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Bedrängt, behängt: Kari Graf Brühl (Joseph Lorenz), hier mit Dorothee Hartinger.

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... - leider mit der dem Helden eigenen Entschlussschwäche.


Reichenau - "Red nicht mit mir, als wenn ich eine Speisewagenbekanntschaft aus einem Schnellzug wäre. Ein altes Ehepaar hat doch einen Ton miteinander", sagt die untreue Ehefrau zu ihrem Gatten, der versucht, ein Restchen Glut in der erkalteten Beziehung anzufachen.

Wie stellt man heute eine Gesellschaft dar, in der Lebensweichen gestellt werden, während man nebenan Bridge spielt? Und die diskrete Sonne dieses Kosmos, um die alle Figuren kreisen, der "Schwierige" Kari Graf Bühl, der "mühelos" das vorstellt, was er ist: "ein großer Herr", ein Mann des "Wiegel-Wagel" und der Eleganz, die - wie bei seinem heimlichen Vorbild, dem Clown Furlani - nur durch Absichtslosigkeit zu erreichen ist? Lässt sich sein Faszinosum heute noch vermitteln?

Man kann Hugo von Hofmannsthals große Gesellschaftskomödie des Jahres 1920 nur milieugetreu aufführen, will man sie nicht zerstören. Nur so wird sichtbar, was dieser Reigen der Konversation auch ist: ein Nachkriegsstück, ein Abgesang auf eine Klasse, ein Anschauungsunterricht in Sprachskepsis. Das alles wollte Regisseur Christopher Widauer in der verblichenen Pracht des Südbahnhotels zeigen und ist dabei, von des Helden Entschlussschwäche angekränkelt, auf halbem Wege stehen geblieben. Weniger Französisch im Text, kein Frack, sondern Smoking für die Soiree. Fatal wirkt sich aus, dass man diese abdankende österreichische Aristokratie, die der Dichter, halb ironisch, halb wehmütig, mit dem deutschen Willensmenschen Baron Neuhoff (Markus Meyer) konfrontiert, mit deutschen Schauspielern besetzt hat, die sich im Salon bewegen wie die sprichwörtlichen Dickhäuter im Porzellanladen. So taumeln Karl Menrad (als Gastgeber Altenwyl) und Gottfried Breitfuss (als gehörnter Graf Hechingen) in chronischem Sprachnotstand hilflos durch Peter Loidolts sparsam schönes Bühnenbild, während Dorothee Hartinger als von Kari Bühl abservierte Antoinette Hechingen dank ihrem Temperament die Frage nach der Angemessenheit ihres Tons vergessen lässt.

Karis dumm zielstrebigen Neffen Stani bestraft Ludwig Blochberger durch Outrage, und Ulrike Beimpold gibt als dessen intrigante Mutter Crecsence ihren Wiener Startvorteil zugunsten einer penetranten Dauerlautstärke auf.

Bei aller Contenance ...

Zwei Lichtblicke sind Wolfgang Hübsch als der "Berühmte Mann" und Peter Uray als Diener. Gerettet jedoch wird die Aufführung vom Hauptdarsteller: Joseph Lorenz glaubt man zwar nicht, dass er erst auf die vierzig zugeht, aber sonst beinah alles. Jedenfalls seine Überzeugung, dass Reden per se "auf einer indezenten Selbstüberschätzung basiert". Wenn er, der Kriegsheimkehrer, bei aller Contenance mit den Fingern auf die Sessellehne trommelt, hört man Trommelwirbel und Trommelfeuer mit. Bei der großen Szene mit Helene Altenwyl (etwas zu defensiv: Eva Herzig) führt die Regie ihn freilich aufs Glatteis: Sie lässt den Mann, der eine Aussprache will, um Adieu zu sagen, und zum Schluss als Verlobter dasteht - weil die Frau, gar nicht comme il faut, die Sache in die Hand nimmt - bei der Erinnerung an ein existenzerschütterndes Schützengraben-Erlebnis mit charakterlich unmotivierter Fiebrigkeit schreien und die Liebenden einander über die Weite des Salons minutenlang in unvollendeter Bewegung die Hände entgegenstrecken. Die Umarmung besorgte dann das Premierenpublikum. (Daniela Strigl/ DER STANDARD, Printausgabe, 07./08.07.2007)