Zur Person
Gerhard Steininger hat als unabhängiger Journalist 40 Jahre lang die österreichische Politik beobachtet, davon mehr als drei Jahrzehnte lang als innenpolitischer Korrespondent in der Wiener Redaktion der "Salzburger Nachrichten". Steininger ist Träger des René-Marcic-Preises und des Leopold-Kunschak-Preises.

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Zum Buch
Vom 19. Jahrhundert bis zum BZÖ - das Dritte Lager hat eine lange und wechselhafte Geschichte hinter sich. Gerhard Steininger hat Aufstieg und Fall von Jörg Haider und die Geschichte der FPÖ akribisch recherchiert und mit zahlreichen Anekdoten versehen, die er im persönlichen Gespräch mit FPÖ-Politikern erfahren hat. Von Haiders "Sagern" über Knittelfeld bis zum "Vatermörder" Strache: Steiningers Buch ist vollgepackt mit Fachwissen, erstaunlichen Erkenntnissen, skurilen Details und politischen Fakten.

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Ein Buch über das Dritte Lager in Österreich - Ein viel heikleres Thema kann man sich als Journalist und Autor nicht aussuchen. Gerhard Steininger hat trotzdem genau das getan. Im Gespräch mit derStandard.at philosophiert Steininger über die FPÖ vor, während und nach Haider; darüber, was gewesen wäre wenn es Steger nicht gegeben hätte und über Haiders "geniale Talente". Dass die Medien einen großen Teil zum Haider-Hype der vergangenen Zeiten beigetragen haben, ist für ihn klar: "Haider betet die Macht der Schlagzeile an". Dass die Zeiten eben vergangen sind, ebenfalls: "Jedes Ding hat seine Zeit". Und die von Haider sei vorüber. Das Gespräch führte Anita Zielina.

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derStandard.at: 49 Ergebnisse bekommt man, wenn man bei Amazon nach "Jörg Haider" sucht, 51 bei "FPÖ". Was hat sie also bewogen, zu diesen Themen noch ein Buch zu schreiben?

Steininger: Das stimmt, es gibt jede Menge Literatur über Haider. Von den 49 Büchern bei Amazon sind aber wahrscheinlich 48 Kampfliteratur. Es gibt über die FPÖ als Gesamtdarstellung nur zwei Bücher, von denen eines, das überdies vergriffen ist, mit der Wahl Stegers endet. Ein neueres Buch wurde von einem FPÖ-Mitglied geschrieben und bietet einen Blick von innen nach innen. Ich bin ein Außenseiter und das ist ein grundlegender Unterschied.

 

derStandard.at: Viele Bücher über die FPÖ beginnen, nach einer kurzen Einleitung, quasi mit dem Parteitags-Putsch 1986. Ihres nicht. Das Kapitel Haider beginnt erst auf Seite 120. Wird die FPÖ zu sehr auf Haider bezogen?

Steininger: Die Geschichte der FPÖ beginnt nicht erst bei Jörg Haider. Haider kann man nicht zu verstehen, ohne die Vergangenheit zu betrachten. Für mich war die Ära Götz (1978 wurde Alexander Götz FPÖ-Bundesparteiobmann, Anm.d.Red) ein Angelpunkt. Was wäre gewesen wenn Götz sich bereit erklärt hätte, die FPÖ länger zu führen? Der Mann war auch ein Populist, aber einer mit Verantwortung. Wenn Götz geblieben wäre, hätte es keinen Steger gegeben und vermutlich auch keinen Haider, jedenfalls nicht in der Gestalt, wie wir ihn kennen gelernt haben. Da fragt man sich schon: Was wäre gewesen wenn…

derStandard.at: Gab es gleich zu Beginn diese "Haider-Euphorie", die später in der FPÖ herrschte?

Steininger: Nein, Haider war durchaus nicht unumstritten. Man wusste zwar, dass man den Steger nicht wollte, aber in der Regierung wollte man sehr wohl bleiben. Der wahre Umschwung pro Haider kam, als er sich zur Regierungsbeteiligung bekannte. Er hat ein geniales Talent, Stimmung für sich zu machen und Stimmungen auszunützen.

Ich würde aber stark davor warnen, ihn im Vorhinein nur als Rechten zu betrachten, er hat im Parlament oft die SPÖ links überholt. Das ist so mit Populisten. Den Ruf des Rechtsaußen hat er sich selbst erarbeitet, als er begonnen hat, in den trüben braunen Gewässern zu fischen. Natürlich war er zutiefst national eingestellt, auch weil er die Geschichte seiner Eltern mitgenommen hat. Aber ich glaube von ihm nicht, dass er Neonazi ist. Ich erinnere mich an ein Sommerinterview, das ich mit ihm geführt habe. Als das fertig war, haben wir darüber gesprochen. Und ich habe zu ihm gesagt: "Ich halt' Sie nicht für einen Nazi". Darauf hat er gesagt: "Naja, Sie sind ja auch zu gescheit dafür". Und ich habe ihm geantwortet: "Nein, ich halte Sie für zu gescheit". Er ist kein Nazi, aber er spielt damit.

derStandard.at: Sind alle seine Aussagen, wie etwa die von der "Ordentlichen Beschäftigungspolitik", also gezielte Provokation oder echte Überzeugung?

Steininger: Das ist eine sehr schwierige Frage. Sicher ist: Haider betet die Macht der Schlagzeile an. Er tut das dank der Naivität unserer Branche sehr erfolgreich. Solange seine Aussagen groß aufgegriffen wurden, hat man ihm damit in die Hände gespielt.

derStandard.at: Heute werden seine Aussagen medial fast nicht mehr  wahrgenommen. Was ist passiert?

Steininger: Die Marschallin im Rosenkavalier singt: Jedes Ding hat seine Zeit. Das gilt auch für Personen, auch für Haider. In seiner besten Zeit konnte er jeden Tag in der Früh drei kleine Kinder zum Frühstück essen, und er wird drei Prozent mehr Stimmen bekommen. Und heute kann er jeden Tag drei alten Damen über die Straße helfen, und jeder wird schreien: Ein Sittlichkeitsverbrecher, er will sie entführen – und er wird drei Prozent der Stimmen verlieren. Das ist der Lauf der Zeit.

derStandard.at: Was brachte diese Wende zur Bedeutungslosigkeit, zur Skurrilität?

Steininger: Wir sind schon früher immer wieder versucht gewesen zu sagen: Ah, jetzt ist es aus, jetzt ist er endgültig weg. Und er war dann doch immer noch da. Das hat zu einer bemerkenswerten Fehleinschätzung bei der Trennung von BZÖ und FPÖ geführt. Man hat gesagt: Jetzt ist die FPÖ endgültig hin. Und da sehen wir ja, wie wir uns blamiert haben.

Ein Grund der Wende war sicher seine tragische Vorstellung im Jahr 2002 rund um Knittelfeld. Jeden Tag stand ja in einer anderen Zeitung: "Ich bin da" und "Ich bin weg". Tödlich für einen Politiker ist, lächerlich gemacht zu werden. Solange man ihn dämonisiert hat, hat den Leuten das gefallen, indem man ihn banalisiert hat, kam die Wende.

derStandard.at: Heute haben wir eine FPÖ unter Strache, der sich in vielen Dingen an seinen Ziehvater Haider angepasst hat, und das heutige BZÖ, das außer in Kärnten bedeutungslos ist.

Steininger: Eines ist völlig klar: Strache ist es mit Hilfe von Stadler und Mölzer gelungen, das alte Bild der FPÖ zu besetzen. Dass Haider die Farbe blau und den Begriff FPÖ preisgegeben hat, war ein schwerer Fehler. Außerdem bestand die FPÖ ja quasi nur aus Haider. Er hat nie zugelassen, dass jemand unter ihm stark wird, und das hat sich gerächt.

derStandard.at: Wieso hat er das BZÖ gegründet?

Steininger: Es war sicher einerseits der Wunsch etwas Neues zu machen, aber der eigentliche Hintergrund war, dass er bemerkt hat, dass die FPÖ ihm entglitten ist. Riess-Passer wurde immer publikumswirksamer, es gab Widerstände gegen ihn. Ich habe kurz vor Knittelfeld einmal mit ihm gesprochen, ich hatte ihn schon lange nicht mehr gesehen. Da war vom strahlenden Haider nur mehr wenig übrig, er saß da wie ein gebrochener Mann. Und er hat immer wieder zu mir gesagt: "Das ist nicht mehr meine FPÖ". Er hat das Gefühl gehabt, das ist nicht mehr sein Lebenswerk, und darum wollte er sich ein neues aufbauen.

derStandard.at: Wie geht’s mit den beiden Parteien weiter, was ist Ihre Prognose?

Steininger: Ich habe spaßhalber eine Wette laufen, dass sich BZÖ und FPÖ bis Ende des Jahres wiedervereinigen werden. Die Wette werde ich zwar wohl verlieren, aber was ich dennoch glaube, ist dass es zu einer Art von Wiedervereinigung über die Wählerschaft kommen wird. Ich kann mir vorstellen, dass auch viele Funktionäre den Weg zurück zur FPÖ finden, zumindest da, wo keine zu großen Verletzungen passiert sind. Wenn Strache und Haider nicht mehr da sind, sieht die Sache vielleicht anders aus, dann könnte es auch wieder zu einer organisatorischen Vereinigung kommen. Nur die beiden können sicher nicht miteinander.

derStandard.at: Wieviel Wählerpotential steckt tatsächlich im Dritten Lager?

Steininger: Andreas Khol hat einmal das stabile Wählersegment im Dritten Lager auf 18 Prozent geschätzt. Und ich denke, das könnte hinkommen. Was unter Haiders Zeiten deutlich darüber lag, das waren explizite Haider-Wähler. Das ist eine Art Analogie zu den berühmten Kreisky-Wählern: Die Leute haben Haider gewählt, weil er in vielen Dingen die ungeschminkte Wahrheit gesagt hat. Natürlich, man hätte es feiner und weniger populistisch machen können. Aber als ich das einmal zu ihm gesagt habe, hat er mir geantwortet: "Ja glauben Sie denn, dass ich mit Methoden aus dem Mädchenpensionat diesen ganzen politischen Filz hätte aufbrechen können?"

derStandard.at: Wer sind diese 18 Prozent? Woraus setzt sich das Dritte Lager, oder die Wählerschaft der FPÖ, zusammen?

Steininger: Ich habe als Titel für das Buch ursprünglich "Die Unzufriedenen" vorgeschlagen. Und genau das sind sie: Das Dritte Lager hat immer aus Menschen bestanden, die unzufrieden mit ihrem Status waren. Das zieht sich durch. Die FPÖ ist immer gegen alles, sie fühlt sich verfolgt. Das hat ihr die Unzufriedenen aus anderen politischen Lagern zugeführt. Die FPÖ hat sich in hohem Maß vom Protest genährt. Die Kriegsnostalgie, oder Nazi-Nostalgie, habe ich persönlich übrigens nicht gefunden. (Anita Zielina, derStandard.at, 11.7.2007)