Wien – So sieht das Überwinden von Grenzen aus: Im Atelierhaus der Wiener Akademie der bildenden Künste (Semper-Depot) läuft nun – im Rahmen des ImPuls-Tanzfestivals als Kooperation zwischen diesem und dem Theater an der Wien – eine Ausstellung des Weltklasse-Modeschöpfers Christian Lacroix, die von dem Choreografen Christian Rizzo und dem Szenografen David Dubois gestaltet wurde.

Zur Eröffnung dieser Retrospektive der "Maison Lacroix" anlässlich deren 20-Jahr-Jubiläum zeigten die beiden aufstrebenden Tanzperformerinnen Anne Juren und Krõõt Juurak unter dem Titel look look eine hintergründige Modeperformance. Beides, Stück wie Ausstellung, wiesen darauf hin, wie sehr die politischen Implikationen von Mode noch immer unterschätzt werden.

Aber das Thema ist heiß: Wer darf sich in welcher Position wie kleiden? Man erinnere sich an die engstirnigen Diskussionen um Eva Glawischnigs Bauchfreiheit oder die Shorts von Alois Mock. Oder aber: Wie angepasst werfen sich Chefinnen oder Bosse in Schale, und was dürfen Krethi und Plethi tragen, ohne sich zum Gespött zu machen?

Das Untragbare ist eine Teilmenge des in einer Gesellschaft als unerträglich Verachteten. Christian Rizzo entreißt Lacroix' Kreationen der spekulativen Silbertablett-Ästhetik im Modeschautheater, und Juren/Juurak verwandeln auf Basis des Modekonzepts der Designerin Eva Blut fade Einheitkleidung in verblüffende Spontankreationen.

Rizzos/Dubois' Models sind Puppen, deren Gesichter hinter Stoffen oder Haaren verborgen bleiben. Die gruftige Atmosphäre im Semper-Depot unterstreicht das Leuchten der Fantasie, das der Betrachter braucht, um die in die Stillleben gepackten Geschichten zur Entfaltung zu bringen. Juren/Juurak probieren als Lichtgestalten des Understatement vor einem imaginären Spiegel aus, wie kreativ das Gewöhnliche machen kann. Beide Positionen arbeiten mit Veränderungen der Zusammenhänge von durchaus "tragbaren" Kleidungsstücken. Ihr Inhalt ist eine Werteverschiebung, mit der sich das Publikum sichtlich identifizieren konnte. Beide Arbeiten konterkarieren den kalten Glamour der bulimiefördernden Eitelkeitsindustrie und zaubern einen neuen Glanz und größere Abenteuer in die Mode.

Solche Ambitionen können auch in Sackgassen führen, wie die Berliner Designerin Lisa D. vor einem halben Jahr im Kasino am Schwarzenbergplatz bewiesen hat. Zusammen mit dem Grazer Dramatiker Johannes Schrettle wollte sie eine Modenschau als Polittheater veredeln.

Herausgekommen ist eine Verstärkung des Kritisierten – ganz ähnlich, wie nun bei ImPulsTanz eine politische Arbeit außerhalb des Modekontextes gescheitert ist, und zwar so grausam wie das, was dargestellt werden sollte. In Nine Finger bearbeitet Alain Platel das Thema Kindersoldaten. Das Stück ist ihm zu einer vordergründigen Persiflage mit pseudoaufklärerischem Anspruch missraten. Im Gegensatz dazu verstehen Rizzo/Dubois und Juren/Juurak, dass politische Kunst eine andere Sprache und darin ein, um mit Bernhard Waldenfels zu sprechen, "Antwortregister" braucht. Das macht sie zu zeitgemäßen Künstlern. (Helmut Ploebst / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.7.2007)