Zur Person
Anton Wicker ist Vorstand der Universitätsklinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation der PMU Salzburg, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention und Seniorpräsident der Österreichischen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation.

Seit 1985 ist er außerdem als WM- und Olympiaarzt tätig.

Foto: Wicker
Ob am Flakturm mitten in Wien, in der Halle oder am Berg: Gerade als Ausgleich zum berufsbedingten Sitzen wird das Klettern wiederentdeckt. Über die verschiedenen Arten und möglichen Gefahren sprach der Primararzt und Universitätsprofessor Anton Wicker im Interview mit Sophie Leitner.

derStandard.at: Ist Klettern eine gesunde Sportart?

Wicker: Klettern als Sportart ist äußerst gesund. Aber natürlich birgt es auch Gefahren in sich, erfordert ein Herantasten, ein Lernen und letzten Endes ein Sammeln von Erfahrungen. Keinesfalls sollte man sich in irgendetwas hineinstürzen, was man nicht einschätzen kann. Im Gegensatz zum Schwimmen oder Wandern kann ein "sich selbst zu viel zumuten" beim Klettern schnell zum Tod führen. Richtig, mäßig und regelmäßig ausgeführt, ist Klettern jedoch eine sehr gesunde Sportart.

derStandard.at: Würden sie sagen, dass das Klettern für jedes Alter geeignet ist?

Wicker: Ja, weil Klettern eine sehr natürliche Art der Bewegung ist. Wie mein Lehrer immer gesagt hat: "Klettern ist nichts anderes als Gehen im Fels." Das sind Grundbewegungsmuster, die in jedem Menschen drinnen sind, die aber leider heute, durch unseren Bewegungsmangel, zu wenig gefördert werden.

derStandard.at: Wo kann man in der Praxis diese "natürliche Art" der Bewegung beobachten?

Wicker: Wenn sich beispielsweise ein Säugling versucht aufzurichten, sich dabei anhält und versucht auf das Gitterbett zu steigen, dann ist das nichts anderes als Klettern. Das soll jetzt nicht heißen, dass jeder in die Wand hinein muss, aber jedes Kind, das irgendwo hinauf klettert, tut seinem Körper etwas Gutes. Gerade Kinder haben dieses Bewegen in sich.

derStandard.at: Klettern kann "Genussklettern" sein oder als Hochleistungssport praktiziert werden. Klettern wird aber auch zu Therapiezwecken eingesetzt. Bei welchen medizinischen Indikationen?

Wicker: Beim therapeutischen Klettern wird heute zum Beispiel mit Menschen mit Wirbelsäulenproblemen oder rheumatischen Beschwerden gearbeitet. Die Patienten befinden sich nur 40 Zentimeter über dem Boden und können im Zweifelsfall vom Therapeuten aufgefangen werden. Diese Art des Kletterns ist fantastisch in der Rehabilitation und in der Primärprävention um den Körper zu stabilisieren. Auch nach Unfällen oder bei Schlaganfallpatienten.

derStandard.at: Warum ist die Stabilisationsfähigkeit so wichtig?

Wicker: Die Grundlage jeder Bewegung ist eine gute Stabilisierungsfähigkeit des Rumpfes. Wenn man eine Bewegung macht, wie einen Sessel hochheben oder zur Seite springen, muss zuerst der Rumpf, also die Basis, gut stabilisiert werden. Wir wissen heute, dass der Körper vor jeder Bewegung zuerst versucht, den Rumpf zu stabilisieren. Die Muskeln des Rumpfes werden im sogenannten "Feed forward-Effekt" vor der Bewegung bereits angesteuert und gut stabilisiert.

derStandard.at: Wann geht diese Stabilisationsfähigkeit verloren?

Wicker: Beispielsweise bei Leuten mit chronischen Wirbelsäulenbeschwerden funktioniert das nicht richtig, da wird vorher schon der Arm bewegt und die Stabilisierung des Rumpfes hängt einige Hundertstel Sekunden zurück. So entstehen die Probleme mit der Wirbelsäule, weil die Belastung in eine nicht stabilisierte Wirbelsäule gelangt. Wir versuchen heute in allen Rehabilitationsbereichen - egal ob bei einem Leistungssportler mit Knieverletzung oder bei Menschen, die übergewichtig sind oder Probleme im Bewegungsapparat haben, zuerst den Rumpf zu stabilisieren.

derStandard.at: Was würden Sie einem Anfänger empfehlen: einfach Klettern auszuprobieren oder einen Kurs belegen?

Wicker: Wenn man nicht die Möglichkeit hat, von Kind an hineinzuwachsen, muss man Kurse machen, um die Gefahren des Kletterns zu erkennen. Denn viele Leute erkennen diese nicht. Richtig ausgeübt, ist Klettern nämlich keine extrem risikoreiche, sondern eine sehr gesunde Sportart, die in vielen Schattierungen durchgeführt werden kann: Von Genussklettern bis hin zum Leistungsklettern.

derStandard.at: Wenn Sie von Risiken sprechen, welche meinen Sie konkret?

Wicker: Hier muss man differenzieren: Beim Klettern im Klettergarten, was dem Turnen sehr nahe ist, sind die objektiven Gefahren nicht vorhanden, weil alles gut abgesichert ist. Man muss sich nur einhängen, kann einfach hinaufturnen.

Alpines Klettern beinhaltet jedoch neben der Schwierigkeit des Felsens, die gesamten objektiven Gefahren, vom Steinschlag über das Gehen im Geröll, bis hin zu den Wetterstürzen. Durch ein Gewitter kann eine eigentlich harmlose Wand zur Todesfalle werden. All diese Faktoren gehören zum alpinen Klettern.

derStandard.at: Gibt es trotz der "natürlichen Bewegung" des Kletterns die Möglichkeit von Sportschäden?

Wicker: Verletzen können Sie sich überall. Abgesehen von der Absturzgefahr, können Sie sich natürlich einen Muskel zerren, wenn Sie unaufgewärmt klettern. Wenn man sich jedoch richtig vorbereitet, ist Klettern sehr gesund. Extremes Klettern im Hochleistungssport führt hingegen schon zu massiven Schäden am Bewegungsapparat. Hochleistungssport hat mit Gesundheitssport nichts mehr zu tun.

derStandard.at: Was macht für Sie die Faszination des Kletterns aus?

Wicker : Gerade das alpine Klettern in der Natur wirkt ja auf den ganzen Menschen. Körperliche, soziale und geistige Fitness, alle drei Faktoren beeinflussen den Körper. (derStandard.at, 14.8.2007)