Nordwijk – Nach vielen Verzögerungen können die europäischen Raumfahrtnationen die Internationale Raumstation ISS bald aus eigener Kraft erreichen. Ab 2008 soll ein vom Raumfahrtunternehmen EADS Astrium gebauter automatischer unbemannter Weltraumtransporter den Außenpostens im All versorgen. Nach letzten Tests in den Niederlanden tritt das laut EADFS bisher komplexeste Raumfahrzeug aus europäischer Fertigung die Reise zur Startrampe in Französisch-Guayana an. "Jules Verne" heißt der Prototyp nach einem der ersten Science-Fiction-Autoren. Techniker sprechen vom "Automated Transfer Vehicle" (ATV).

Gebaut für dreimal so hohe Lasten

Die tonnenförmige Konstruktion von der Größe eines Doppeldeckerbusses besteht aus Ladekapsel, Antrieben und einem Gehirn aus mehreren Computern sowie hunderten Kilometern Kabeln. Das ATV kann drei Mal so viel Treibstoff, Wasser, Lebensmittel oder sonstige Ladung aufnehmen wie die russischen Progress-Versorgungsfähren, die bisher die ISS versorgen. "Zudem soll das Gefährt die stetig absackende ISS zurück in ihre Umlaufbahn schieben", sagt der ESA-Chef für bemannte Raumfahrt, Daniel Sacotte. Andernfalls würde die Station über kurz oder lang vom Himmel fallen. Am Ende wird der Transporter voll Abfall geladen und verglüht beim Wiedereintritt in die Atmosphäre.

Ins All gelangt das ATV nicht aus eigener Kraft, sondern mit Hilfe einer Ariane-Rakete. Nach dem Aussetzen bringen 32 eigene Triebwerke den Transporter in die Nähe der ISS und legt dort am russischen Teil der Station an.

Wegfall der Astronauten

Die Besatzung und die Bodenstationen können das Rendezvous nur stoppen, nicht steuern. Der doppelte Nutzen: Astronautenzeit im All kostet laut Experten ein Vermögen. Die Besatzung soll sich darum auf Wissenschaft konzentrieren und nicht auf Einparkmanöver. Außerdem soll menschliches Versagen bei Handsteuerung ausgeschaltet werden.

Nach dem Raumlabor "Columbus" ist der Transporter der zweite wesentliche europäische Beitrag zur ISS. "Damit begleichen die Europäer ihre Schulden vor allem bei der NASA für Betrieb und Aufbau der Station", so Sacotte. Schon seit Juli 2004 wurde das fertige Gefährt im ESA-Testzentrum Estec im niederländischen Nordwijk auf Herz und Nieren getestet. Wie verträgt es die Schallwellen durch Startlärm und extreme Temperaturschwankungen? Wie sicher ist die Elektronik vor Störungen?

Erste Mission 2008

Eigentlich sollte ATV 2005 starten. Technische Probleme wie Fehler der Steuerung sorgten für Verzögerungen. Gelegentlich passten Schrauben nicht. "Da gibt es nichts, was es nicht gibt", sagt EADS-Ingenieur Stefan Koschade, der die Integration aller Einzelteile und die Funktionstests verantwortet. Das Gefährt bleibt Monate mit der ISS verbunden. Damit wird es Teil der Station und muss den strengen Auflagen für die bemannte Raumfahrt genügen.

Am Wochenende hat Koschades Team mit dem Zusammenpacken begonnen. Mitte kommender Woche wird der Transporter von Rotterdam aus über das Meer nach Französisch-Guyana gebracht. Nach letzten Stand soll "Jules Verne" im Jänner 2008 zur ISS starten.

Ersatz

Inklusive Bodenüberwachung liegen die Entwicklungskosten bei 1,3 Milliarden Euro, sagt Sacotte. ESA und EADS knüpfen viele Hoffnungen an das Gelingen der Mission. Vier weitere Raumtransporter will die ESA zunächst ordern und im Abstand von gut einem Jahr starten. Doch hoffen die Europäer auf ein langes Leben der Raumstation. Die USA wollen 2010 ihre Shuttles außer Dienst stellen, und das neue US-System dürfte nicht vor 2015 voll einsatzbereit sein. Möglicherweise könnte der ATV einspringen.

Ein weiterentwickelter Transporter könnte einmal Lasten von der ISS zurück zur Erde bringen oder auch bei der europäischen Mars-Mission eingesetzt werden. Gemeinsam mit russischen Kollegen laufen außerdem bereits Vorstudien für ein bemanntes System, das auf ATV-Technologie zurückgreift und mit dem die Europäer erstmals selbst Astronauten ins All befördern könnten. (APA)