Humboldts Idee lebt: Lehrprofessuren, die nur lehren, kommen nicht infrage, sagt Vizerektor Arthur Mettinger. Sehr wohl aber Professuren mit erhöhtem Lehranteil

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Standard: In Österreich studiert die Hälfte der Studenten unter ungünstigen Betreuungsverhältnissen, ein Drittel unter extrem ungünstigen. Wie steht es um die universitäre Lehre?

Mettinger: Das Bewusstsein für die Bedeutung der universitären Lehre hat sich in den letzten Jahren wesentlich erhöht. Wir haben da sehr große Fortschritte gemacht. Man muss allerdings sagen, dass es bei allen Bemühungen und Investitionen in die Lehre an den österreichischen Unis Bereiche gibt, wo Angebot und Nachfrage einfach nicht übereinstimmen und wir unter Ressourcenknappheit leiden.

Standard: Sie reden von Fortschritten. Heißt das, die Lehre war eine Zeit lang ein Stiefkind?

Mettinger: Man darf nicht vergessen, in einer gewissen Tradition der österreichischen, aber auch der zentraleuropäischen Universitäten, wurde Lehren und Unterrichten sehr lange als Privatangelegenheit der Lehrenden betrachtet. Endlich kommen wir dahin, dass Lehrende ihre Aufgabe als Lehrerinnen und Lehrer im Rahmen von institutionellen Strategien, Zielsetzungen und Qualitätssicherungsinstrumenten machen. Da zeigt sich eine Mentalitätsveränderung. Standard: Karrieretechnisch ist die Konzentration auf Forschung die lohnendere. Auch für die Unis, denn die Kennzahlen stellen ja hauptsächlich auf Forschungsindikatoren ab. Mettinger: Das ist grundsätzlich richtig. Allerdings haben wir bestimmte Lehrkennzahlen immer stärker im Budget und auch in der Wissensbilanz. Mit der dreistufigen Bologna-Studienarchitektur mit Bachelor, Master, PhD müssen sich auch die Lehrenden verstärkt überlegen, welche hochschuldidaktischen Modelle sie jeweils anwenden.

Standard: An der Uni Wien gibt es ein paar Massenfächer. Im Bereich Human- und Sozialwissenschaften beträgt das Betreuungsverhältnis 1 zu 450. In Jus kommt ein Professor auf 185 Studierende. Wie ist da gute Lehre noch möglich?

Mettinger: Die Betreuungsverhältnisse sind in einigen Bereichen äußerst unbefriedigend. Wir konzentrieren uns bei Verbesserungen auf die Studieneingangsphase – da wollen wir verstärkt E-Learning einsetzen – und die Diplom- und Masterarbeitsphase, wo wir uns bemühen, in besonders belasteten Bereichen durch zusätzliche Professuren die Qualität der Betreuung zu verbessern.

Standard: Deutschland diskutiert „Lehrprofessuren“ gegen die Misere in der Lehre. Ist das auch für Österreich vorstellbar, oder will man sich weiter mit oft extrem schlecht bezahlten Lektoren drüberschwindeln?

Mettinger: An der Uni Wien haben wir gerade vier Professuren mit dem Schwerpunkt Lehre für Psychologie, Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Kultur- und Sozialanthropologie und Ernährungswissenschaft gewidmet. Diese Professoren werden genauso in Forschung und Lehre tätig sein, aber einen höheren Anteil an Lehraufgaben und vor allem Betreuungsaufgaben haben. Lehrprofessuren, die nur lehren, kommen für die Universität Wien nicht infrage.

Standard: Wie halten Sie es als Vizerektor einer „Massen-Uni“ mit dem freien Uni-Zugang?

Mettinger: Man muss bei einer großen Universität wie der Uni Wien auf jeden Fall differenzieren. Wir haben viele Fächer, wo wir den freien Hochschulzugang problemlos aufrechterhalten können. Wir haben aber einige besonders belastete Fächer. Man müsste überlegen, wie viele Studierende können jedes Jahr neu aufgenommen werden, wie sollen sie ausgewählt werden, um diese Studien betreiben zu können. Numerus clausus kommt nicht infrage. Die Studierenden sollen die Möglichkeit haben, das Studieren an den Unis kennen zu lernen und dann selbst eine Wahl zu treffen oder sich Auswahlverfahren für die verfügbaren Plätze zu unterwerfen. Das wird ein Themenbereich sein, mit dem sich in Zukunft die Politik wesentlich mehr als die Unis zu beschäftigen haben wird.

Standard: Der Wissenschaftsrat hat eine sehr radikale Empfehlung abgegeben, er möchte Zulassungsverfahren für alle Fächer, auch die nicht überlaufenen. Das geht Ihnen zu weit?

Mettinger: Da muss man sich die Frage stellen, ob eine rigide Studienplatzbewirtschaftung notwendig ist, weil wir zum Beispiel in manchen Bereichen der Naturwissenschaften durchaus genügend Lehrende und Forschende haben, die auch mehr Studierende betreuen könnten, etwa in Chemie. Warum soll man auch in solchen Bereichen Auswahlverfahren machen?

Standard: Sind Sie für Studieneingangsphasen, oder soll vor Studienbeginn die Zulassungsentscheidung fallen?

Mettinger: Ich persönlich bin nach wie vor für wenigstens eine einsemestrige Studieneingangsphase. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, Printausgabe, 20.7.2007)