Die institutionelle Betreuung von Unter-Dreijährigen sei in der öffentlichen Meinung noch immer vorurteilsbeladen, erklärte ÖVP-Wissenschaftsministerin und Nationalratsabgeordnete Gertrude Brinek im Rahmen einer Pressekonferenz. Es werde unterstellt, dass Kleinkinder zwangsläufig unter einer Betreuung außerhalb des Elternhauses leiden und nur bei den Eltern gut aufgehoben seien. "Das stimmt nicht, mit diesem Vorurteil können wir aufräumen", erklärte Brinek. Die Wissenschaftssprecherin will nun die Qualität der Kinderbetreuung verbessern und die Anzahl der Kinderbetreuungsplätze vor allem für Unter-Dreijährige erhöhen. Als "Fernziel" wünscht sich Brinek, dass die Kindergartenplätze für Vier- bis Sechsjährige gebührenfrei werden.

Bedarf steigt

Durch die Neuregelung des Kinderbetreuungsgeldes ab 1. Jänner 2008 (800 Euro bei 15 plus drei Monate oder 436 Euro bei 30 plus sechs Monate) werde der Bedarf an Kinderbetreuung weiter steigen. Lange Wartezeiten auf Kindergartenplätze würden jedoch den Wiedereinstieg ins Berufsleben behindern. Davon seien AlleinerzieherInnen besonders betroffen.

Das Modell der "alterserweiterten Gruppen", so wie es laut Brinek in den Kinderbetreuungsstätten des Vereins Kiwi (Kinder in Wien) praktiziert wird, legt sie als "nachahmenswertes und wissenschaftlich gesichertes Betreuungsmodell für Ein- bis Sechsjährige" vor. Brinek sieht das Modell als beispielgebend, will aber keine flächendeckende, verpflichtende Einführung.

"Geschwisterlichkeit im Kindergarten"

Brinek, auch Vorsitzende des Vereins kiwi, erklärte, dass immer mehr Kinder in Einkindfamilien aufwachsen und somit keine Möglichkeit hätten, von Geschwistern zu lernen. In den Kiwi-Einrichtungen seien etwa ein Viertel der insgesamt 20 Kinder unter drei Jahre alt. Jüngere Kinder würden so von den Älteren lernen und zudem früh zu Selbstständigkeit angeleitet werden. Die älteren Kinder wiederum könnten im Zusammenleben mit unter Dreijährigen soziale Kompetenz erwerben, indem sie Verantwortung für die Jüngeren übernehmen. "Es entsteht so etwas wie Geschwisterlichkeit im Kindergarten", erklärt Brinek, zudem könnten sich Kinder früh an das Zusammensein in Gruppen gewöhnen.

Bundesrahmengesetz für Kindergarten

Als Fernziel formulierte Brinek den gebührenfreien Kindergarten für Vier- bis Sechsjährige als Teil des vorschulischen Angebots. "Der Kindergarten sollte zur selbstverständlichen Bildungseinrichtung so wie die Schule werden", sagte Brinek. Dies werde aber "sicher nicht" in dieser Legislaturperiode kommen. Nachdem die Kosten für den Kindergarten in Wien besonders hoch sind, möchte sie zuerst ein Gratis-Kindergartenjahr in Wien umgesetzt wissen.

Noch in dieser Legislaturperiode will die Wissenschaftssprecherin in einem "Bundesrahmengesetz" Mindeststandards für Kindergärten festgelegt wissen. Darin sollen etwa Gruppengrößen, inhaltliche Vorgaben, technische und organisatorische Bedingungen geregelt werden. Zudem sei auch eine Verbesserung der Ausbildung für KindergartenpädagogInnen notwendig. So mache es etwa Sinn, auch an den Pädagogischen Hochschulen KindergartenpädagogInnen auszubilden.

Niederwieser: "Offene Türen"

"Es wäre schön, wenn Brinek hier nicht nur ihre persönlichen Wünsche, sondern die Haltung der ÖVP wiedergeben würde. Bei uns rennt sie damit jedenfalls offene Türen ein", teilte SPÖ-Bildungssprecher Erwin Niederwieser im Rahmen einer Presseaussendung mit. Wenn Brinek nun schon relativere, dass diese zweijährige Kindergartenpflicht erst irgendwann in der Zukunft kommen solle, sei dem nur hinzuzufügen, dass man bei einer solchen Diskussion immer Nägel mit Köpfen machen solle, heißt es in der Aussendung. Niederwieser: "Ich komme Gertrude Brinek hier gern einen Schritt entgegen: Machen wir ein Jahr verpflichtend - und zwar so rasch als möglich."

Kalina: "Nicht mehr ernst zu nehmen"

"Nicht mehr ernst zu nehmen" sind für SPÖ-Bundesgeschäftsführer Josef Kalina die jüngsten bildungspolitischen "Salti" in der ÖVP. Für Kalina ist es "wirklich kurios", wenn Brinek jetzt "die Kindergartenpflicht ab vier Jahren fordert." Denn als die SPÖ ihr Konzept für ein verpflichtendes Vorschuljahr präsentiert hatte, habe dies ÖVP-Bildungssprecher Fritz Neugebauer als "Zwangsbeglückung" bezeichnet, die es mit der ÖVP nicht geben werde, erinnerte Kalina. (burg/derStandard.at/31. Juli 2007)