Tiere wenden bestimmte Strategien an, um möglichst viele Gene an die nächste Generation weiterzugeben. Dabei treffen sie "quasi rationale" Entscheidungen, sagt der Biologe Klaus Hackländer. Mit ihm sprach Susanne Strnadl.


Standard: Offenbar sind sogar so kleine Nager wie die Ziesel imstande, sehr flexibel auf Umweltverhältnisse zu reagieren. Wie kommt das?
Hackländer: Tiere fahren bestimmte Strategien, die ihre Fitness optimieren, also ihnen erlauben, möglichst viele ihrer Gene an die nächste Generation weiterzugeben. Die wichtigste Entscheidung liegt dabei zwischen Wachstum und Fortpflanzung. Wann immer es irgendwie geht, versuchen Tiere sich fortzupflanzen. Sehr viele Arten sind dabei aber viel flexibler als lange Zeit angenommen. Sie können sich je nach Umweltbedingungen für sofortige Fortpflanzung und kein oder nur geringes Wachstum oder für starkes Wachstum und spätere Fortpflanzung entscheiden.

Standard: Inwieweit kann man bei Tieren überhaupt von Entscheidungen sprechen?
Hackländer: Es handelt sich nicht um bewusste Entscheidungen, es sieht aber so aus. Seit den 1970er-Jahren werden Verhaltensweisen auf optimale Entscheidungsprozesse analysiert, wie wir sie aus der Wirtschaft kennen, und was Tiere hier zeigen, nennt man quasi-rational, d. h. wenn wir Optimalitätsüberlegungen anstellen, würden wir genau das erwarten, was die Tiere auch wirklich tun. Eine Kohlmeise z. B. hat je nach Nahrungsangebot eine optimale Anzahl von Eiern – d. h. so viele wie möglich, aber ohne sich dabei so zu verausgaben, dass sie stirbt oder die Jungen nicht großziehen kann.

Standard: Wie kommen solche Entscheidungen zustande?
Hackländer: Es handelt sich dabei um Entscheidungen, die nicht das Individuum trifft, sondern die die Evolution für das Individuum getroffen hat: Nur Individuen, die ihre Ressourcen optimal nutzen, um ihre Fitness zu maximieren, sind überhaupt noch hier. Nicht-optimale Strategien schlagen sich in weniger Nachkommenschaft nieder und werden daher bald nicht mehr weitergegeben. Die Strategien sind genetisch festgelegt, aber sie können innerhalb einer Art je nach Umweltbedingungen sehr plastisch sein: In Großbritannien etwa, wo es viel Nahrung gibt, haben Dachs-Männchen mehrere Weibchen. In Italien, wo Futter knapp ist, muss das Männchen mithelfen, wenn seine wenigen Jungen überleben sollen – dort ist der Dachs monogam.

Standard: Könnte diese Plastizität die negativen Folgen des Klimawandels mildern? Hackländer: Prinzipiell ja, weil viele Arten in der Lage sind, sehr schnell auf veränderte Umweltbedingungen zu reagieren, sofern sie die Möglichkeit haben, manchen Dingen durch Wanderungen auszuweichen. Probleme gibt es aber, wenn der Lebensraum verloren geht – z. B. für alpine Tiere durch ein Aufwärtswandern der Baumgrenze – und weil diese Plastizität nur dort gegeben ist, wo eine entsprechende genetische Vielfalt vorhanden ist, und die ist bei vielen Arten nicht mehr gegeben, weil viele Populationen isoliert sind und kein genetischer Austausch mehr stattfindet. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 4.7. 2007)