Der gestalterischen Banalität sind in der Internet-Plattform Second Life keine Grenzen gesetzt, wie man zum Beispiel hier sehen kann. Um die besser gestalteten Architekturen im "Zweiten Leben" ins Blickfeld zu rücken, gibt es den Second Life Award, der auf der Ars Electronica im September präsentiert wird.

Sreenshots: SecondLife
Tatsächlich - der Banalität sind offenbar keine Grenzen gesetzt. Derzeit breitet sie sich in den unendlichen Sphären der virtuellen Gegenwelt aus, zum Beispiel in "Second Life" (SL). In einem Universum, in dem eigentlich alles möglich sein sollte, in dem Schwerkraft, eindringende Feuchtigkeit und andere Gestaltungshürden keine Rolle spielen und jedes Ideenmaterial zu Verfügung steht, klotzen Multis wie Mercedes Benz, BMW oder IBM ihre Unternehmensrepräsentanzen in einer Kunstglas- und Kunstbetonfantasielosigkeit in den dreidimensionalen Computerraum, wie es langweiliger nicht geht.

Autos kreisen auf Präsentationstellern, die Showräume entsprechen in ihrer Fadesse der wirklichen Wirklichkeit, an den Wänden hängen fade Poster und Plakate - warum, fragt man sich nach spätestens zehn Minuten, soll man sich das, was im Speckgürtel der Vorstadt schon eine optische Zumutung ist, daheim am PC noch einmal geben? Nur weil man hier durch die Räume fliegen kann? Nur wenige Ausnahmen bestätigen bis dato die Regel - und um die zu finden und einer quasi virtuell-architekturkritischen Bewertung zu unterziehen, hat der in München lebende österreichische Architekt und Künstler Stephan Dösinger einen SL-Award ausgerufen, der erstmals beim Linzer Ars Electronica Festival im heurigen September präsentiert wird (Näheres dazu unter www.sl-award.com).

Dösingers Fragestellung und These: "Warum sind so viele Menschen fasziniert und gleichzeitig befremdet von der virtuellen Welt in "Second Life"? Wird hier eine trügerische Alternative zur physischen Realität, dem so genannten "First Life", suggeriert? Was, wenn dieses Metaverse SL ein unheimliches Spiegelbild zur Wirklichkeit ist? Könnte es sein, dass ein Kommentar Walter Benjamins von 1929 zur zentralen Metapher unserer kulturellen Grundsituation geworden ist? "Blicken zwei Spiegel einander an, dann spielt der Satan sein liebstes Spiel und öffnet die Perspektive ins Unendliche." Allerdings, Satanas ist hier rege aktiv und befördert der Menschen liebstes Spiel, und zwar das der Selbstdarstellung. Auf die Gestaltung des virtuellen Gegen-Ichs, also der so genannten Avatare, wird offensichtlich allergrößter Wert gelegt. Liebevolleres Design als in Sachen Klamotten, Haartracht und Bodyshaping sieht man in SL selten. Und eine Vielzahl der im Vergleich dazu völlig fantasielosen Architekturen dient der Präsentation schlüpfriger Inhalte: Sexshops und Lustpavillons, wohin der Mausklick zielt.

Dass das nicht immer so sein muss, beweisen wie so oft die Kreativküchen von Universitäten und deren freigeistig-jugendliche Studenten. Zum Beispiel die des Royal College of Technology in Stockholm. Die analysierten die SL-Welt und fanden zu interessanten Thesen. Die Freiheiten und auch die Leere dort, so meinte sie etwa, seien so überwältigend, dass die User unweigerlich mit sofortiger Befüllung reagierten. Um der virtuellen Verschandelung einen Gegenentwurf vorzusetzen und die Möglichkeiten des virtuellen Raums auszuloten, gründeten sie das weltweit größte virtuelle Architekturbüro LOL Architects. Denn wie Erfindungen wie die Fotografie, des Films, des Telefons, des PCs und schließlich des Mobiltelefons Wahrnehmung und Definition von Räumen und Öffentlichkeit verändert und verschoben haben, so werden auch Internetplattformen wie SL die tatsächliche Realität beeinflussen.

Noch einmal Stephan Dösinger in seinem Aufsatz für die Ars Electronica: "In welcher Realität befindet man sich mit dem iPod im Ohr, wo der akustische Raum vom physischen Raum entkoppelt ist? In welchem Raum befindet man sich, wenn man ein Computerspiel spielt, sich im Internet bewegt oder SL als 3-D-Telefon benutzt? Es scheint, als ob sich überall dort, wo sich physische mit medialen Räumen kreuzen, neue Räume entstehen. Es sind Räume, die einmal anwesend, einmal abwesend, aber meist mobil sind und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten über die Kontinente vagabundieren, bis sie zerplatzen wie eine Seifenblase - am Ende eines Ferngesprächs auf der Autobahn. Nennen wir sie Bastard Spaces!"

Was Österreich anlangt, so bildet es sich eben als "Erlebniswelt" in SL ab, gestaltet von der Web-Agentur Second Horizon. Riesenrad und Donauturm sind bereits online, weitere Attraktionen sollen folgen. Und auch die Österreichische Sportwettengesellschaft tipp3 plant derzeit einen Auftritt: Im September dieses Jahres wird der virtuelle Spatenstich für ein Stadion erfolgen, das bis zur Euro 08 fertig gestellt sein soll.

Die Sportwetter rufen nun alle kreativen Geister auf, sich an der Ideenfindung zu beteiligen, was über den Blog www.tipp3.at/tipp3arena erfolgen kann. "Moderne architektonische Erkenntnisse" sollen mit den "Wünschen und Bedürfnissen der Fußballfans kombiniert werden", auf dass ein "Musterstadion in der virtuellen Welt" entstehe, das "durchaus Anregung und Vorbild für neue, reale Stadien sein soll".

Also: Architektinnen und Architekten, Studentinnen und Studenten - ran an die virtuelle Materie! (Ute Woltron, ALBUM/DER STANDARD/Printausgabe, 14./15.07.2007)