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Foto: Archiv Alexander-Verlag
Den deutschen Charles Bukowski haben sie ihn genannt. Den William S. Burroughs aus dem Reihenhaus. Weil er zeitweise soff und Drogen einwarf, als gäbe es kein Morgen. Und wenn es eines geben sollte, dann auch nur jenes, das den Mund mit einer Geschmacksmischung aus Altbaukeller, Aschenbecher und Fisch verheerte. "Wenn Literatur nicht bei denen bleibt, die unten sind, kann sie gleich als Party-Service anheuern", gab er einmal großmäulig zu Protokoll. Und meinte es doch ernst, während er aus den Branntwein-Buden und Stehausschanklokalen der deutschen Bahnhöfe und Scherbenviertel heraus in den 70er- und frühen 80er-Jahren in seinen Gedichten, Romanen und Erzählungen die Welt von unten besah. "Ich bin kein netter Mensch, sondern Schriftsteller, einer der Dunkelmänner also, die für die älteste Agentur der Welt arbeiten – die Agentur für Sprache und Zweifel."

Jörg Fauser, dessen 20. Todestag sich am 17. Juli jährt, war, wie man schon ahnt, kein großer Weltversteher, geschweige denn Welterklärer. Dafür – wir sprechen von wohlgesetzten Worten nach wohlreflektierten Gedanken – stand in diesem Literatenleben keine Zeit zur Verfügung. Sie war, neben der Gier nach dem so genannten richtigen, also besseren Leben, vor allem auch für den aus der Enttäuschung über das Leben geborenen Zorn reserviert. Den konnten dann alle Schnäpse und dünn machenden Drogen dieser Welt nicht wegmachen. Wie es in seinem 1981 erschienenen Roman Der Schneemann ( SZ Krimibibliothek Band 50 )heißt, in dem er das graue, bleierne Spießer-Deutschland in Zeiten der damaligen visionslosen Wohlstandssättigung und paranoiden Bürgerüberwachung nach der RAF-Hysterie nur unzulänglich als im Drogen-, Rotlicht- und Schickeriamilieu zwischen Malta, München und Frankfurt spielenden Kriminalroman tarnte: ",Für mich ist die Fiktion eine härtere Droge als alles, was man spritzen kann‘, sagte der Mann, der neben Blum saß. [...] ,Haben Sie schon gespritzt?‘, fragte Blum und nippte an seinem Whiskey. ,Ich meine das rein metaphorisch‘, sagte der Mann. ,Ihr Whiskey, die Sucht nach dem anderen Geschlecht, überhaupt alles, was uns Hoffnung macht, das zu werden, was wir sind – das sind die künstlichen Paradiese. Aber die Fiktionen, das sind die Gegenden, wo wir in der Gewißheit antreten, geschlagen zu werden von dem, was wir nie sein werden.‘ ,Ein interessanter Gedanke‘, sagte Blum und unterdrückte ein Gähnen."

Wenn man sich vor Augen führt, dass die deutsche Literatur nicht nur dieser Zeit geprägt war von oft ereignisloser, aber umso abgehobenerer Befindlichkeitsliteratur (Jörg Fauser wollte in diesem Zusammenhang interessanterweise ausgerechnet nur Peter Handke gelten lassen), dann erweist sich das seit 2005 im Alexander Verlag konsequent wiederveröffentlichte Gesamtwerk Jörg Fausers als singuläre Erscheinung in der deutschen Literaturlandschaft. Vielleicht noch neben dem des ebenfalls bei einem Verkehrsunfall tragisch und früh verunglückten Rolf Dieter Brinkmann versuchte hier einer, den schöngeistigen Freuden im Musenhain mit der gehetzten, knappen, derben und schmucklosen Sprache der Straße Konter zu geben. Wie Fauser einmal giftig über seine Schriftstellerkollegen anmerkt, von denen er geflissentlich ignoriert wird: "Meistens haben sie gar nichts erlebt, sondern sie haben halt die kleine Liebesgeschichte und den Kakadu in der Wohnküche."

Seine wahren Vorbilder, an die er dann aufgrund seiner gehetzten Lebensumstände und toxischen -zustände oft auch nur mit Mühe aufschließen kann, legt Fauser dabei immer offen – etwa in seinem zentralen, autobiografischen Roman aus 1984. In Rohstoff verhandelt Fauser nicht nur seine mehrjährige Vergangenheit als Junkie im damaligen Hippie- und Drogenparadies Istanbul, in einer Tour de Force durch das Deutschland der 70er-Jahre bekommt sowohl die selbstgefällige APO-Linke und die so genannte Alternativkultur und Hausbesetzerszene als auch das gesellschaftliche Establishment und die von ihm möglicherweise am meisten verachtete Kulturschickeria ordentlich ihr Fett weg. Jörg Fauser hatte zwar nur wenige Freunde, etwa Carl Weissner, den deutschen Übersetzer von Charles Bukowski, oder den deutschen "Krimipapst‘‘ und Herausgeber Martin Compart. Aber Fauser wollte sich auch keine Freunde machen. Obwohl das Geld für seine Sucht hinten und vorn nicht reicht, entdeckt er 1968 in Istanbul seine bevorzugte Waffe gegen die harten Zeiten und für die knapp werdende Zukunft: "Ich hob sie hoch. Das war noch ein Gehäuse, das für lange Jahre gebaut worden war. Wenn man das Ding einem auf den Kopf haute, war er hin. Eine Schreibmaschine war eine Waffe. Das durfte ich nie vergessen." Geschult an vom deutschen Literaturbetrieb damals nicht einmal verachteten angloamerikanischen Beat-, Krimi- und "Schund"-Autoren wie Charles Bukowski, Allen Ginsberg, Jack Kerouac, William S. Burroughs, Eric Ambler, Ross Thomas und natürlich Dashiel Hammett und Raymond Chandler schrieb er sich den Weltekel von der Seele "und hämmerte noch eine Seite in die alte Olympia Splendid, diese rohen, unbehauenen, düsteren Sätze, die lange nach meinem frühen Tod an einem tückischen Sumpffieber im deutschen Feuilleton Furore machen würden."

Weg von den harten Drogen, die ihn selbstabschätzig bis 1974 zur "männlichen Christiane F." werden ließen, begann sich Fauser als Lyriker zumindest in Undergroundkreisen einen Namen zu machen. Die Harry Gelb Story (1973) oder Trotzki, Goethe und das Glück (1979) handeln von Drogen, dem Kampf ums Überleben und der Suche nach dem schnellen Kick in falschen Glücksversprechungen. Sie wollen die Hinterhöfe des amerikanischen Traums auf deutsche Verhältnisse übertragen: "Messieurs / beim Bockbier schmeckt alles nach Blues / in diesen letzten schwülen Sommernächten / wenn die Städte ausgelaugt sind / und die Gewieften unter den Pennern / bei der Heilsarmee / den Wintermantel buchen / irgendwo Radiogedudel / Religion / oder Schlüpfer im Bidet / die Zigarre geht aus / Ginsberg würde jetzt loslegen / ich warte darauf daß es klingelt / und jemand mit mehr Bier / und anderen Gedanken kommt."

Wie man auch anhand der aktuellen Rezeption des nach seinem Unfalltod 1987 gut zehn Jahre vergessenen Jörg Fauser sieht, handelt es sich nicht nur bei den Gedichten oder Songtexten, die er bis zu seinem Tod für den gestandenen deutschen Rockmusiker Achim Reichel schrieb ( Blues In Blond, Nachtexpreß ... ) um reine Männerliteratur. Bezeichnenderweise wird sie deshalb jetzt auch in der Jörg-Fauser-Edition von harten Männern wie Feridun Zaimoglu, Benjamin von Stuckrad-Barre, Franz Dobler oder Helmut Krausser vollmundig gelobt: "Fauser hatte den Mythos. Er war der Champ." Auch Romane wie Der Schneemann , Das Schlangenmaul oder Kant . Ein Szene-Thriller und seine unter dem Titel Mann und Maus zusammengefassten Erzählungen verweisen zurück in eine betongraue Steinzeit, die noch von richtigen Kerlen bestimmt wurde und Frauen nur als Beiwerk duldete. Dennoch behalten wir vom Werk Jörg Fausers eindringliche literarische Beobachtungen aus dem Deutschland der beginnenden 80er-Jahre. Auf verlorenem Posten im Kampf um sein Glück schrieb hier einer an einem Stück literarischer Gegenwirklichkeit zwischen Paranoia, Drogen, Geschäftemacherei und den Grauzonen und Abfallhalden der Gesellschaft: "Die einzige Welt, die ich kenne." (Christian Schachinger/ ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 07./08.07.2007)