Paris - Das gab es noch nie: Der Chef der Tour de France, Patrice Clerc, wünscht den Top-Favoriten des weltgrößten Radrennens schlicht zum Teufel. "Ich bedauere die Anwesenheit von Michael Rasmussen", sagt der Vorsitzende des Veranstalters ASO der Zeitung "Le Figaro". Dabei singen viele französische Sportjournalisten geradezu Lobeshymnen auf den Träger des Gelben Trikots, als gebe es keinen Doping-Verdacht gegen den Dänen.

"ARD und ZDF ziehen zu Unrecht 'Derrick' der Tour de France vor", schreibt etwa die linke "Liberation" nach Rasmussens Pyrenäenritt enthusiastisch. "Hier passieren spannende Dinge, Wunder! Man sieht, dass man sich Lourdes nähert: Das ist die Tour der Erneuerung."

Der Fall Rasmussen zeigt die ganze Dramatik und den Zwiespalt, in dem die Tour augenblicklich steckt. Der Däne glänzt in Frankreich - ist aber wegen Dopingverdachts von der Weltmeisterschaft in Stuttgart ausgeschlossen. Zwar nicht des Dopings überführt, präsentiert sich aber mit seinem verbissenem Schweigen wie jemand, der etwas zu verbergen hat. Die Fans mögen zwar dem Gelben nicht trauen - bleiben aber begeistert dabei. Viele mögen dabei denken wie Rasmussen, der sagt: "Wenn ich anfange, mich mit etwas anderem zu beschäftigen als mit dem Radsport, werde ich verrückt."

Die Lage ist paradox: Vier von fünf Franzosen glauben nicht an einen ehrlichen Sieger, aber 52 Prozent erklären dennoch, sie liebten die Tour. Wenn die große Karawane vorbeizieht, drängen sich wie jedes Jahr 14 Millionen Menschen am Straßenrand. Sechs bis acht Stunden stehen die Fans in der Regel an, um erst die Sponsorautos und dann die Profi-Radler zu bestaunen.

Ähnlich wie ihre Leser gehen die französischen Medien bei ihrer Berichterstattung vor. Im Politik- oder Wirtschaftsteil wird über Profite und Vertrauenskrisen geschrieben und zynisch vorgeschlagen, man sollte die Pharmakonzerne gegeneinander antreten lassen. Auf den Sportseiten bejubeln dieselben Blätter gleichzeitig die forschen jungen Fahrer und ihre neuen Höchstleistungen.

Die Tour ist ein Riesengeschäft. Der Umsatz liegt bei 130 Millionen Euro und der Gewinn bei 15 Millionen. Das Rennen wird von 85 TV-Sendern weltweit übertragen und ist damit eine riesige Werbefläche für Sponsoren und Partner. Rund 30 Sponsoren von adidas bis Orange finanzieren mit 158 Millionen Euro die Mannschaften. Audi stellt den Organisatoren kostenlos Autos zur Verfügung. Die Teams haben Budgets zwischen 3,5 Millionen Euro (Barloworld) und 15 Millionen Euro (T-Mobile) zur Verfügung.

Zwiespalt aber auch unter den Sponsoren. Manche wie adidas, Discovery Channel und Credit Agricole werfen das Handtuch, weil sie um ihr Markenimage fürchten. Andere halten es mit Nestle Waters: "Solange die Menschen so zahlreich an den Straßen und vor dem Fernseher sind, werden wir dabei sein."

Clerc wittert eine Verschwörung des internationalen Radsport-Verbandes (UCI). Wenn Doping während des Rennens aufgedeckt werde, zeige das die Effizienz des Kontrollsystems. Der Verdacht gegen Rasmussen sei aber nicht bei der Tour aufgekommen, sondern nur von der UCI publik gemacht worden.

"Es handelt sich um den Versuch einer Destabilisierung", sagt Clerc. Und er schiebt eine Warnung "an alle" nach, "die aus persönlichen, privaten, wirtschaftlichen" Gründen die Tour schädigen wollten. "Sie unterschätzen die Macht des Ereignisses. Selbst wenn das etwas großspurig klingt: Frankreich wird es nicht zulassen, dass mehr oder weniger zweifelhafte Interessen der Tour schaden." (APA/dpa)