Wien macht den Anfang: Die Grünen wollen Senioren stärker als bisher ansprechen. Das Potenzial bei den unter 30-Jährigen scheint ausgereizt, neue Wählerschichten gehören erschlossen.

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Wien – Bei den Grünen zeichnet sich eine Kurskorrektur ab. Die primäre Wählergruppe, die Jungen, wird immer kleiner, scheint ausgereizt, neue Schichten müssen gefunden werden: Die Jungpartei entdeckt die Oldies.

„Wir gehen diese Gruppe offensiver an. Das haben wir bisher noch nicht so gemacht“, erklärt Bundesgeschäftsführerin Michaela Sburny im Gespräch mit dem STANDARD. Noch wird in der Grünen-Parteizentrale allerdings an dem „Wie“ gebastelt: „Es geht darum, Wege zu finden, die Senioren auch ansprechen zu können.“ Fix sind derzeit nur „dezentrale Aktionen“ sowie „Informationssendungen“ an Haushalte – „über die Wählerevidenz“.

Zielgebiet Nummer eins ist Wien. Immerhin sind derzeit knapp mehr als ein Fünftel (22 Prozent) aller Wiener und Wienerinnen laut Statistik Austria im Pensionsalter (60 plus). Mit der Mitte Juni neu gewählten Landessprecherin wurde auch schon ein Signal gesetzt: Birgit Meinhard-Schiebel ist 61 Jahre alt und Chefin der Grünen Senioren in Wien. Sie setzt auf drei Themenkomplexe: Umwelt, Bildung und die Wohn- und Lebenssituation, „wie man im Alter das Wohnumfeld formt“.

"Ich will nicht nur Kaffee, Kuchen und Walzer"

Meinhard-Schiebels Landesorganisation gibt es seit zehn Jahren, bundesweit wurden die Grünen Senioren überhaupt erst 2001/02 gegründet. Da es keine Mitgliederorganisation ist, lasse sich die Größe schwer einschätzen, sagt Meinhard-Schiebel. Locken wollen die Grünen jene älteren Menschen, „die unzufrieden sind und andere Bedürfnisse haben, die sagen: Ich will nicht nur Kaffee, Kuchen und Walzer“. Wobei flächendeckend Überzeugungsarbeit geleistet werden soll: „Zu glauben, ,in jenem Bezirk sind viele 70-Jährige, die hole ich mir‘, würde nicht funktionieren.“ Wenn, wäre Hietzing eine gute Wahl. Er ist der Bezirk mit den höchsten Altenanteilen (32 Prozent, Stand 2007).

Auch die Analysen der Ergebnisse der letzten Bundeswahlen verdeutlichen das Dilemma, in dem sich die Grünen rein wählertechnisch befinden: In den vergangenen Jahren hat die Partei bei Nationalratswahlen bei den unter 30-Jährigen um zehn Prozent zulegen können (siehe Grafik), bei den über 60-Jährigen ist der Zuwachs marginal: Man hält bei knapp drei Prozent. Ein Blick auf Grün-Parteien anderer Länder habe auch gezeigt, dass „diese Kluft nirgendwo so groß ist wie bei uns“, sagt Sburny.

"Risikobehaftet"

Für den Politikwissenschafter Peter Filzmaier ist die Ausrichtung auf Senioren „ein Erfolg versprechender Weg, wenn auch risikobehaftet“. Er sieht das Wählerreservoir bei den Jungen als „kaum noch steigerbar“. Das Risiko sei, dass man eine „Zwei-Markenstrategie“ fahren müsse: „Bobos brauchen eine andere Botschaft als Senioren“, meint er zu den Wiener Verhältnissen. Auch ein Zuschnitt auf einen einzelnen Spitzenkandidaten – wie die Wiener Grünen-Chefin Maria Vassilakou bei der letzten Gemeinderatswahl – sei schwierig: „Da wird man wohl auf eine Teamstrategie umschwenken.“ (Peter Mayr, DER STANDARD, Printausgabe 11.7.2007)