Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war am Donnerstag. Da stand ich plötzlich vor M. Und vermutlich haben wir beide gleich belämmert dreingeschaut. Denn die Beziehung zwischen M. und mir ist ein einziges Missverständnis. Und dass ich M. dann in der Türkei über den Weg laufen würde, war zwar angekündigt gewesen – aber in seiner Plötzlichkeit doch überraschend. Und prompt standen M. und ich wieder auf dem falschen Fuß.

Wir waren beide dienstlich dort. M. machte bei der Massen-Maturareise im All-Inclusive-Ferienclub so was wie den TV-Spaßmacher. Ich schrieb über die Reise. Und dass wir uns da zwischen 2000 überdrehten Maturanten über den Weg laufen würden, war eigentlich klar. Noch dazu, wo M. in Österreich immer noch so was wie ein Promi ist – und die zu beachten irgendwie doch auch zu meinem Job gehört.

MiA

M. ist nämlich Schauspieler. Derzeit – genauer gesagt: bis vor ein paar Tagen – spielte er eine der Schlüsselrollen in „Mitten im Achten“. Außerdem wohnt er ums Eck von mir. Das bedeutet, dass wir uns etwa zweimal die Woche auf der Straße treffen. Oder im Fitnesscenter. Und weil ich M. eigentlich mag, vermeide ich es, mit ihm über seine Arbeit zu reden. Und solange er (ja eh: seine Freundin) schwanger war, war das auch ganz leicht. Auch als das Baby da war: M. war selig & stolz – und ich mogelte mich über das „was tust du grad?“ mit Babyfragen drüber. Nicht aus Verlegenheit: Sowas ist einfach wichtiger.

Deshalb hat M. vielleicht ja auch ausgeblendet, wie es war, als wir das erste Mal aufeinander trafen. Damals war er Kandidat in der ersten, ganz und gar spontanen und bestimmt nicht von außen oder irgendwelchen Regieanweisungen gesteuerten ORF-Rauswählstaffel von „Taxi Orange“. Und weil wir im STANDARD da eine Reportage drüber machen wollten, bestellte ich so eine Droschke. Nicht als Journalist, sondern einfach auf meinen Namen.

„Eh abgesprochen?“

Zufällig war M. mein Fahrer. Und als ich mit meinem Fotografen einstieg und ihm sagte, „fahr einfach los, dürfen wir Fotos machen? Ich mach eine Reportage übers Taxi-Orange-Fahren“ war sein erstes Sätzchen gleich der Clou der Geschichte: „Ist das eh mit der Redaktion abgesprochen? Die haben mir nämlich vorher nix davon gesagt.“

M. hat dann gewonnen. Auch, weil er beim Fahren ein schlaues Konzept hatte: „Stört es euch, wenn ich kleine Seitengassen, mit offenem Fenster und langsam fahre? Dann sehen mich mehr Leute und das erhöht meine Chancen.“ Angeblich, erzählten mir später Menschen die M. besser kennen, war er erstaunt, das dann in der Zeitung zu lesen: Derlei verstoße schließlich gegen den „Wir-sind-alle-leiwand-und-tun-einander-nix“-Paragraphen in Promiland.

Stirb langsam

Aber zurück in die Türkei: Da stand M. dann also plötzlich vor mir – und sollte irgendeine Szene aus „Die Hard 4.0“ nachspielen. Halt nicht mit Pistole, sondern mit Banane. Zuerst im Hauptrestaurant, danach im Poolbereich. Der Plot klang wirklich nett und saukomisch. Aber M. verweigerte. Zuerst Fotos für mich, dann die Szene als ganze. Offiziell, „weil mir zu heiß ist“. Tatsächlich: „Weil ich nix mache, was in diese Zeitung kommt.“ Wieso? „Weil ihr ‚Mitten im Achten’ umgebracht habt.“

Ich bedankte mich: Wenn M. den STANDARD für so mächtig halte, sei das schließlich ein Kompliment. Aber de facto sei das wohl nicht so. Schließlich habe kaum jemand über MiA ein einziges positives Wort geschrieben. M. schnaubte: „Ihr alle gemeinsam habt uns tot geschrieben. MiA war gar nicht so schlecht, wie alle Zeitungen behauptet haben. Aber ihr habt uns keine Chance gelassen.“ M., sah ich, war nicht nur sauer, sondern echt beleidigt. Im Herzen getroffen. Drum verkniff ich mir die Frage, ob es nicht eventuell auch am Produkt liegen könne, wenn sich alle Rezensenten einig sind – und ging baden.

Sommerpause

Am Pool nahm mich einer der Maturanten zu Seite: M. sei doch im Grund ein lieber und lustiger Kerl. Seine Slapstickszenen wären echt fett. „Aber das mit MiA kriegt er nicht gebacken: Er hat uns tatsächlich gesagt, dass die Sendung nur Sommerpause mache – ich glaube, der glaubt das selbst.“ Ich nickte – und stellte die Gegenfrage: Ob die Serie vielleicht wirklich nur alten Säcken wie mir nichts gesagt habe – und die Kids das in Wirklichkeit cool gefunden hätten? Der Maturant brach fast nieder, holte seine Freunde und die lachten mich dann gemeinsam aus: „Wir waren voll fassungslos, dass jemand so was sendet – das war nur peinlich. Und sonst nix“

Dann fragte mich einer der Knaben, wo & wann MiA bei mir die höchsten Peinlichkeitswerte eingefahren hätte. Ich musste passen: Ich habe „Mitten im Achten“ kein einziges Mal gesehen. Auch, weil ich M. – sollte er mich doch fragen, was ich von seiner Arbeit hielte – nicht belügen wollte. Aber vermutlich ist das mittlerweile egal. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 2. Juli 2007)