige. Dient das der Standortsicherung?

Leitl: Hier geht es um die Abschaffung einer unfairen Diskriminierung und ums Wachstum. Der Vorschlag nützt ja nicht den Großunternehmern: Die gründen schon heute eine GmbH und stellen sich selber an. Dann nehmen sie das Jahressechstel in Anspruch. Doch die kleinen Handels- und Tourismusbetriebe und Freiberufler können sich solche Konstruktionen nicht leisten. Wenn ihnen durch das Jahressechstel mehr Geld bleibt, dann bleiben auch mehr Mittel im Betrieb, und das bringt mehr Wachstum. Das Ganze kostet nur 400 Mio. Euro, und Österreich hätte mit einem Schlag nicht mehr einen abschreckenden Grenzsteuersatz von 50 Prozent, sondern von 43 Prozent. Damit wären wir international wieder wettbewerbsfähig, und die Kapitalertragssteuer könnte bleiben, wo sie ist. All das ließe sich mit einer Zusatzzeile in der Einkommenssteuererklärung bewerkstelligen.

STANDARD: Wäre es da nicht logisch, das Jahressechstel überhaupt abzuschaffen und die Steuersätze zu senken?

Leitl: Der nächste logische Schritt wäre es, die Lohn- und Einkommenssteuer zusammenzufassen und die Steuererklärungen wesentlich einfacher zu machen. Das hätte zwar nicht auf einem Bierdeckel Platz, aber auf einem A4-Blatt. Ob man das im Satz einbaut oder nicht, ist eine zweite Frage. Die Österreicher sind das 13. und 14. Gehalt gewohnt, das ist eine Sparvereinsmentalität. Wenn Leute emotionell an etwas hängen, warum soll man ihnen das wegnehmen?

STANDARD: Dem kleinen Arbeitnehmer bringt das nichts.

Leitl: Das Wirtschaftsforschungsinstitut schlägt vor, die Lohnnebenkosten für Niedrigverdiener zu reduzieren, um so geringer entlohnte Arbeitskraft attraktiver zu machen. Das ist eine gute Idee, sie kostet kein Vermögen und lässt sich in einer Steuerreform unterbringen. Eine Lohnkostenreduktion würde die Kaufkraft stärken und hätte für die Zielgruppen den gleichen Effekt wie eine Negativsteuer, aber auf viel einfachere Weise. Die ganze Diskussion um die Negativsteuer, die eine weitere Transferzahlung ist, wäre damit obsolet.

STANDARD: Teile der Wirtschaft beklagen sich über zu hohe Strompreise. Was müsste geschehen, damit der Wettbewerb endlich funktioniert?

Leitl: Wir brauchen einen Regulator, der tatsächlich Kompetenzen hat. Derzeit kann er nur aufzeigen und mahnen. Wenn der Stromregulator sagt, eine Kärntner Gesellschaft kann die Preise deutlich senken, und der zuständige Landeshauptmann antwortet, der Herr in Wien kann sich brausen gehen, dann ist etwas faul.

STANDARD: Das reicht aus?

Leitl: Nein. Wir Österreicher zahlen viel für erneuerbare Energie. Aber wir haben auch die Wasserkraft, die aus abgeschriebenen Anlagen kommt. Das Wasser ist nicht teurer geworden. Daher ist es nicht einzusehen, dass die Produzenten im Windschatten von Öl und Gas und unter Berufung auf irgendwelche Strombörsen den Strompreis hoch halten und nicht bereit sind, den Vorteil der billigen Wasserkraft fair mit den Konsumenten zu teilen.

STANDARD: Das würde dem Verbundkonzern viel kosten.

Leitl: So ist das Leben. Früher hieß es, die öffentliche Hand ist ein Schutz vor privater Profitgier. Heute ist der öffentliche Eigentümer oft noch profitgieriger. Anders als ein privater Monopolist steht er nicht unter öffentlicher Kontrolle. (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.08.2007)