Editors: "An End Has A Start" (Kitchenware/Edel)

Foto: Kitchenware/Edel

Interpol: "Our love To Admire" (Capitol/EMI)

Foto: Capitol/EMI

"The saddest thing that I'd ever seen was smokers outside the hospital doors." Nicht nur wegen ihrer aktuellen Single, Smokers Outside The Hospital Doors, werden die jungen britischen Editors und die wohlig traurigen Lieder ihres neuen Albums An End Has A Start als Soundtrack demnächst Einzug in genug amerikanische Krankenhausserien halten, um damit im Alter dem etwas unterversorgten britischen Gesundheitssystem finanziell Paroli bieten zu können. Neben Tod und Vergänglichkeit und der Zigarette vor der Notaufnahme, bietet das Album thematisch laut der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auch ideale Songs für Abschiede und letzte Küsse im Arztzimmer. Immerhin handelt der zweite thematische Strang dieser zehn neuen Stücke neben Krankheit und Tod auch von der Liebe, der Freundschaft, Familie und Vergebung. Im Angesicht des Todes. "Keep a light on those you love. They will leave here when you die", heißt es im Titelsong. Wenn das nicht erfolgreich um die Aufnahme in Grey's Anatomy fleht, weiß ich auch nicht...

Auch Interpol, das etwas zynischere und deshalb bei der Aufmerksamkeitselite des internationalen Alternative-Mainstream-Publikums wie auch deren medialer Begleitung etwas beliebtere New Yorker Gegenstück zu den Editors, beschäftigt sich inhaltlich gern mit den letzten, also wichtigsten Dingen. Interpol verklausulieren ihre grimmigen, düsteren Texte allerdings im Gegensatz zu ihren britischen Brüdern im Geiste gern mit der Beschwörung von Freud und Leid der Unterhaltungschemie. Sie schützen sich also vor allzu großen Plattitüden im Zusammenhang mit Arzt oder Apotheker gerne mit dem Warenangebot ihres Hausdealers und verhandeln vom Krankenbett des kalten Truthahns aus lieber Absichtserklärungen, Gevatter Hein dann doch noch von der Schippe zu springen. Immerhin wählt man sich im Falle von Interpol das Lebensbedrohende dann doch lieber freiwillig und möchte dann dementsprechend gern auch wieder selbst die Notbremse ziehen. Man höre auf dem neuen Album Our Love To Admire den Song Rest My Chemistry.

Trotz all der im Pop spätestens mit Echo & The Bunnymen und vor allem Joy Division Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre erfolgten Kanonisierung eines zur hohen Kunst gedeuteten, gerade auch existenziell gelesenen Schmerzes und Siechtums, erweist sich diese kommerziell speziell im Falle der Editors höchst aussichtsreiche Neubelebung des Gothic-Rock für junge Anzugträger nicht nur anhand dieser beiden neu in den Regalen stehenden Produkte als bemerkenswert.

Immerhin scheinen sich nach all den fröhlich-zickig hastenden New-Wave-Wiederbelebungen im Alternative-Sektor, wie sie uns zuletzt von Franz Ferdinand oder Maximo Park auch vom Soundbild her beschert wurden, gegenwärtig wieder die getrageneren Töne und Themen durchzusetzen. Dabei fällt vor allem auf, dass mit früheren Schülern und Verkitschern des mild gelesenen Gothic Sound hin zum pathetisch über Gebühr aufgeladenen Befindlichkeits-Pop von U2 und Kopisten wie Radiohead, bevor sie Laptop-Dancing betrieben, Coldplay und aktuell auch Snow Patrol diese längst etablierte Wettkampfdisziplin um die Gunst des Publikums gegenwärtig einfach wieder von einer jüngeren Musikergeneration zum Trendsport ausgerufen wird.

Schlicht und einfach mag es daran liegen, dass die Destillate großer Gefühle, kurz, die verschwommene Gefühligkeit, leichter, effektvoller und effektiver zu produzieren sind als sonst nur was. Mit schrill und flirrend den Hallraum durchschneidenden Gitarrenmelodien, wummernden Bässen, einem Schlagzeug, das nach schwerem Sommergewitter klingt und einem tragödisch ans Ende aller Tage verweisenden, oft am künstlich inszenierten Leid knapp erstickenden agonischen Bariton wird ein zentrales Grundbedürfnis des Publikums befriedigt. Musik muss in einem Spannungsverhältnis zwischen Melancholie, Vergeblichkeit und Katharsis schlicht und einfach - und am Besten in moll-Akkorden dementsprechend schlicht gehalten - eher Trost als Rat spenden. Das ist der Kern, um den sich die Lieder von den beim oberflächlichen Hören durchaus miteinander verwechselbaren Editors und Interpol drehen.

Das ist nicht neu, das ist nicht alt. In seinem vor allem auch um Musik und ihre Wirkung kreisenden Roman Melodien brachte es der deutsche Autor Helmut Krausser Anfang der 90er-Jahre auf den Punkt: "Die Zeit ist alt und abgetragen und stinkt. Denkt man die Zeit beidseitig unendlich, heißt die Gegenwart immer Mittelalter." Frühes Mittelalter (Joy Division, Echo & The Bunnymen....) auf Englisch: "dark ages". Dunkle Kunst lange vor der Zeit der Aufklärung. Und: "Castiglio hasste es, Kontinente zu entdecken, über die er nicht genau Bescheid wusste."

Das ist der Stand der Dinge. Warum auch neue Ufer suchen, wenn man an den alten so prächtig mit dem Leben hadern kann? (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.7.2007)