Bild nicht mehr verfügbar.

Gustav Kuhn zu Staatsopernchef Dominique Meyer: "Hätte nicht gedacht, dass man Holender noch toppen kann."

Foto: APA/EPA / Esteban Cobo
Ein Gespräch mit Festivalgründer und Dirigent Gustav Kuhn.


Erl - Skurrile Erfahrungen bereitet einem der Betrieb: "Da mache ich also in San Francisco Wagners Götterdämmerung, und knapp vor dem Schluss, es wären noch genau 30 Sekunden zu spielen gewesen, steht das Orchester auf und sagt ,Danke'. Unfassbar!" Das ist länger her, ist ein Bericht aus jener fernen Zeit, als der Salzburger Gustav Kuhn "noch berühmt war", als er das auch von Mentor Herbert von Karajan angeschubste volle Karriereprogramm durchzog.

Wenn man ihn so durch Erl auf seiner Honda zur Probe flitzen sieht, will man es nicht glauben: Der Mann mit dem zerzausten Haar und dem sympathische Spuren hinterlassenden Hang zur hedonistischen Lebensauffassung war in den 80ern Teil des Betriebes, dirigierte global fast alle großen Orchester. Irgendwann muss ihn jedoch das Gefühl überkommen haben, keine Gestaltungsfreiheit mehr zu haben. Und als er auch den von der mächtigen Agentur Wilford für ihn eingefädelten Job an der Oper von Chicago nicht antreten wollte und in Europa blieb, begann das Musikbusiness die kalte Schulter zu zeigen.

Die Energie, beim 62-Jährigen nach wie vor reichlich vorhanden, musste natürlich irgendwo hin. Ein Teil wurde zwischendurch ins Segeln investiert - Kuhn kann vom Staatsmeistertitel (1994) und vom Europameistertitel (1995) berichten, von Dirigaten während der Anfangsphase der Salzburg-Ära Gerard Mortiers.

Vor zehn Jahren allerdings tat sich die Möglichkeit auf, Energie in die Schaffung eines "Betriebes" zu stecken, der zwar mächtig viel Arbeit bedeutete, aber Kuhn die Chance bot, eine Festivalwelt zu erschaffen, in der Zeit keine wirkliche Rolle mehr spielte. Klar. Zunächst hat man in Erl einfach ein Werk gesucht, "das großes Orchester, aber keinen Chor forderte", so Kuhn. Man fand Rheingold und man wurde selbst, auch wenn es nicht geplant war, nach und nach von Wagner-Fans gefunden.

Mittlerweile ist Erl eine echte Richard-Adresse - mit spektakulären Ideen, die gut zu vermarkten sind und auch gut zu Kuhn passen, der alles ist, nur nicht bescheidener Mainstream. Da gab es ja den ganzen Ring in 24 Stunden. Und heuer wird kurzerhand alles bis dato Inszenierte gezeigt, um die Genese des wagnerischen Opernschaffens chronologisch darzustellen.

Wenig Geld

Viel kann Kuhn den Künstlern nicht zahlen. Den einen oder anderen hat er auch an Bayreuth und Wien verloren. Er selbst geht mit gagenlosem Beispiel voran. "Und so wird das wohl auch in den nächsten Jahren bleiben. Aber wir haben hier die Möglichkeit, das Orchester acht Wochen zusammen zu haben und ausgiebig zu proben. Ich habe da so meine Theorie: Da sitzt bei den Berlinern einer am vierten Pult, der ein Sensationsgeiger ist, einer, der Solist werden wollte, es aber aus welchen Gründen auch immer nicht geschafft hat. Der gibt nur 40 Prozent. Ich habe einen Geiger, der nicht so gut ist, der aber immer Vivaldi und Verdi spielt und hier die Chance auf ein neues Repertoire hat."

Klar: "Wäre ich selbst Geschäftsmann, hätte ich die Festspiele nie gemacht", so Kuhn. Besondere kommerzielle Erwägungen hätten auch keinen Sinn. "Die Festspiele funktionieren nur über die Idee. Die versucht man dann zu finanzieren - und es haut hin. Wenn kommerzielle Interessen hinzukommen, haut es nicht hin!" Ganz negieren kann man sie indes nicht. Wagner zu spielen ist etwas, das der von Mozart und Bach herkommende zwar gerne tut. "Wir sind aber hier keine Wagner-Wahnsinnigen. In dessen Geburtstagsjahr 2013 mache ich sicher keinen Wagner. Dennoch müssen wir ihn machen. Das erwartet man."

Col legno

Nun sorgt man auch für die CD-mäßige Verbreitung: Kuhn ist Miteigentümer des renommierten Labels col legno geworden, das nun neu durchstartet und auch von allen Erl-Opern Mitschnitte veröffentlichen wird. Kuhn: "Wir wollen auch überraschende Musik dokumentieren, und vor allem das, was einen sinnlichen Bezug hat. Töne müssen einen sinnlichen Bezug haben!"

Irgendwann soll es auch eine Wintersaison in Erl geben - und zu diesem Zweck wird ein "Winterhäuschen" gebaut werden. Das Passionsspielhaus ist ja vieles, aber leider nicht beheizbar. Errichtet wird es von der Strabag, deren Chef Hans Peter Haselsteiner Präsident der Festspiele ist und zum Erl-Budget (rund 50 Prozent Eigendeckung, Subventionen vom Bund: 370.000, vom Land: 450.000 Euro) Sponsorgelder zuschießt.

Ein neues Betätigungsfeld für Kuhn also, der mit dem normalen Betrieb nicht mehr viel am Hut hat. Zur Wahl von Dominique Meyer als Staatsopernchef befragt, ist ihm nicht mehr als ein vieldeutiges Statement zu entlocken: "Ich hätte nicht gedacht, dass man Holender noch toppen kann ..." (Ljubisa Tosic/ DER STANDARD, Printausgabe, 4.7.2007)