Foto: © Project Syndicate, 2007
Gordon Brown ist an seinem Lebensziel angelangt, quasi von Rechtswegen. Und genau das ist auch schon sein erstes Problem. Er wurde nämlich von niemandem gewählt - nicht von der Labour Party und auch nicht von den britischen Wählern. Er tritt einfach nur ein Erbe an, von dem er schon lange der Meinung war, dass es ihm zustünde.

Wie aber wird Brown nun als neuer Regierungschef Großbritanniens Legitimität erlangen? Klar ist nur, dass es mit dieser Legitimität nicht klappen wird, wenn er den Menschen weiterhin das vorsetzt, was ihnen Blair in den letzten zehn Jahren aufgetischt hat.

Browns zweites Problem ist ein Spiegelbild des ersten. Nachdem er der Regierung Blair als hochrangiges Mitglied während ihrer gesamten Amtszeit angehörte, trägt er auch Verantwortung für alles, was Blair getan hat. Politische Kommentatoren konstatieren manchmal wesentliche Unterschiede in der grundlegenden politischen Haltung der beiden. In der Praxis aber blieb Brown im Schatten. Er erwies sich als geschickter Manager der Wirtschaft, zeigte sich jedoch im Hinblick auf entscheidende politische Fragen schweigsam und unergründlich.

Wenn Brown Legitimität erlangen will, wird er mit etwas Neuem aufwarten müssen, und das wird ihm nur gelingen, wenn er sich vom Vermächtnis Blairs klar und deutlich - also einigermaßen radikal - abgrenzt. Das wird nicht ganz einfach werden.

Markt und sein Preis

Die vielleicht wichtigste innenpolitische Frage betrifft Browns Position hinsichtlich des Gleichgewichts zwischen freiem Markt und den Forderungen der Sozialpolitik. Unter Tony Blair rückte die Labour Party von ihren traditionellen Prioritäten des Schutzes der Unterprivilegierten weit nach rechts ab. Zur Untermauerung dieses Wandels wurde der Parteiname auf "New Labour" geändert.

Die Unterstützung der freien Marktwirtschaft durch die Regierung Blair erwies sich in vielerlei Hinsicht als intelligenter und produktiver Schachzug. Die Wirtschaft Großbritanniens wuchs kontinuierlicher und schneller, als das über mehrere Generationen hinweg der Fall war. Die aufgrund des Wachstums erzielten Steuereinnahmen ermöglichten der Regierung, Geld in das Bildungswesen und den staatlichen Gesundheitsdienst National Health Service zu investieren. Dafür war allerdings ein Preis zu bezahlen - genaugenommen eigentlich mehrere.

Erstens stieg die Ungleichheit an beiden Enden der Einkommensskala an. Am unteren Ende erhöhte sich der Prozentsatz jener Menschen mit einem Einkommen unter der Armutsgrenze von 13 Prozent zu Beginn der Amtszeit der Regierung Blair auf gegenwärtig 20 Prozent. Bei den ethnischen Minderheiten ist die Situation noch viel schlimmer.

Der schlimmste Teil von Blairs Vermächtnis ist natürlich der Krieg im Irak. Viele Menschen sahen voraus - und heute ist es für alle offensichtlich - dass die Entscheidung, in den Irak einzumarschieren, ein verheerender Fehler war, der nicht nur für den Irak, sondern für die gesamte Region katastrophale Auswirkungen zeigt. Außerdem hat die moralische Position der USA und Großbritanniens ernsthaften Schaden genommen. Die entscheidende Frage in Bezug auf Brown lautet also, ob er sich durchringen wird, sich von Blairs selbstgerechter und wahnhafter Behauptung zu distanzieren, wonach die Invasion im Irak, "das Richtige" war.

Unsicherheit im Irak

Großbritannien hat seine Truppen im Süden des Irak bereits reduziert und plant einen weiteren Truppenabbau, nachdem man die "Sicherheit" in die Hände der irakischen Polizei und des Militärs legen will. In Wirklichkeit bedeutet der Bürger- und Guerillakrieg in den anderen Landesteilen natürlich, dass jegliche Sicherheit im Süden nur eine vorübergehende Illusion sein kann. Brown steht nun vor der Entscheidung, die bestehende Politik stillschweigend fortzuführen - in der vergeblichen Hoffnung, dass sich das Problem von alleine löst - oder Großbritanniens Anteil an dem Desaster explizit anzuerkennen.

Dies ist teilweise eine Frage der weiteren Vorgangsweise im Irak und teilweise eine Frage der Beziehungen zwischen Großbritannien und den USA. Im Nachhinein betrachtet ist klar, dass die Teilnahme Großbritanniens am Irakkrieg ausschließlich in Blairs Entschlossenheit begründet lag, sich wie eine Klette an die USA zu hängen.

Brown ist der Meinung und tut dies auch kund, dass Großbritannien immer ein enger Freund Amerikas zu sein habe, was ja offensichtlich auch in Ordnung ist. Aber ist er auch bereit klarzustellen, dass zwischen enger Freundschaft und dem Eintritt in einen illegalen und verheerenden Krieg, nur um es George W. Bush recht zu machen, ein großer Unterschied besteht?

Bis jetzt liegen keine Hinweise in diese Richtung vor. Obwohl er öffentlich die Fehler des britischen Nachrichtendienstes im Hinblick auf Saddam Hussein bedauerte, so ist dies doch nichts weiter als das Bemühen, die Schuld von der Regierung auf die Nachrichtendienste abzuschieben. Aber nicht die Nachrichtendienste beschlossen in den Krieg zu ziehen, sondern Tony Blair, unterstützt von Gordon Brown.

*Ian Davidson ist Berater und Kolumnist des Zentrums für Europäische Politik in Brüssel und war Kolumnist bei der "Financial Times". Zuletzt veröffentlichte er das Buch "Voltaire in Exile". (DER STANDARD, Printausgabe, 2. Juli 2007)

Übersetzung: Helga Klinger-Groier