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Sting und The Police spielen am Höhepunkt des 24-stündigen "Live Earth"-Spektakels im Giants Stadium von New Jersey "Message In A Bottle".

Foto: Lucas Jackson/Reuters

Zum Samstag und zu "Live Earth": Abgesehen von Lippenbekenntnissen darf man sich über den Zustand unserer Welt aber auch weiterhin Gedanken machen.

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Wien - Die wichtigste Erkenntnis ist so alt wie die Strom- und Gasrechnung: Immer das Licht ausschalten, wenn man es nicht braucht! Die Wohnung nicht überheizen! Mit kleineren Autos weniger fahren! Umsteigen auf öffentliche Verkehrmittel! Jute statt Plastik! Keine Einkaufssackerln aus Kunststoff! Müll trennen! Nur regionale Lebensmittel kaufen. Sich vom Spargel aus Peru und den Erdbeeren aus Spanien verabschieden! Für den Urlaub gilt: Klopeiner statt Titikaka-See! Ökostrom statt Kohlekraft! Starkstrom macht Feinstaub! Frieden statt Krieg!

Die "unbequeme Wahrheit", die Al Gore nun am 7. 7. 2007 vor erhofften zwei Milliarden Besuchern und Konsumenten von Live Earth online und über diverse Fernsehsender wie den ORF oder ProSieben mit Mitstreitern wie Leonardo DiCaprio, Cameron Diaz oder Salma Hayek und weiten Teilen der internationalen Pop-Elite verkündete, mag zwar in unseren Breiten dank der Umweltbewegung längst ein allmählich in die gesellschaftliche Breite sickerndes Allgemeingut sein. In dem kann man sich an der Schnittstelle von Ökologie und Ökonomie längst seine Ökobilanz gehörig und ohne größere Abstriche für den eigenen Lebenswandel aufwerten. Und Geld sparen.

In Ländern wie den USA oder Japan und China hat sich dieses auf keinen Fall Schaden anrichtende Bewusstsein allerdings vor allem auch politisch noch nicht so richtig durchgesetzt. Es geht um das hoch gehandelte Gut der Aufmerksamkeit. Und es geht vor allem auch darum, dass man den Industrienationen klarmacht, dass man nicht nur im Kleinen die Erde zu einem besseren Platz gestalten könnte. Auch der Industrie selbst könnte man das Geschäft mit der reineren Umwelt auf jeden Fall finanziell schmackhaft machen.

Kleingeld

Deshalb ist es wohl auch müßig, sich über Gebühr gegen diese Veranstaltung zu wehren, indem man darauf hinweist, dass hier mit 150 auftretenden Künstlern weltweit zwischen der Antarktis, Sydney, Japan, Südafrika, Südamerika, den USA, Großbritannien oder Deutschland ordentlich CO2 in die Luft geblasen und über ansteigende CD-Verkäufe und Downloads musikalisches Kleingeld gemacht wird. Jede Aludose und jeder privat gefahrene Autokilometer weniger bedeutet letztlich eine eindeutige Verbesserung unserer Lebensumstände.

Dass Madonna als Höhepunkt des Konzerts im neuen Londoner Wembley Stadium dann den symbolischen Vorschlaghammer auspackt und mit einem 50-köpfigen Kinderchor und der etwas gar naiven Lalelu-Lagerfeuerballade Hey You darauf hinweist, dass wir die Welt nur von unseren Kleinen geborgt haben, ergibt sich aus der Natur des Pop: Komplizierte Sachverhalte werden mit winkendem Zaunpfahl simplifiziert und mit melancholischen Wunderkerzen hin zu einem radioverträglichen Schrecken gebogen. Der soll uns - der Mehrwert von Unterhaltungsmusik und Betäubungskultur! - auf ein mögliches Besseres verweisen. Gegen Gefühligkeit und Wunderkerzen ist dann auch schlecht argumentieren.

Madonna, die auch noch gemeinsam mit den US-ukrainischen Balkan-Punks Gogol Bordello ("meine Freunde von der rumänischen Gypsy-Band!") La Isla Bonita stampfte und mit den elektronischen Dancefloor-Knallern Ray Of Light und Hung Up darauf hinwies, dass der Strom im Zweifel bei ihr immer noch aus der Steckdose kommt, kann nicht anders. Sie ist für solche grob und mitunter fahrlässig vereinfachende gigantomanische Veranstaltungen gebaut. Zumindest setzt sie sich mit der Recycling-Technik von Hung Up, der auf einem alten Abba-Hit basiert, im höheren Sinn dafür ein, dass im Pop längst nicht mehr alles auf den Müll wandert, wenn es abgetragen wirkt.

Dass Madonna ihren Live Earth-Song dabei nur als Download anbietet und ökologiebewusst dazu auffordert, keine bösen, die Umwelt verschmutzenden und nur die Lager der Unterhaltungskonzerne für teure Haltungskosten verstellenden CDs mehr zu kaufen, sondern Musik legal herunterzuladen, ist angesichts der dramatisch rückläufigen Verkaufszahlen im Musikgeschäft aber dann nicht mehr bloß reiner Zynismus. Das ist die Flucht nach vorn, ausgeheckt von jungen, hungrigen Marketing-Abteilungen.

Zukunft im Müll

Auch die wiederauferstandenen Altrocker Genesis, die höchst deplatziert während ihres Auftritts bei Live Earth im Bühnenhintergrund filmische Autorasereien durch nächtliche Großstädte zuspielen ließen, mögen das alles zwar nicht wirklich durchdacht haben. Schön aber, dass man sich auch im Jurassic Park Gedanken um die Zukunft macht, die dort doch eigentlich längst im Zivilisationsmüll begraben liegt.

Neben heftigen Auftritten der Dosenbier- und Motorsportrocker Metallica, die bei Live Earth im Wembley Stadium sozusagen für ihren tags darauf am selben Ort stattfindenden Gig ein Aufwärmtraining absolvierten, oder den mitreißenden Sets der Foo Fighters um Dave Grohl oder der Red Hot Chili Peppers erlebte man im Gegensatz zu altvorderen Veranstaltungen der globalen Benefizkultur wie Live Aid oder Live 8, abgesehen von oft platten Lippenbekenntnissen, auch noch eine andere Entwicklung der Trendsportart "Gutes tun".

Künstler wie die Beastie Boys, die Smashing Pumpkins, The Police oder Rihanna befinden sich alle gegenwärtig auf Tournee, um aktuelle Produkte zu verkaufen. Deshalb war - mit wenigen Ausnahmen wie Alicia Keys und Keith Urban für Gimme Shelter von den Stones - auch nicht mit unerwarteten Kollaborationen und extra einstudierten Liedern zu rechnen, sondern mit der jeweiligen Abspulung der größten drei Hits. Viel Lärm macht noch kein besseres Wetter. Die Stimmung in den Plattenfirmen und bei Sponsoren der Veranstaltung wie dem Autokonzern Daimler Chrysler oder Microsoft dürfte in den nächsten Tagen und Wochen allerdings trotzdem steigen. Immerhin haben sie mit der geschickten Platzierung ihrer Brandings ihr Image gehörig aufgemöbelt. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Printausgabe, 9.7.2007)