Wien – Die Eskalation eines Nachtcremetests zu einem Polizeieinsatz mit vorübergehender Festnahme einer honorigen Englischlehrerin beschäftigt derzeit Bundespolizeidirektion und Rewe-Konzern. "Wir bedauern diesen unglücklichen Vorfall zutiefst", entschuldigt sich Rewe-Sprecherin Corinna Tinkler. "Der Vorfall wird erst erhoben, das wird noch brauchen", vertröstet Sonja Mair von der Polizei.

Doch die Frage, wie es geschehen konnte, dass Valda Triegaardt, 55-jährige Sprachlehrerin am Wiener American Institute, wegen einer Fingerspitze voll L'Oréal-Creme in Ladendiebstahlverdacht geriet – und in weiterer Folge in ein Polizeiauto verfrachtet wurde, wo ihr ein Beamter untersagte, mit ihrem eigenem Handy den Anwalt zu verständigen – konnte bisher noch niemand beantworten. Anders die Frage nach den emotionalen Folgen: "Ich hatte mich davor noch nie derart bloßgestellt gefühlt", sagt Triegaardt.

Am 13. Juni gegen 18 Uhr hatte die seit drei Jahren in Wien lebende Engländerin die Bipa-Filiale am Wiener Schottenring betreten. Mit einem zentimetergroßen Plastikbehälter in der Hand, um aus einem L'Oréal-Nachtcreme-Tester ein wenig Creme zu holen und mit nach Hause zu nehmen, um es über Nacht auszuprobieren. "Ich fragte die Kassierin, ob ich das dürfe. Sie sagte ja".

Hausdetektiv stellte sich in den Weg

Gesagt, getan. Doch als Triegaardt wenige Minuten später das Geschäft wieder verlassen wollte, stellte sich ihr der Hausdetektiv in den Weg: "Sie tragen etwas bei sich, was nicht Ihnen gehört. Geben Sie es her!". Wortwechsel an der Bipa-Tür, Auftauchen der Filialleiterin: "Ich forderte die Kassierin auf, zu bestätigen, dass sie mir davor die Erlaubnis zur Cremeentnahme gegeben hatte. Sie stritt es ab und blickte weg". Zwei Euro "Schaden"

Also wurde die Polizei gerufen, die zuerst den Wert der "Beute" ermittelte: rund zwei Euro. Alsdann die Gretchenfrage: "Haben Sie einen Ausweis?".– "Nein" – "Wie können sie als Ausländerin ohne Ausweis herumlaufen? Wir müssen Sie zur Identitätsfeststellung nach Hause begleiten".

Auf dem Weg zum Polizeiauto habe sie durch ein Passanten-Spalier gehen müssen, erzählt die Engländerin. Im Dienstwagen hätten ihr die Beamten das Telefonieren verboten. Und im Wohnhaus dann hätten viele Nachbarn das uniformierte Auftreten mitbekommen: "Sie haben mich angegafft. Ich fühlte mich wie eine Festgenommene nach dem Raub der Kronjuwelen".

Persönliche Entschuldigung verlangt

Triegaardt verlangt jetzt von den Bipa-Angestellten eine "persönliche Entschuldigung". Den Polizeieinsatz wiederum sieht der Wiener Anwalt Wilfried Embacher als "problematisch" an. Vor allem das Telefonierverbot stelle einen "Eingriff in die persönliche Freiheit" dar, der Anlass einer Beschwerde sein könnte. "Von Polizeiseite her war das eine dieser Demonstrationen von Staatsmacht, in deren Rahmen die Kompetenzen überschritten werden". (Irene Brickner, DER STANDARD - Printausgabe, 29. Juni 2007)