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Jürgen Maurer in Carl Zuckmayers "Der Hauptmann von Koepenick" im neuen Spielraum im Theater Reichenau

FOTO: APA / ROBERT JAEGER

Reichenau/Rax - Die Vermessung der Welt ist eine Millimeterangelegenheit. Am richtigen Abstand zwischen den Uniformknöpfen erkennt man beispielsweise den preußischen Junker. Zugehörigkeiten werden manchmal eben haarscharf definiert.

Zwei Premieren führten bei den Reichenauer Festspielen am Wochenende jeweilige gesellschaftliche Ausschlussprinzipien vor: Gerhart Hauptmanns Familien- und Liebestragödie "Vor Sonnenuntergang" und Carl Zuckmayers "Der Hauptmann von Köpenick".

In Zuckmayers "deutschem Märchen" streift sich der vorbestrafte und arbeitslose Schuster Wilhelm Voigt, gnadenlos von den Behörden am Wiedereintritt in die Gesellschaft gehindert, kurzerhand mit der preußischblauen Hülle die Macht über, lenkt als falscher Hauptmann ein Soldatencorps gen Rathaus und nimmt die Kassa samt Bürgermeister hopps. Kleider machen Leute. Aber tolle Schauspieler noch kein solches Theater.

Die voll und ganz auf Schauspielertheater ausgerichteten Festspiele Reichenau, mit Darstellerinnen und Darsteller erster Güte gesegnet, reduzieren die pfleglich gewählten, meist dem Naturalismus der Jahrhundertwende verpflichteten Dramen vorwiegend auf das bloße Arrangieren von Sprechrollen, ohne erkennbare Regie.

Und so trägt Martin Schwab dank seiner Fähigkeit der herzlich kompromisslosen Aufbäumung in der Titelrolle des Hauptmanns von Köpenick die Last, das Publikum in der Arena des Neuen Theatersaals mehr als drei Stunden durch das von "Oberwachtmeestern" und Vizefeldwebeln verstellte wilhelminische Berlin zu führen. Bezwingende Momente erreicht die von Regisseur Alfred Kirchner durch die langwierige Bilderbogendramturgie gezogene Arbeit - bis auf die Szenen mit André Pohl - fast nie.

Ein wenig mehr Glück hat da Gerhart Hauptmanns "Vor Sonnenuntergang" in der Regie Beverly Blankenships. Auch hier will ein Mensch nur Mensch sein, und die Umgebung lässt ihn nicht. Der siebzigjährige Großverleger Matthias Clausen (Peter Matiæ) verliebt sich nach drei Jahren Witwerschaft in eine wesentlich jüngere (und ärmere) Frau: Inken Peters (Elisa Seydel), die mit ihrer Mutter im Gärtnerhaus einen Kindergarten betreibt. Auf die Seligkeit des neuen Glücks trifft mit der ungebremsten Härte kapitalistischer Raffgier die um ihr Erbe bangende Verwandtschaft. Der Familienapparat aus Kindern und Schwiegerkindern samt Juristen wird, um eine Hochzeit abzuwenden, den Alten entmündigen.

Die unambitionierte, in Stadttheatermanier gehaltene Inszenierung (mit Blumen bemalte Plexiglas-Kulissen von Peter Loidolt deuten etwa das Glashaus der Gärtnerei an) gewinnt nach einem gebremsten Start im zweiten Teil dann doch an Dringlichkeit. Die Regisseurin will in der deutlich gekürzten Fassung rasch ans Ziel. Um einen kraftvollen und offensiven Peter Matiæ scharen sich dabei andere Burgtheater-Mimen wie Tamara Metelka, Julia von Sell oder Hans Dieter Knebel.

Beide Premieren wurden vom Publikum begeistert angenommen. Bleibt jetzt nur die Frage, ob man als Publikum genug "legere Eleganz" aufbringen konnte, wie es auf der Seite "So ist das bei uns" auf der Festspiel-Homepage unter der Rubrik "Image/Kleidung" erwartet wird. Hoffentlich. (Margarete Affenzeller / DER STANDARD, Printausgabe, 9.7.2007)