Karin Eger (40) ist seit Februar dieses Jahres Leiterin der Abteilung "Gesundheitspolitik und Prävention" bei der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK). Sie leitet außerdem das Pilot-Competence Center "Integrierte Versorgung" der österreichischen Sozialversicherung. Von 2005 bis 2007 war die Betriebswirtin Abteilungsleiter-Stellvertreterin der Abteilung Vertragspartnerbeziehungen bei der WGKK. Karin Eger lebt in Niederösterreich.

Foto: Standard/christian fischer fotografie

Eva Maria Luger (49) ist Geschäftsführerin des Dachverbandes Wiener Sozialeinrichtungen, in dem derzeit Konzepte zu Entlassungsmanagement entwickelt werden. Sie ist Betriebswirtin, hat zu Beginn ihrer Karriere bei der Austria Tabak in Wien gearbeitet. Später war sie unter anderem Generalsekretärin beim gemeinnützigen Wiener Bauträger Sozialbau und Geschäftsführerin des Betreuungs- und Pflegeanbieters Sozial Global. Sie lebt in Wien.

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Entlassungsmanagement ist eine Schlüsselkompetenz, sagen Karin Eger von der Wiener Gebietskrankenkasse und Eva Maria Luger von den Wiener Sozialeinrichtungen und erklären Sabina Auckenthaler, wie das funktionieren könnte.

STANDARD: Die Wiener Gebietskrankenkasse lud Mitte Juni zu einer Tagung zum Thema Entlassungsmanagement. Warum das Thema?

Eger: An der Tagung nahmen zu unserer Überraschung rund 200 Personen aus ganz Österreich teil. Allein dieses Interesse zeigt, dass hier ein wirklich großer Bedarf besteht. Aufgrund der demografischen Entwicklung werden immer mehr alte Patienten häufig mit einem hohen Pflegebedarf aus den Krankenhäusern entlassen. Viele dieser Menschen leiden an chronischen Erkrankungen, viele sind multimorbid. Dadurch wird die Nachversorgung komplizierter. Diese Tendenz wird sich verstärken. Es ist notwendig, jetzt Maßnahmen zu setzen.

Luger: Etwa sechs bis zwölf Prozent der Spitalsentlassenen brauchen eine Nachbetreuung. Das heißt, in größeren Krankenhäusern muss man sich bereits heute täglich mit diesem Problem auseinandersetzen. Eine große Herausforderung für die Nachbetreuung brachte die drastische Verkürzung der stationären Aufenthalte mit sich, die unter anderem mit der Einführung der leistungsorientierten Krankenhausfinanzierung (LKF) in Österreich vor zehn Jahren zusammenhängt. Zudem bedeutet auch die gesundheitspolitische Forderung "ambulant vor stationär", wie sie noch einmal verstärkt seit der Pflegediskussion im vergangenen Sommer zu hören ist, dass der Übergang von der Klinik in die ambulante Pflege punktgenau funktionieren muss. Sonst besteht die Gefahr, dass Patienten schon kurz nach der Entlassung wieder ins Spital aufgenommen werden müssen.

STANDARD: Wo gibt es derzeit bei der Entlassung Schwachstellen?

Luger: Es findet zwar eine Kommunikation zwischen Ärzten, Pflegepersonal und den nachbetreuenden Organisationen statt, diese funktioniert aber nicht immer optimal. Zum Beispiel erfahren die Betreuungsorganisationen oft erst von der Spitalsentlassung eines Klienten, wenn er bereits zu Hause ist. Es kommt auch vor, dass eine Heimhelferin häufig in der Klinik anruft, weil sie wissen möchte, wann ihr Klient nun nach Hause entlassen wird.

Eger: Derzeit kümmern sich meist Ärzte und das Pflegepersonal nebenbei darum, dass ein Patient nach dem Spitalsaufenthalt betreut wird. Diese Zeit fehlt dann natürlich für ihre eigentlichen Aufgaben.

STANDARD: Wie sollte also ein gutes Entlassungsmanagement aussehen?

Eger: Das Ziel muss sein, alle Ressourcen effektiv einzusetzen: Das medizinische Personal muss sich auf die medizinische Betreuung konzentrieren können, den Übergang von der Klinik in die ambulante Pflege und die Nachbetreuung sollte ein eigener Entlassungsmanager organisieren. Er sorgt idealerweise für den raschen Informationsfluss zwischen Krankenhaus, niedergelassenem Arzt und ambulanter Pflegeeinrichtung und dafür, dass Patient und Angehörige über das weitere Vorgehen Bescheid wissen.

Luger: Ein Entlassungsmanager ist dafür verantwortlich, dass der Patient zu Hause einen guten Start hat. Er muss dabei auch scheinbar banale Dinge organisieren, etwa dass etwas zum Essen im Kühlschrank ist, dass jemand die verschriebenen Medikamente besorgt oder dass das Bett frisch bezogen ist. Er tut dies nicht selbst, sondern weiß, wen er damit beauftragen kann.

STANDARD: Zu welchem Zeitpunkt setzt das Entlassungsmanagement idealerweise ein?

Luger: Schon bei der Aufnahme. Es werden zwar auch jetzt schon die Lebensumstände mit der Anamnese abgefragt, aber nicht gezielt auf das Entlassungsmanagement hin. Diese Angaben sind wichtige Hinweise, müssen aber im Laufe eines Spitalsaufenthaltes "aktualisiert" werden. Die Befähigung der Selbstversorgung kann sich während eines Spitalsaufenthaltes aufgrund des Krankheitsverlaufes ändern, vielleicht fährt die Nachbarin, die der alten Frau sonst immer die Einkäufe erledigt, zum Entlassungszeitpunkt auch gerade auf Urlaub. Es gilt hier, besonders aufmerksam zu sein.

STANDARD: Wer profitiert von einem Entlassungsmanagement?

Eger: Ein gutes Entlassungsmanagement bedeutet eine Win-Win-Situation: Für die Krankenanstalten bedeutet es niedrige Wiederaufnahmequoten, die niedergelassenen Ärzte können schneller und gezielter nachbehandeln, für die nachbetreuenden Organisationen vereinfacht sich die Personalplanung. Damit die Zusammenarbeit auch wirklich funktioniert, legen wir bei unserem Wiener Pilotprojekt im Hanuschkrankenhaus, im Wilhelminenspital und in der Krankenanstalt zum Göttlichen Heiland großen Wert darauf, dass alle Akteure in die Erarbeitung eines Entlassungsmanagementkonzeptes einbezogen sind.

Luger: Ich möchte ergänzen, dass es bereits jetzt in zahlreichen weiteren Häusern gute Ansätze gibt, die von qualifizierten Kräften wie Sozialarbeitern oder Diplompersonal getragen werden.

STANDARD: Und wo genau liegt der Vorteil für die WGKK bzw. die Wiener Krankenversicherung, die dieses Projekt gemeinsam mit der Stadt Wien finanziert?

Eger: Einen direkten finanziellen Nutzen haben die Krankenkassen derzeit nicht. Wenn aber der Einsatz der heute zur Verfügung stehenden Gelder optimiert werden kann, haben wir auch als Sozialversicherung viel gewonnen. Und ein besser betreuter Patient bedeutet schließlich einen zufriedeneren Kunden für uns. Es ist heute auch nicht die einzige Aufgabe einer Krankenversicherung, die reine Krankenbehandlung zu ermöglichen. Vielmehr haben wir mit dafür sorgen, dass alle Prozesse im Gesundheitswesen stimmen. Das Stichwort lautet hier "integrierte Versorgung". Das bedeutet, dass uns alle Bereiche von der Prävention über die Rehabilitation bis zur Nachbetreuung und Pflege etwas angehen müssen.

STANDARD: Welche Kompetenzen muss ein Entlassungsmanager mitbringen?

Eger: Er muss einerseits das Gesundheitssystem und das Spitalswesen sehr gut kennen. Neben dem fachlichen Know- how braucht er hohe soziale Kompetenzen: Er muss in der Lage sein, den Patienten Ängste und Sorgen zu nehmen und ihre konkreten praktischen Probleme in Bezug auf die Zeit nach dem Spital zu erfassen. Anderseits muss er gut zwischen den vielen Akteuren vermitteln können.

STANDARD: Wie sieht es mit der Ausbildung zu diesem Beruf in Österreich aus?

Luger: Einheitliche Ausbildung wird es in nächster Zeit wohl keine in Österreich geben. Aufgrund des starken Föderalismus sind aber auch die Ansätze zu einem Entlassungsmanagement, die es in den Bundesländern gibt, sehr unterschiedlich. In Wien wird es ab Herbst einen berufsbegleitenden Lehrgang geben, das Curriculum wurde im Zuge des Reformpoolprojektes PIK (Patientenorientierte integrierte Krankenversorgung) ermittelt. In Oberösterreich bildet man bereits Pflegepersonen zu Entlassungsmanagern aus, in der Steiermark will man einen etwas anderen Weg gehen: Es soll keine spezielle Ausbildung zum Entlassungsmanager geben, dafür soll das dafür benötigte spezielle Wissen in die medizinische bzw. pflegerische Ausbildung integriert werden.

STANDARD: Gibt es internationale Vorbildmodelle oder Strategien?

Luger: Einen radikalen Weg in puncto Entlassungsmanagement ist man zum Beispiel in Kölner Krankenanstalten gegangen: Die einzelnen Zuständigkeiten sind sehr strikt getrennt, man hat neue Führungsstrukturen entwickelt. Darüber hinaus wurden bereits dutzende Entlassungsmanager bestellt. Die Strukturänderung ging hier aber insgesamt sehr weit. Das Kölner Modell kommt für uns so zwar nicht infrage, es bietet aber interessante Ansätze.

STANDARD: Was werden die nächsten wichtigen Schritte auf dem Weg zu einem breiteren Angebot an Entlassungsmanagement sein?

Eger: Es müssen Strukturen in den Krankenanstalten geschaffen werden. Und viele Fragen müssen noch geklärt werden, z. B. unter welchen Voraussetzungen der Entlassungsmanager kontaktiert wird. Wir haben uns in Wien nämlich für ein indirektes Entlassungsmanagement entschieden, das heißt, es gibt für mehrere Stationen eine zuständige Person, die bei Bedarf hinzukommt. Es müssen daher auch bestimmte Instrumente implementiert werden, damit Patienten, die Betreuung brauchen, überhaupt identifiziert werden können. Ein wichtiges Ziel ist die elektronische Anbindung von Ärzten und Krankenanstalten, damit eine rasche Kommunikation überhaupt möglich wird. Das wird neben einer finanziellen auch eine technische Herausforderung. Und natürlich müssen im Vorfeld dazu wichtige Themen wie der Datenschutz geklärt werden.

Luger: Wir haben es im Gesundheitswesen mit einem sehr strikt organisierten Bereich zu tun. Hier einen Querschnittsbereich zu installieren, wird mit Sicherheit nicht rasend schnell gehen. Wir werden in den nächsten Jahren einiges zu tun haben. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.7.2007)