Nachdenklicher Konvertit: "Ennstal und VW bewiesen mir, dass 25 PS so lustig sein können wie 500 PS. Ich kauf mir jetzt ein Käfer-Cabrio, falls es die Allerliebste gestattet."

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Ferrari 500 Mondial Serie 2, Baujahr 1955. Für 800.000 Dollar wohlfeil, da reine Musik.

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STANDARD-Ennstal-Bolide VW-Käfer 1951: Mit 56 Jahren, 25 PS, Brezel-Fenster und Faltdach der Darling aller Ennstal-Aficionados.

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Gabriele Artom und Stefano Colombo auf einem Ferrari 255 Export Vignale Spyder, Baujahr 1952. 115 PS, 1300 cm3, nur Platz 166, das ist der letzte aller gewerteten Fahrzeuge.

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I. Die Serie "Blech und Schwefel" geht ins siebente Jahr. Da DER STANDARD stündlich tausend neue Leser gewinnt, muss man den Frischlingen trotzdem erklären, worum es bei der Ennstal-Classic-Rallye geht. Zunächst muss man sie richtig aussprechen. Ohne Rallye, am besten auch ohne Classic. DIE ENNSTAL genügt, so wie es genügt, "die Wessely" zu sagen.

Klangbilder

In Österreich liegt der Adel im Weglassen. Sehr schön klingt "Die Ennstal" aus dem Mund von Jo Ramirez (Mexiko, Porsche 911 T), Miguel Beruto (Argentinien, Jaguar E-Type) oder Lu Zhang (China, Jaguar XK 140 FHC). Das gibt ein mantrisches Klangbild, irgendwo zwischen geflüsterter Gottesanbetung und Teufelsfluch, was der Sache schon ziemlich nahe kommt.

Echt brutal

Liebhaber des historischen Motorsports loben die ENNSTAL als "Mille Miglia der Berge". Also: keine Schnauferlfahrt, sondern echt brutal. Gegenüber dem Flachland-Vorbild Mille Miglia zunächst weiter verschärft durch den mörderischen Stoderzinken ("Gröbming Nordwand") und mindestens vier Alpenpässe der ersten Kategorie, wie geschaffen zur Vernichtung von technischem Welterbe wie Bentley-Blower, Bugatti-35/37, BMW-328, Riley, Squire, Lancia-Aurelia, Mercedes 300 SL, Jaguar-XK, Porsche-356 und VW-Käfer.

Wellness für Greise

Doch siehe: Das gleichzeitige Auftreten tiefgrüner, kühler Flusstäler bringt neues Leben, nicht Tod. Die Autos werden jünger, nicht älter.

Die greisen Alfas, Aston Martins und Austin Healeys dürfen über Sölkpass, Nockalm, Hengstpass und Pyhrnpass beweisen, dass sie mit ihren dritten Zähnen noch beißen können. Zugleich erholen sie sich in den Kneipp-Kuren von Murtal und Gesäuse wie in teuren Wellness-Kliniken.

Bleigießen

Anderseits: Wir wollen's nicht ins Niedliche übertreiben. Sahen wir heuer nicht besonders viel Strandgut am Straßenrand? Grimmige Fahrer unter offenen Motorhauben, gramgebeugt die Operation am offenen Herzen versuchend? Himmelhohe Dampfgeysire aus aufgeplatzten Kühlern? Beifahrerinnen, die Wasser herbeischafften? Ah, und da reden wir von den normalen Strecken, nicht vom Todesberg.

Am Stoderzinken findet das jährliche Bleigießen statt, mit unersetzlichen Motoren, deren Kurbelwelle so viel kostet wie ein Golf GTI.

Überlieferung

Glaubwürdig überliefert die Geschichte eines greisen MG-TC, der sich wie Stephen Kings Grusel-Auto "Christine" vermenschlichte, in den Steilwänden des Stoderzinkens "Scheiß drauf!" schrie, jäh rechts abbog und den Freitod in der lockenden Schlucht wählte. Restwert 100 Euro, weil der Schaltknauf noch gut beinander war.

Der Fahrer wurde aus dem Wipfel einer Lärche geborgen. Einzelfälle wie diese sind freilich als Kismet und Karma zu buchen.

>>>Business-Magnetismus

II.
Fazit: Im Normalfall ist die Ennstal für Oldtimer gesünder als der langsame, dehydrierende Todesschlaf in einer Garage. Das resche Nenngeld von 1750 Euro wird durch die günstigen Effekte überkompensiert. Auch dies ein Grund, warum auf 198 Startberechtigte zirka 300 traurige Bewerber kommen, die auf die nächsten ENNSTAL-Jahre oder die winterliche Schwester-Veranstaltung PLANAI vertröstet werden müssen.

Wohltuend, dass die beiden Gründungs-Genies der ENNSTAL, Helmut Zwickl und Michael Glöckner, wenigstens keinen hellsichtigen Sponsor abweisen. Hohe Verzinsung vom ENNSTAL-Beginn weg (1993) verzeichneten das Land Steiermark und die Marktgemeinde Gröbming und Umgebung (plus 20.000 Nächtigungen pro Event).

Großer Coup

Alle eleganten Autofirmen sind jetzt irgendwie dabei, Mercedes als hellster Fixstern. Dazu klassische Sponsoren wie Mothwurf, "Formel-1-Winzer" Oppitz, Vredestein, Frikus, Swisspartners, Linn, Schuco, Christof, Observer, Landhaus St. Georg, Segafredo, Red Bull und zwanzig weitere.

Jüngstes Beispiel für den Business-Magnetismus der Ennstal: Die Volksbanken nützten ihren auffälligen Marketing-Schwung (u. a. Logo-Update: "V wie Flügel"). Der beliebte "Nacht-Prolog" mit seiner Walpurgisnachtstimmung heißt jetzt "Volksbank-Prolog um den Dachstein". Großer Coup. Und jeder Bürgermeister, dessen Gemeinde Streckenort oder gar Etappe wurde, ward wieder gewählt. Die Ennstal ist die Tour de France von Österreich, nur sauberer. Seit 2002 ist den Teilnehmern jedes elektronische Doping untersagt.

III.
Frage: Wie kam der STANDARD zu seinem Fixplatz? Antwort: durch Hausverstand und Glück. Man begriff zum Millenium DIE ENNSTAL als sommerliches Pendant zum winterlichen Neujahrskonzert: international, erstklassig, werbeträchtig und musikalisch überragend. Gegen den Auspuff eines Ferrari 500 Mondial Serie 2 Scaglietti Spyder von Dieter Roschmann (Baujahr 1955, Marktwert: 800.000 Dollar) wird jedes Blech der Wiener Philharmoniker zum Murmeltier.

Hohe Investition

Glück: Man fand im eigenen STANDARD-Haus keinen gültigen Führerschein. So kaufte man ein Rennteam ein. Einerseits Peter Allmayer-Beck, als Verlagskaufmann und Globen-Guru zum Rallye-Navigator vorbestimmt; anderseits Helmut A. Gansterer (fortan: HAG) als Pilot, bekannt als satanischer Fersler für trend und profil.

Hohe Investition, hohe Rendite: Das STANDARD-Team legte Jahr für Jahr mit Museums-Autos Ehre ein, auf Jaguar C-Type (Le Mans Sieger 1953), Porsche 356-Speedster, Mercedes 280 SL Böhringer-Pagode (Siegerwagen Sofia-Lüttich), Mercedes 300 SL, Lamborghini Miura und Alfa Romeo 750 Competizione.

VI.
2007: bisher größte Belastungsprobe des STANDARD-Ennstal-Teams, letztlich wieder mündend in die Vorräte hellenistischer Heldensagen. Die ENNSTAL 2007 wurde zum Kontrastprogramm. Das STANDARD-Team hieß einen VW-Brezel-Käfer willkommen, so genannt nach dem geteilten Heckfenster in Form eines Backbrezels, mit großem Faltdach, Baujahr 1951, 1130 ccm und 24,5 PS.

Künstlerin auf Reisen

Die erste Etappe auf den Stoderzinken fuhren zwei glänzende Stellvertreter: Pablo Rother vom VW-Werksmuseum und Konrad Schettina als Co-Pilot. Sie kamen mit mittelschwerem Öl-Verlust zurück. Cockpit-Wechsel zur Nachtetappe. Da Allmayer-Beck verhindert war, wünschte er die Künstlerin Martina Schettina als Stellvertreterin.

>>>Guter Geist

Die Königsetappe über 560 Kilometer wurde zum Shakespeare. Alles Leid und alle Freude. Das Leid ist schnell gesagt. Es ist unerheblich, hat nichts mit der sagenhaften Grundqualität des Käfers zu tun. Ein einfaches Zulieferteil, ein Simmerring, war schadhaft. Wir tankten Öl, wo immer wir konnten.

Resolut

Mit resoluter Zärtlichkeit retteten wir den Käfer über viele Bergpässe und fast bis ins Ziel. Erst beim Ruckeln eines kommenden Kolbenreibers (das Öl hatte mittlerweile durch Überhitzung jede Schmierfähigkeit verloren) musste blitzschnell die Kupplung getreten und das Auto zur Seite gestellt werden. Keine 30 Kilometer vor dem Ziel Gröbming.

Ennstal trägt Trauer

Das ganze Ennstal weinte ein bissl. Die Zuschauer begriffen im Käfer-Darling den Underdog. Die Kinder liebten ihn instinktiv oder als Renn-Beetle Herbie der Hollywood-Filme. Sie empfanden ihn und VW als fantastisch.

V.
Es liegt ein guter Geist über der Ennstal Classic. Die großen Verlierer des Vorjahres, die als Führende zuletzt die Nerven und alles verloren hatten, gewannen heuer: Christian und Margot Baier, Österreich, auf Jaguar E-Type, 1970, 4,2 Liter, 270 PS.

Es gab berührende Standing Ovations, den Mercedes-Alfred-Neubauer-Wanderpreis und die Special Edition einer TAG-Heuer-Uhr, organisiert von Christian Hübner, der sich als Uhrmachermeister und Racer der feinmechanischen Marke Bugatti verpflichtet fühlt (Modell 37A, 1500 ccm, 70 PS, Jahrgang 1928).

Nicht älter

Ovationen auch für einen Sonderpreis nach 15 Jahren Ennstal für Herbert Völker, Herausgeber der autorevue, der als Einziger nahtlos alle bisherigen Rallyes wahrnahm. Er hat sie in sarkastischer Liebe beschrieben, als Beifahrer von Grand-Prix-Siegern wie John Surtees und Jochen Mass. Es ging ihm so wie den Autos. Unter dem Strich machte ihn das Bestialische nicht älter, sondern jünger.

Schmaler Fuß

Das "Autofahren im letzten Paradies" (Ennstal-Slogan) bescherte auch Herbert Völker einen schmalen Fuß und ein kindlich' Gemüt. Er schaut heute aus, als hätte er nie in den Apfel gebissen. (Text: Helmut A. Gansterer, Fotos: Jürgen Skarwan, Kucera (1), AUTOMOBIL, 3.8.2007)