Die arabischen Sunniten werfen dem schiitischen Premier Maliki vor, ihre Interessen nicht zu vertreten. Nach dem Rückzug von sechs sunnitischen Ministern sind zwölf irakische Regierungsposten vakant.

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Bagdad/Wien – Die irakische Regierung ist in ihrer schwersten Krise seit ihrer Bildung vor gut 14 Monaten. Am Mittwoch gab ein Sprecher des Sunnitenblocks Tawafuq (Übereinkunft) bekannt, dass Premierminister Salam al-Zobaie und die weiteren fünf Tawafuq-Minister die Regierungskoalition verlassen. Sollte die Entscheidung nicht rückgängig gemacht oder andere Lösungen gefunden werden (bei den fluiden Verhältnissen immer möglich), dann ist die „Regierung der Nationalen Einheit“ zwischen den großen Gruppen im Irak Vergangenheit.

Die Regierung der Nationalen Einheit war im Mai 2006 nur durch äußersten Druck der USA auf die bei den Parlamentswahlen im Dezember 2005 siegreichen Schiiten zustande gekommen. Die Einbindung aller ethnischen und konfessionellen Gruppen, besonders der sich nach 2003 marginalisiert fühlenden arabischen Sunniten, sollte die nationale Versöhnung ermöglichen und dem sunnitischen Aufstand die Unterstützung entziehen. Das hat nicht funktioniert, die am politischen Prozess beteiligten Sunniten wurden selbst zu Terrorzielen.

Ein Dutzend Posten unbesetzt

Nach dem Auszug der Sunniten verbleiben in der Koalition der Kurden- und der Schiitenblock, wobei Letzterer bereits die Minister der Bewegung von Muktada al-Sadr verloren hat, sowie die säkulare Liste Iraqiya von Iyad Allawi, der selbst nicht in der Regierung sitzt. Damit wären im Moment zwölf Regierungsposten von 41 unbesetzt. Die Tawafuq-Minister hatten zuletzt bereits die Kabinettssitzungen boykottiert.

Die Sunniten beschlossen die Koalition zu verlassen, nachdem der schiitische Premier Nuri al-Maliki die zwölf Bedingungen, die sie für ihren Verbleib gestellt hatten, nicht erfüllt hatte. Die wichtigsten Punkte betrafen die Freilassung von sunnitischen Häftlingen und die Auflösung von Milizen. Die Sunniten werfen Maliki jedoch generell eine „konfessionelle“ Politik zugunsten der Schiiten vor.

Auch ein Krisentreffen von Präsident Jalal Talabani und der zwei Vizepräsidenten am Dienstag hatte keine Lösung gebracht. Vizepräsident Tarik al-Hashimi ist Chef der Islamischen Partei, der größten Partei im Tawafuq. Vonseiten der Kurden gibt es Bemühungen, die Islamische Partei in einen neuen Parteienblock, eine „Koalition der Moderaten“ einzubinden. Auf diese Weise könnte sie wieder in der Regierung landen.

Der kurdische Vizepremier Barham Salih sprach dennoch von der „größten politischen Krise des Irak seit der Verabschiedung der Verfassung“ (die von der Mehrheit der Sunniten abgelehnt wird). Die arabischen Sunniten hatten nach 2003 den politischen Prozess boykottiert, die im Tawafuq gesammelten Parteien waren jedoch zu den Wahlen im Dezember 2005 angetreten. Wichtige Teile der sunnitischen Gemeinschaft stehen jedoch weiter außerhalb. Nüchtern betrachtet wird sich erst einmal nicht viel ändern für die Iraker: Die Regierung ist ohnehin seit langem mehr oder weniger gelähmt. Außerdem pflegen die politischen Gruppen „ihre“ Ministerien ohnehin mit ihren Gefolgsleuten so zu bestücken, dass sich nicht viel ändert, wenn der Chef weg ist.

Dazu kommt, dass Tawafuq zunehmend den ohnehin fragilen Vertretungsanspruch für die arabischen Sunniten verliert. Daran wirken auch die USA mit, wenn sie mit sunnitischen Stämmen, die eigentlich regierungsfeindlich gesinnt sind, bei der Bekämpfung von Al-Kaida zusammenarbeiten. Diese Gruppen werden früher oder später politische Ansprüche stellen und eigene Repräsentanz einfordern. Dass sie allerdings mit der jetzigen schiitischen Führung zusammengehen könnten, ist schwer vorstellbar. (Gudrun Harrer/DER ANDARD, Printausgabe, 2.8.2007)