Wien – Verkehrslärm, grölende Jugendliche oder Straßenmusiker: Die Geräusche der Großstadt sind allgegenwärtig und ihre Wahrnehmung als akustische Bedrohung ist regelmäßig Gegenstand heftiger Debatten. Aber auch vor dem unaufhörlichen Wachstum des Verkehrsaufkommens seit der Motorisierung war das urbane Leben durch eine entsprechende Geräuschkulisse geprägt. Um 1900 waren es eben das Wagengerassel und das (noch nicht verbotene) Hupen, das schrille Heulen der elektrischen Straßenbahn, welche die Pferdetramway abgelöst hatte oder das Geschrei der Straßenhändler und der Fiaker, das den Menschen auf den Hörnerv ging.
Veränderung des Alltags
Die Veränderung des Alltags des "Großstadtmenschen", nicht nur in akustischer, sondern auch in olfaktorischer und visueller Hinsicht – das ist das Feld, das der Stadtforscher Peter Payer in seinen "kulturhistorischen Streifzügen" abgrast und beackert.
Duftkaleidoskop
In seinem aktuellen Buch "Blick auf Wien" spürt Payer etwa den Gerüchen der Stadt nach, deren üblere Sorte nach und nach durch öffentliche Bedürfnisanstalten, regelmäßige Müllabfuhr und Coloniakübel eingedämmt wurde. Aber auch heute noch sind manche Gegenden mit einem spezifischen Odeur verbunden: Man denke nur an das Duftkaleidoskop der Märkte, den süßlichen Malzgeruch der Ottakringer Brauerei, den herben Schokoladeduft der Manner-Fabrik in Hernals oder den Teiggeruch der Anker-Fabrik in Simmering
Was macht die Stadt mit dem Menschen?
"Die Vorstadt klingt und riecht anders", erklärt Payer seine Leidenschaft für die weniger bekannten Facetten der Bundeshauptstadt. Deswegen widmet er sich auch der Unterwelt des Kanalsystems, der "Respektsperson Hausmeister" sowie ausgestorbenen Berufen wie dem des fahrenden Handwerkers, des Schaustellers oder des öffentlich darbenden Hungerkünstlers. "Mir geht es um die Wechselwirkung von Stadt und Mensch, also was macht die Stadt mit den Menschen und umgekehrt", beschreibt Payer, der seit Kurzem den Bereich "Alltag und Umwelt" im Technischen Museum leitet.
Reizüberflutung ist nicht neu
"Der Diskurs über die Reizüberflutung hat schon im 19. Jahrhundert stattgefunden", erläutert Payer. "Da gab es Aufregung beim Wechsel von den Gaslampen zur elektrischen Beleuchtung oder über das polternde Pflaster. Dann kam die Asphaltierung – und schon schaut die Stadt anders aus."
Stadtmobiliar
So unterscheidet sich die Kritik an den "Rolling Boards" genannten Werbeträgern nicht wesentlich vom Unmut über die Einführung der Litfaßsäulen. Stadtgestaltung und Stadtmobiliar, wie verschiedene Generationen von Abfalleimern und öffentlichen WC-Anlagen, haben die sinnliche Wahrnehmung des urbanen Raumes verändert: Schließlich ist die Zeit, in der die Straßen noch unbefestigt waren und es nichts sonderlich Anstößiges war, sie als Toilette und Abfallsammelstelle zu benutzen, vorbei.
Geruch von 1900
Mancherorts könne man jedoch nachvollziehen, wie die Stadt um 1900 gerochen oder geklungen haben muss, weiß Payer, der Wien am liebsten zu Fuß erkundet: "In Nischen nahe eines Fiakerstandplatzes sammeln sich die Kutschengeräusche und Gerüche, so wie es früher gewesen sein muss."
Exkursionen der Sinne