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"Entspannte" Stunden in der Lagunenstadt: Alan Oke (als Gustav Aschenbach) in Bejamin Brittens "Tod in Venedig".

Foto: APA/Gindl

Bregenz – Venedig sehen und sterben, zuvor sich noch in einen halbwüchsigen Burschen verlieben, an sich selbst verzweifeln und vor allem ausufernd leiden … Doch woran leidet er eigentlich, dieser Gustav Aschenbach? In Thomas Manns Novelle Tod in Venedig ist es einigermaßen klar: Das zurückgezogene Leben eines Schriftstellers, der sich anderen Menschen stets verschlossen hat, muss scheitern; späte Einsicht ist aussichtslos, das Objekt der Begierde bleibt unerreichbar.

Die Cholera-Epidemie, die Aschenbach dahinrafft, bildet eine recht eindeutige Metapher für eine andere Krankheit zum Tode, und auch die autobiografisch fundierte Homoerotik lässt sich bei Mann als Sinnbild für eine idealistisch verbrämte, höhere Ebene lesen: den Widerstreit zwischen Apollo und Dionysos, zwischen letztlich blutleerer Vergeistigung und rauschhafter Sinnlichkeit.

Bei Brittens letzter Oper liegen die Dinge nicht so einfach: Noch stärker als in "The Turn of the Screw" vermischen sich dargestellte Bühnenrealität und die Fantasie der Hauptfigur bis zur Ununterscheidbarkeit, die sexuellen Traumbilder treten in den Vordergrund, sodass unklar bleibt, worauf das Stück abzielt – die antiken Götterfiguren, künstlerische Inspiration oder doch auf eine greifbare Wunscherfüllung? Auch das teils ziemlich seichte Libretto von Myfanwy Piper mit plattem Lokalkolorit ist da kein guter Wegweiser, echte Reflexion enthält es kaum.

Die Besetzung des begehrten Buben und seines Umfelds mit stummen Rollen (Mitglieder des Tanztheaters Nürnberg) gibt allerdings einen entscheidenden Hinweis, dass dieser Tadzio vielleicht gar nicht existiert. Jedenfalls entwickelt sich alles aus dem Innenleben Aschenbachs heraus, der alles verzerrt sieht, keine echte Beziehung mehr zu anderen herstellen kann.

In sieben Rollen

Die sparsame Regie von Yoshi Oida ist insofern konsequent, als sie Theater aus dem Moment heraus entstehen lässt. Einige Holzlatten vor oszillierendem Hintergrund und eine schon fast überflüssige Wasserfläche genügen als Bühnenbild (Tom Schenk), wo all das Gestalt annimmt, was Aschenbach über die auf ihn hereinbrechende Eindrücke Venedigs und der Menschen ausspricht.

Der in sieben Rollen brillierende Peter Sidhom, ein entrückter Countertenor als Apoll (Will Towers) und der gute Britten Festival Chorus, ein eigens für Bregenz und das koproduzierende Aldeburgh Festival zusammengestelltes Ensemble, umgeben jenen Tenor, der heroisch fast die ganzen drei Stunden monologisierend auf der Bühne steht: Alan Oke verfügt klar, hell, prononciert, auch im Kräftigen immer schlank über alle typisch britischen Sängertugenden, wobei man an mancher Stelle auch Ironie heraushören mag. Die hat er angesichts der Getriebenheit seiner Figur auch bitter nötig: Herb und peitschend untermalen die klangschönen, nicht immer hundertprozentig sattelfesten Symphoniker unter der sicheren Leitung von Paul Daniel deren innere Kämpfe.

Ebenso fröhlich wie artifiziell-entrückt sorgt das schlagzeuglastige Kinderspiel für Kontraste, in das sich freilich immer wieder bedrohliche Zwischentöne wie von tiefem Blech einschleichen. Dass manches dabei exotisch fernöstlich klingt, fast wie ein ausgedünnter Puccini-Satz, ist dabei nicht nur ein hübscher Verweis zur Tosca, sondern auch auf eingearbeitete indonesische Gamelan-Musik.

Schon nicht mehr von dieser Welt sind unterdessen die entfernten Mahler-Anklänge, die zwangsläufig an Viscontis Verfilmung denken lassen – zeitgleich mit ihr begann Britten mit der Komposition der zwei Jahre später bei seinem Aldeburgh Festival uraufgeführten Oper. Eine sehenswerte Produktion eines beeindruckenden Werks! (Daniel Ender / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.7.2007)